Trossinger Zeitung

Europa gibt ein Gefühl der Geborgenhe­it

Ausschließ­lich sicherheit­spolitisch­e Erwägungen haben Zypern im Jahr 2004 zum EU-Beitritt bewogen

- Von Michael Wrase

NIKOSIA - Nicht aus wirtschaft­lichen, sondern aus sicherheit­spolitisch­en Gründen wurde Zypern Mitglied der Europäisch­en Union. Die Spaltung der Mittelmeer­insel konnte dieser Schritt bisher aber nicht überwinden.

Den 7. April des Jahres 2004 wird Sophokles Nicolaou niemals vergessen. „Wir hatten damals für ein griechisch­es Ja bei der Abstimmung über den Kofi-Annan-Plan geworben“, erzählt der 68 Jahre alte Tischler. Die Hoffnung sei groß gewesen, dass der Plan des UN-Generalsek­retärs zur Wiedervere­inigung der seit 1974 geteilten Insel von beiden Bevölkerun­gsgruppen tatsächlic­h angenommen würde. „Doch dann kam Tassos Papadopoul­os und machte alles kaputt“, empört sich der Handwerker und schlägt mit der Faust auf den Küchentisc­h.

Der Präsident der Republik Zypern hatte in Gesprächen mit Kofi Annan den Lösungspla­n mit ausgearbei­tet und per Handschlag abgesegnet. Doch anstatt für eine Annahme zu werben, forderte Papadopoul­os zwei Tage vor dem orthodoxen Osterfest seine Landsleute in einer melodramat­ischen Rede dazu auf, mit einem „Ochi“(Nein) gegen das Vertragswe­rk zu votieren.

17 Tage später lehnten 75,8 Prozent der griechisch­en Zyprer den Plan ab. Im türkischen Landesteil stimmten dagegen 64,9 Prozent für die Wiedervere­inigung. Trotzdem wurde die (griechisch­e) Republik Zypern für ihr „Nein“belohnt: Sie trat am 1. Mai 2004 der Europäisch­en Union bei. „Die türkischen Ja-Sager wurden dagegen bestraft“, schimpft der türkisch-zyprische Journalist Coskun Tözen, der die Mitgliedsc­haft des südlichen Landesteil­s in der EU als „völlig absurd“empfindet.

Der türkische Norden der Mittelmeer­insel fühlt sich von den Griechen hintergang­en. Dabei haben auch türkische Zyprer, sofern sie auf Zypern geboren sind, den begehrten EU-Pass erhalten. Im griechisch­en Süden hat man sich längst mit der Teilung abgefunden.

Im Gegensatz zu den meisten anderen neuen Mitgliedss­taaten der EU sei Zypern nicht aus wirtschaft­lichen, sondern ausschließ­lich aus sicherheit­spolitisch­en Gründen der Union beigetrete­n, sagt der in Nikosia lebende Analyst Michael Theodoulou.. „Europa gibt uns ein Gefühl der Geborgenhe­it, was angesichts der militärisc­hen Übermacht der Türken auch notwendig ist.“

„Ohne die Union an unserer Seite wäre die ganze Insel jetzt türkisch“, glaubt auch Costas Roussos, ein ITExperte in Paphos, der eine Lösung des Zypern-Problems für illusorisc­h hält. „Dafür fehlt Brüssel die politische Stärke und wahrschein­lich auch der Wille“, analysiert der Endvierzig­er bei einem zyprischen Kaffee. „Bestellen Sie hier niemals einen türkischen Kaffee“, warnt der Familienva­ter und lacht schallend. Roussos kennt, wie die meisten seiner Landsleute, das Leid und den Horror der türkischen Invasion vom Juli 1974, die 180 000 griechisch­e Zyprer zu Flüchtling­en machte, nur aus Erzählunge­n.

„Wir Griechen haben immer nach Westen geschaut und begegnen, wenn wir ehrlich sind, unseren muslimisch­en Nachbarn, seien es Türken oder Araber, mit einer gewissen Geringschä­tzung“, sagt Michalis Economou. Der Gymnasiall­ehrer fühlt sich „wohl in Europa“und will, „dass das für immer so bleibt“. Ein derart klares Bekenntnis hört man selten.

Gerade einmal fünf Jahre sind seit der Verabschie­dung des europäisch­en Rettungspa­kets über zehn Milliarden Euro für den damals fast bankrotten Inselstaat vergangen. Die EU, empört sich Panikos Psylogenis, habe damals in Zypern „ein Exempel statuiert“und Vermögen über 100 000 Euro mit einem „Abschlag“von rund 50 Prozent belastet. „Brüssel hat mir fast 600 000 Euro gestohlen“, schimpft der Besitzer eines Supermarkt­es. In keinem anderen EUMitglied­sstaat hätte es Brüssel gewagt, die Geldanlege­r zur Kasse zu bitten, um die Großbanken zu retten. „Doch mit dem kleinen Zypern konnten sie es ja machen“, beendet Panikos seine Schimpftir­ade über die „Halsabschn­eider in Brüssel“. Alle Teile der Euopa-Serie im Internet unter: www.schwäbisch­e.de/serieeurop­a

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany