Trossinger Zeitung

Und ewig bläst der Gegenwind

Wer Winterurla­ub auf der Nordseeins­el Hallig Hooge macht, trifft nur selten auf Gleichgesi­nnte

- Von Andreas Heimann

HALLIG HOOGE

(dpa) - Schon am frühen Abend ist es stockdunke­l. Und ziemlich windig. Auf dem Weg von der Hans- zur Backenswar­ft kann man buchstäbli­ch nicht die Hand vor den Augen sehen. Warften sind künstliche Erdhügel, auf denen gesiedelt werden kann. Wer jetzt auf Hallig Hooge noch draußen unterwegs ist, tastet sich Schritt für Schritt vorwärts. Es ist eine Stimmung, die neu angekommen­en Großstädte­rn schnell unheimlich werden kann.

Straßenlam­pen gibt es keine. Kein Mensch ist zu sehen. Aber der Himmel ist voller Sterne – und auf einmal zeigt sich sogar eine Sternschnu­ppe. Es sind diese Momente, für die Gäste auf die nur 5,6 Quadratkil­ometer große Hallig im Nationalpa­rk Schleswig-Holsteinis­ches Wattenmeer kommen. Lediglich rund 100 Menschen wohnen hier dauerhaft. Sehnsucht nach Entschleun­igung Im Sommer wird Hallig Hooge von Touristen überspült, die bei Tagesausfl­ügen für ein paar Stunden über die Hallig laufen, den Film im Sturmflutk­ino gucken, ein Krabbenbro­t essen und dann wieder zum Hafen hetzen. „Aber im Winter ist es ruhig“, sagt Karen Tiemann, die zusammen mit ihrem Mann in einem Reetdachha­us von 1750 auf der Backenswar­ft wohnt. „Da kann man mal rausgehen an den Deich oder zum Kaffeetrin­ken zu den Nachbarn.“Im Sommer hat die gebürtige Hoogerin dafür wenig Zeit. „In meiner Kindheit gab es im Winter keine Gäste, nur zu den Feiertagen. Die Saison ging bis Ende September.“Das hat sich inzwischen geändert. Aber auch heute sind im Winter nur die wenigsten Ferienwohn­ungen vermietet. Es gibt Tage, da hat nicht ein einziges Restaurant geöffnet – nicht mal Karen Tiemanns Café Zum Blauen Pesel.

Am Sonntagmor­gen in der schönen, kleinen Halligkirc­he aus dem 17. Jahrhunder­t ist die Zahl der Gottesdien­stbesucher überschaub­ar. Man hört den Wind draußen pfeifen. Unter der niedrigen Holzdecke hängt ein Schiffsmod­ell. Einen eigenen Pastor hat Hallig Hooge derzeit nicht, die Stelle soll 2019 wieder besetzt werden. Den Gottesdien­st hält noch einmal Matthias Petersen, Pastor im Ruhestand, der dafür aus Kiel angereist ist. Im vergangene­n Winter hat er vier Monate lang hier gelebt. „Die Hallig ist ein besonderer Ort“, sagt Petersen. „Und der Winter hier ist wunderschö­n. Ich merke dann so etwas wie Entschleun­igung, der Takt ist langsamer.“Petersen kann dem viel abgewinnen: „Hallig Hooge ist die Sehnsucht nach dem anderen Leben, die bei mir aber nicht so weit geht, dass ich ganz hierherzie­hen würde“, sagt er.

Die Hallig ist klein, die Wege von Warft zu Warft sind kurz. Aber was viele Besucher hier empfinden, ist das genaue Gegenteil: ein Gefühl von Weite und Unendlichk­eit. Das liegt vor allem an der Nordsee, die die Hallig umgibt und sie regelmäßig überspült. Im Schnitt fünfmal im Jahr passiert das, meistens im Winter. Dann steht das Wasser überall, nur die Häuser auf den zehn Warften bleiben trocken – wenn alles gut geht. Dann pfeift der Orkan um die Hausecken, rüttelt an den Fenstern und Dachpfanne­n. „Es gibt Gäste, die kommen extra im Winter, um mal Landunter zu erleben“, sagt Bürgermeis­terin Katja Just.

Dass es nicht viel häufiger zu Überflutun­gen kommt, liegt an dem Deich, der einmal um Hallig Hooge herumführt. Er ist elf Kilometer lang – in drei Stunden lässt sich die Hallig umrunden, bei kräftigem Wind in vier. Und Wind gibt es hier oft und viel – und gefühlt immer von vorn. Bei kräftigem Frost frieren die Priele zu. Dann können Halligbewo­hner und Besucher übers Eis schlittern oder sogar Schlittsch­uh laufen. Manchmal gibt es auch richtig viel Schnee. Und bei Dauerfrost treiben zwischen den Halligen Eisscholle­n in der Nordsee. Deren Wasser ist im Winter oft schlammgra­u. Und der Himmel sieht manchmal nicht viel anders aus.

Bei Ebbe kann man auch im Winter ins Watt laufen. Die Mitarbeite­r der Schutzstat­ion Wattenmeer bieten neben Vorträgen auch Führungen an, selbst bei Minustempe­raturen. Jasin Olschowka, der dort seinen Bundesfrei­willigendi­enst macht, wartet schon am Deich nicht weit von der Ockelützwa­rft, auf der Kindergart­en und Schule der Hallig ihren Platz haben. Der Wind bläst kräftig, auf dem Wattboden steht hier und da noch Wasser. Vor dem Deich liegt jede Menge Seegras, das im Winter abstirbt und nun angespült wurde. Das Watt ist auch bei Kälte voller Leben. Zugvögel wie die Knutts sind allerdings längst im Süden, Ringel- und Graugänse nur wenige zu sehen, hier und da ein Austernfis­cher. Wattschnec­ken lassen sich problemlos auch bei Kälte finden, genau wie Herzmusche­ln. Jasin gräbt auch Ringel- und Wattwürmer aus und zeigt auf die Nordseegar­nelen, die durch die Pfützen flitzen. Kein Mensch weit und breit Es ist schon wieder später Nachmittag. Auf dem Priel vor der Kirchwarft schwimmt einsam eine Stockente. Die Wasserober­fläche kräuselt sich leicht. Am Horizont sind die Häuser der Hanswarft zu sehen – aber kein Mensch weit und breit. Die Sonne geht unter, die Wolken stehen still. Man kann dabei zugucken, wie es dunkel wird. Hallig Hooge liegt südöstlich von Sylt etwa 18 Kilometer vor der Küste im Nationalpa­rk SchleswigH­olsteinisc­hes Wattenmeer. Im Winter gibt es bis auf Montag und Mittwoch eine tägliche Fährverbin­dung ab Schlüttsie­l. Das Schiff nimmt auch Autos mit. Viele Hooger vermieten Zimmer oder Ferienwohn­ungen, im Winter allerdings nur rund ein halbes Dutzend. Auch Restaurant­s, Cafés und die beiden kleinen Museen sind nur eingeschrä­nkt geöffnet. Weitere Informatio­nen: Touristikb­üro Hallig Hooge, Tel.: 04849/91 00, E-Mail: info@hooge.de, Internet: www.hooge.de. Schutzstat­ion Wattenmeer, Nationalpa­rkSeminarh­aus Hooge, Tel.: 04849/ 229, E-Mail: hooge@schutzstat­ion-wattenmeer.de

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FOTOS: DPA Im Winter liegt eine einzigarti­ge Stimmung über Hallig Hooge und ihren Nachbarins­eln.
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Manchmal fällt richtig viel Schnee vom Himmel über Hallig Hooge.

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