Druck auf Maduro wächst
Immer mehr EU-Länder stellen sich hinter Guaidó
BERLIN (dpa) - In Venezuela noch Oppositionsführer, im Ausland schon Staatschef: Der internationale Rückhalt für den selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó wird immer stärker. Nachdem das Ultimatum an Präsident Nicolás Maduro abgelaufen war, haben Deutschland und zwölf weitere EU-Länder Guaidó als rechtmäßigen Übergangsstaatschef Venezuelas anerkannt. Maduros Regierung erklärte daraufhin, sie werde die Beziehungen mit den betreffenden Staaten überprüfen. Moskau als Verbündeter des linksnationalistischen Präsidenten warf den Europäern „Einmischung“in die inneren Angelegenheiten Venezuelas vor. Die USA und eine Reihe lateinamerikanischer Staaten hatten sich bereits vor knapp zwei Wochen hinter Guaidó gestellt.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete Guaidó als künftigen Partner bei den Bemühungen um eine Beilegung der Krise. Guaidó sei „der legitime Interimspräsident aus deutscher Sicht und aus Sicht vieler europäischer Partner“, sagte sie am Montag in Japan.
CARACAS - Samstagmittag, 14 Uhr, Avenida Las Mercedes in Caracas. Es ist der Tag, der zur „größten Demonstration in der Geschichte Venezuelas“werden soll. So zumindest will es der Mann, der da oben auf der improvisierten Bühne steht. Weißes offenes Hemd, blaues Sakko. Juan Guaidó, gerade 35 Jahre alt, hält eine Rede, die staatsmännisch klingt. Er spricht zu Zehntausenden von Hoffnung und Demokratie, von freien Wahlen und vor allem von Wandel. Die Menschen quittieren jedes seiner Versprechen mit Jubel.
Es hat etwas Surreales. Ein Politiker, der sich zehn Tage zuvor zum Übergangspräsidenten ernannt hat, aber bis zum 5. Januar den meisten Venezolanern völlig unbekannt war, ist nun das von vielen ausländischen Regierungen anerkannte Staatsoberhaupt des südamerikanischen Krisenund Chaosstaates. Am Montag erkannten auch Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Schweden und Österreich den Vorsitzenden der Nationalversammlung als Übergangspräsidenten an. Machthaber Nicolás Maduro hatte sich zuvor geweigert, eine neue Präsidentenwahl anzusetzen. Nie schien ein Wechsel so nah Venezuela schreibt gerade ein weiteres unerwartetes Kapitel seiner schier unendlichen Krisengeschichte. Dieses Mal könnte es sein, dass es wirklich das letzte ist, in dem der autokratische Herrscher Maduro eine tragende Rolle spielt. Während annähernd zwei Jahrzehnten ist es der Opposition nicht gelungen, die Chavisten zu verdrängen. Der vor sechs Jahren verstorbene Hugo Chávez gewann Wahlen und Referenden mit links, sein Nachfolger Maduro hält sich nur mit Rechtsbeugung und Fälschungen an der Macht. Nie in seinen sechs Jahren war seine Macht so gefährdet wie jetzt. Und jeden Tag mehr, den Guaidó in Freiheit ist und wie ein alternativer Präsident auftritt, ist ein Tag, an dem die Macht des autoritären Machthabers weiter schwindet.
Der hat am Wochenende seine Anhänger auf die Avenida Bolívar im Zentrum von Caracas beordert. Die Straße ist vom Parque Central bis zur U-Bahn-Station La Hoyada in rot getaucht. Zehntausende in roten Shirts der Regierungspartei PSUV, in roten Hemden des Ölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) oder der Sozialistischen Zementkorporative (CSC) die Hauptstraße im Zentrum von Caracas. Wenn Maduro ruft, ist Erscheinen Pflicht, diesmal erst recht. Es ist der 20. Jahrestag des Beginns der chavistischen Herrschaft. Am 2. Februar 1999 hatte Chávez die Macht im Erdölstaat übernommen und den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ausgerufen.
Maduro aber hat das Land so abgewirtschaftet, dass es ein internationaler Sozialfall geworden ist. Die Wirtschaftskraft hat sich in den vergangenen sechs Jahren halbiert. Es gibt keine Medikamente, kaum Nahrungsmittel, die Erdölförderung ist eingebrochen, das Geld nichts mehr wert. Die Gewalt ist nirgends in Lateinamerika so schlimm wie in Venezuela. Wer dem Regime widerspricht, geht ins Gefängnis oder flieht ins Exil. Drei Millionen Venezolaner haben ihre Heimat in den vergangenen Jahren verlassen. Maduro lässt La Ola machen Doch bisher lässt sich der Autokrat dadurch nicht beirren. Im Gegenteil: Je enger es für ihn zu werden scheint, desto wohler fühlt er sich. Auf der Avenida Bolívar läuft er zu großer Form auf. Er redet eine Stunde vor seinen Anhängern. Er tanzt, singt, lässt die ganz in das Rot der Staatspartei PSUV getauchten Menschen La Ola machen und verspricht wirtschaftliche Besserung und vor allem versichert er, dass das Militär noch hinter ihm steht. „Die Streitkräfte standen noch nie so geeint hinter dem Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist, wie jetzt“, behauptet Maduro im langärmeligen roten Hemd, das über dem mächtigen Bauch spannt.
Wenige Stunden zuvor allerdings hatte sich der bisher hochrangigste Offizier von Maduro losgesagt. Online kursierte am Wochenende ein Video, auf dem Divisionsgeneral Francisco Estéban Yáñez Rodríguez vom Luftwaffenoberkommando zum Sturz Maduros aufruft. Er sagt darin, er erkenne die „diktatorische Macht“von Maduro nicht mehr an und stelle sich hinter den Oppositionsführer Guaidó.
In Las Mercedes setzt Oppositionsführer Guaidó genau darauf, dass das Militär die Seiten wechselt. Er appelliert wie bei jeder seiner Reden an die Soldaten, sich „auf die Seite der Verfassung und des Volkes“zu stellen. Und Guaidó verspicht: „Der Präsidentenpalast Miraflores ist immer einsamer, aber bald sind wir da und werden eine Übergangsregierung bilden und freie Wahlen ansetzen“.