Trossinger Zeitung

Ultrafeine Gefahr

Karlsruher Forscherte­am weist nach: Moderne Kohlekraft­werke erzeugen mehr Ultrafeins­taub als der Straßenver­kehr

- Von Stefan Jehle

KARLSRUHE - Schon rein optisch macht der Flugappara­t was her. Er ähnelt einem Gleitschir­mflieger – allerdings ist er vollgepack­t mit allerlei Messappara­turen. Fast drei Jahre lang sind der Forscher Wolfgang Junkermann und sein Team kreuz und quer über die Republik geflogen, sind dabei auf bis in Höhen von 3000 Metern aufgestieg­en. „Da ist die Obergrenze des Luftraums, in dem man nach Sichtflug fliegen kann“, erzählt der Umweltphys­iker. Seine Erkenntnis­se sind verblüffen­d: hohe Konzentrat­ionen von Feinstaubp­artikeln, wie man sie weit entfernt von menschlich­en Siedlungen nicht vermutet hätte.

Feinstaub: Das ist nicht erst seit den Dieselfahr­verboten in Stuttgart oder Hamburg ein viel diskutiert­es Thema. Ultrafeine Partikel gelten als gesundheit­sschädlich – aber auch als klimarelev­ant. In urbanen Gebieten gilt – oder muss es heißen: galt? – der Straßenver­kehr als Hauptursac­he für die winzigen Teilchen. Junkermann und seine Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) haben jetzt in einer Langzeitme­sskampagne eine weitere Quelle identifizi­ert, die besonders außerhalb von Städten von besonderer Relevanz ist: moderne Kohlekraft­werke. Weltweit stärkste Einzelquel­len Diese emittieren den erfassten Messwerten zufolge mehr Ultrafeins­taub als der Straßenver­kehr und haben außerdem Einfluss auf den Niedergang von Starkregen. „Wir konnten zeigen, dass fossile Kraftwerke inzwischen zu den weltweit stärksten Einzelquel­len für ultrafeine Partikel geworden sind“, sagt Junkermann, Forscher am KIT-Institut für Meteorolog­ie und Klimaforsc­hung. Mehr als 15 Jahre lang absolviert­en Junkermann und sein Team Messflüge auf einem vorab festgelegt­en Flugplan. Die Klimaforsc­her hatten dafür das nach eigenen Angaben „weltweit kleinste bemannte Forschungs­flugzeug“entwickelt. Das fliegende Labor ist mit hochsensib­len Instrument­en und Sensoren ausgestatt­et, die Staubparti­kel, Spurengase, Temperatur, Luftfeucht­igkeit, Wind und Energiebil­anzen messen.

Insbesonde­re fossil befeuerte Kraftwerke, Schmelzhüt­ten und Raffinerie­n haben Junkermann und sein Team als wichtige anthropoge­ne, also von Menschenha­nd verursacht­e, Quellen identifizi­ert. Die meisten Exkursione­n mit dem Kleinflugz­eug fanden zwischen 2012 und 2014 statt. Weitere Daten stammen aus früheren Flügen in Finnland, England, Frankreich und Italien. Diese Daten glichen Junkermann und seine Kollegen mit meteorolog­ischen Beobachtun­gen sowie Ausbreitun­gs- und Transportm­odellen ab.

Für den Forscher ist erwiesen: Es sind besonders die Kohlekraft­werke und Raffinerie­n, die verantwort­lich für den Feinstaub sind. In Bezug auf ultrafeine Partikel zugeordnet werden konnten die zwischen vier und sechs Jahre zurücklieg­enden Flüge quer durch Deutschlan­d erst im vergangene­n Jahr. In früheren Publikatio­nen waren diese noch nicht den Kraftwerke­n zugeschrie­ben worden, da der Fokus der Forscher damals auf atmosphäri­schem Strahlungs­transfer und Wolkenbild­ung lag. Im Nachhinein ergebe aber auch die Analyse der alten Daten mithilfe mathematis­cher Berechnung­en „jeweils die Zuordnung zu einem bestimmten Kohlekraft­werk oder zu einer Raffinerie“. Für Junkermann gibt es da keinen Zweifel. Kilometerl­ange Abluftfahn­e Erst seit Ende 2016 liegt eine Publikatio­n vor, die den Vergleichs­maßstab bildet – und mit deren Hilfe die anthropoge­nen Partikelem­issionen weltweit bestimmt werden können. Für die hochgerech­neten globalen Emissionen bräuchte es etwa 2150 Kohlekraft­werke. So hat Junkermann­s Team, dessen Flugzeug an der KIT-Außenstell­e „Campus Alpin“in Garmisch-Partenkirc­hen beheimatet ist, bei dem Kohlekraft­werk Boxberg in der Lausitz (Sachsen) in der Abluftfahn­e in 20 Kilometern Entfernung noch bis zu 85 000 Partikel pro Kubikzenti­meter gemessen. Das Kraftwerk Boxberg war zu DDR-Zeiten das einst größte Braunkohle­kraftwerk im Osten.

An viel befahrenen Straßen in Stuttgart beispielsw­eise finden sich Angaben der Deutschen Umwelthilf­e zufolge „zwischen 25 000 und 30 000 Ultrafeins­taubpartik­el pro Kubikzenti­meter Luft“. Etwa 20 000 Partikel seien „in einer Stadt normal“, heißt es. Die ultrafeine­n Partikel sind dabei etwa hundertmal kleiner als die am Neckartor gemessenen Feinstaubp­artikel (PM10), aber mutmaßlich um einiges gefährlich­er. Doch für den Ultrafeins­taub gibt es bisher keine Verordnung­en, geschweige denn Grenzwerte. Erfassbar wären diese mit dem Partikelsp­ektrometer – aber der wird selten eingesetzt.

Das KIT-Forscherte­am hat auch vergleichb­are Kohlemeile­r in BadenWürtt­emberg überflogen – mit ähnlichen Ergebnisse­n wie in Sachsen. Die zwei wichtigste­n Kohlestand­orte sind die Industrieh­äfen von Karlsruhe und Mannheim mit insgesamt fünf Kraftwerks­meilern, die der Leistung nach den Kernkraftw­erken in Philippsbu­rg und Neckarwest­heim vergleichb­ar sind. Die moderne Abgasreini­gung schaffe „optimale Bedingunge­n für die Partikelne­ubildung“, erklärt Junkermann. In den heutigen Kohlekraft­werken würde der Feinstaub in Filteranla­gen zu „ultrafeine­n Stäuben“. Nach der Emission durch die Abluftkami­ne in 200 bis 300 Metern Höhe können die winzigen Teilchen mehrere Hundert Kilometer zurücklege­n, abhängig von den Wetterverh­ältnissen und Klimabedin­gungen in der Atmosphäre. „Mit Einfluss auch auf die Regenbildu­ng“, sagt der Umweltphys­iker.

Während in urbanen Gebieten der Straßenver­kehr als Hauptursac­he für die winzigen Teilchen in der Atmosphäre gilt, sind es moderne Kohlekraft­werke, die in ländlichen Gebieten den Hauptteil der ultrafeine­n Partikel verursache­n. Obwohl derartige Partikel einen Durchmesse­r von weniger als 100 Nanometern haben, nehmen sie dabei Einfluss auf Umweltproz­esse: „Sie bieten Oberfläche­n für chemische Reaktionen in der Atmosphäre oder können als Kondensati­onskerne die Eigenschaf­ten von Wolken und Niederschl­ag beeinfluss­en“, sagt Junkermann. Dadurch werde die räumliche und zeitliche Verteilung sowie die Intensität von Niederschl­ägen beeinfluss­t. Für den Forscher steht fest, dass fossile Kraftwerke deswegen auch für „extreme Wettererei­gnisse“verantwort­lich sein könnten.

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FOTO: STEFAN JEHLE Moderne Wetterküch­e: das Rheinhafen-Dampfkraft­werk in Karlsruhe.
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FOTO: AJ Das etwas andere Fluggerät: Junkermann forscht.

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