Sanfter Kontaktsport
Weltverband will Handball weniger hart machen – Spieler und Nachwuchstrainer skeptisch
BERLIN - Das ging ja gut los. Direkt nach dem Start der Handball-WM war der erste Aufreger perfekt. Gegen körperlich weit unterlegene Koreaner und nach einem ungefährdeten 30:19-Sieg standen das DHBTeam und der Gegner mit reichlich Verwarnungen da. Allein in den ersten 13 Minuten der Partie verteilte das Schiedsrichter-Duo Martin Gjeding und Mads Hansen (2017 Weltschiedsrichter) vier Zeitstrafen und eine Rote Karte. Am Ende standen sogar ganze elf Strafen – und das nach einem recht fairen Spiel.
Doch hatten die beiden Dänen nicht etwa einen besonders kleinlichen Tag oder einfach schlecht geschlafen. Vielmehr ist die Linie klar vorgegeben, erwartet die deutsche Mannschaft in ihren anstehenden körperbetonten Spielen, unter anderem gegen Brasilien (Sa., 18.15 Uhr/ ZDF), wohl ein ähnliches Schicksal – und das alles im Sinne des Sports und für den Nachwuchs.
Der oberste Schiedsrichter-Verantwortliche der International Handball Federation (IHF), Ramon Gallego, erklärte: „Die Vorbereitung der Schiedsrichter auf dieses Turnier ist wesentlich professioneller als in den letzten Jahren. Ziel ist es, das Spiel weniger zu unterbrechen und einen flüssigen Spielverlauf auf professionellem Level zu schaffen.“
Weniger Härte, mehr Spielfluss: was so einfach klingt, bewirkte zumindest beim WM-Auftakt eher das Gegenteil und sorgte für mehr Unterbrechungen. „Wir müssen den Schiedsrichtern helfen, Verletzungen zu verhindern und die Gesundheit der Spieler zu schützen“, erklärt Gallego das Anliegen. Und noch wichtiger: Ein ansehnliches Spiel mit weniger Verletzungen sehen die Verantwortlichen als Heilmittel gegen die Nachwuchssorgen: „Die Gesundheit und der Spaß am Spiel stehen im Vordergrund. Das übergeordnete Ziel ist es, Kinder für den Handball zu begeistern“, sagte Gallego.
Denn während der Handballsport in Deutschland mit Basketball um den inoffiziellen Titel als Mannschaftssport Nummer 2 hinter dem Fußball kämpft und Eishockey und Volleyball auf die Plätze verweist, fristet die Sportart in anderen Ländern – mit einigen Ausnahmen wie Dänemark, Frankreich oder Spanien – eher ein Schattendasein. Dagegen sollen nun die modifizierten Regeln helfen.
Vor WM-Start gab es ein offizielles Briefing für alle Teilnehmer. „Es ging um eine einheitliche Linie, und dass wir ein attraktives Handballspiel bieten“, gab sich Christian Prokop diplomatisch. Wer den Auszeitenbuzzer drücken darf oder dass verstärkt auf Zeitspiel geachtet wird, waren Themen. Aber auch „wie das Verhalten der Schiedsrichter ist, wenn es bei der Verteidigung hinter dem Kreis zu einer Art Ringkampf kommt“, erläutert der Bundestrainer. Auch er glaubt, es gehe vor allem „darum, dass viele Kids aus allen Ländern den Zugang zum Spiel finden.“
Da Handball in den vergangenen Jahr generell schneller geworden ist, das deutsche Spiel zusätzlich stark von der Körperlichkeit lebt, scheint die Neuausrichtung für den Gastgeber eher hinderlich.
„Wenn tatsächlich so gepfiffen wird, müssen wir eben auch clever sein und zum Beispiel Zeitstrafen provozieren“, ist die Konsequenz für Rückraumspieler Steffen Weinhold. Eine Abkehr von den Tugenden steht allerdings nicht zur Debatte. „Ich denke, dass jetzt ein bis zwei Spiele sehr darauf geachtet wird und es sich dann einpendelt, deshalb sollten wir nicht unsere Aggressivität anpassen.“ Härte als positiver Faktor Das scheint auch ganz im Sinne der Nachwuchstrainer, die Härte nicht als Problem ausgemacht haben. „Die Zuschauer kommen ja auch, weil es ein schnelles, hartes Spiel ist“, ist sich Julian Thomann, Sportlicher Leiter und zuständig für die Jugend bei der HBW Balingen-Weilstetten, sicher – auch für den Nachwuchs: „Das Körperliche ist auch ein Grund, warum sich Kinder für den Handball entscheiden. Es ist ja nicht unfair und es geht auch um die Werte, wie man mit Fouls umgeht – sich entschuldigen und ähnliches.“Das sieht auch HBW-Routinier und Nationalmannschafts-Rückraum-Lenker Martin Strobel ähnlich, der zwei Neffen im Handballnachwuchs hat: „Kinder sollen vor allem die Sportart spüren und Spaß haben. Zudem kann man die Anfänge bei den Kindern nicht mit dem Profihandball vergleichen, da geht es ja erst mal um die Grundlagen.“
Der Zweitligist habe generell kein großes Problem, Kinder für den Sport zu gewinnen. Dennoch kommt das Turnier gelegen. „Die WM brauchen wir als Plattform, um Kinder und Jugendliche anzusprechen. Es hat 2007 einen Boom gegeben und wird es auch jetzt“, ist sich Heinrich Müller, HBW-Pressesprecher, sicher. Oder, um es mit den Worten von ExNationalspieler Dominik Klein auszudrücken: „Die Kinder sollen einfach den kleinen Ball in die Hand nehmen und in die Halle kommen, dann bringen wir ihnen was bei.“