Der andere, der sensible Picasso
Die Fondation Beyeler in Basel feiert in einer sensationellen Ausstellung den jungen Künstler
BASEL - Picasso geht immer. Schon der Name gilt als Kassenknüller. Deshalb widmen Museen rund um den Globus dem Jahrhundertgenie gern regelmäßig Ausstellungen. Dennoch ist die Schau „Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode“in der Fondation Beyeler etwas Einzigartiges. Die Bilder aus dieser Zeit, als Picasso (1881-1973) noch ein junger, unbekannter Künstler war, gehören heute zu den Kostbarkeiten der Kunstgeschichte. Sie sind der Stolz vieler Sammlungen und werden nur selten ausgeliehen. Jetzt sind diese Werke in Basel im Original zu bewundern – und zwar in einer Fülle, wie man sie wohl nie mehr erleben wird. Es ist die aufwendigste und teuerste Ausstellung in der Geschichte des Hauses: vier Jahre Vorbereitung, sieben Millionen Schweizer Franken Kosten und vier Milliarden Versicherungssumme.
Der junge Maler schaut den Betrachter herausfordernd über die Schulter an. Sein weißes, mit bewegten Pinselstrichen gemaltes Hemd leuchtet vor dem dunklen Hintergrund. In seiner rechten Hand hält er eine Palette mit Farbresten, die zusammen mit dem Orange und Gelb in Schal und Gesicht starke Akzente setzen. Dieses Selbstbildnis, signiert mit „Yo Picasso“(Ich Picasso), ist ein kühnes Statement des Neuankömmlings in Paris. Es entstand 1901 für seine erste Ausstellung bei dem berühmten Galeristen Ambroise Vollard. In der Fondation Beyeler ist es als Auftakt zu sehen. Leihgaben aus aller Welt Noch ist Picasso ein Suchender, ja ein armer Schlucker, der sich ungeniert an seinen Vorbildern Vincent van Gogh und Toulouse-Lautrec oder den alten Meistern bedient. Doch schon im selben Jahr entwickelt der klein gewachsene Spanier einen flächigen Stil mit starken Konturen und malt die ersten Bilder, die später zu Ikonen werden: etwa den in sich gekehrten „Harlekin und seine Gefährtin“(1901) am Kaffeehaustisch.
Die beiden melancholischen Gestalten aus dem Puschkin-Museum in Moskau sind jetzt in Basel nur ein Blickfang unter vielen. Genauer gesagt unter 75 Gemälden und Skulpturen aus aller Welt, die locker in hellen Räumen präsentiert werden. Direktor Sam Keller und Kurator Raphaël Bouffier haben keine Mühe gescheut und sogar privaten Sammlern ihre Schätze abgeluchst. So hat etwa Kunsthändler und Kellers Freund David Nahmad das in Zeiten von #MeToo eher problematische „Junge Mädchen mit Blumenkorb“(1905) ausgeliehen, das er im Frühjahr 2018 bei Christie’s für 115 Millionen Schweizer Franken ersteigert hatte. Im Entstehungsjahr wechselte das Bild damals für lächerliche 75 Franc (knapp 12 Euro oder 13,70 Franken) den Besitzer. Entwicklung gut nachvollziehbar Wie sagte Sam Keller bei der Pressekonferenz so schön: „Der Besucher wird in dieser Ausstellung sein blaues und rosa Wunder erleben.“Das ist keine Übertreibung, nicht nur in punkto Leihgaben. Tatsächlich zeigen die eindringlichen Bilder der Blauen und Rosa Periode den Künstler von einer anderen, sensiblen Seite. Und dank chronologischer Hängung kann der Besucher Picassos rasante künstlerische Entwicklung zwischen 1901 und 1906 wunderbar nachvollziehen. In diesen wenigen Jahren entsteht bereits sein gesamter Kosmos, aus dem er sich später immer wieder bedient und in Serien weiterentwickelt.
Am Anfang der Blauen Periode steht ein tragisches Ereignis: der Selbstmord eines Freundes. Mehrfach malt Picasso den toten, aufgebahrten Carles Casagemas. Alles Bilder, die keiner kennt und in Basel versammelt sind. Zugleich reduziert der Künstler seine Farbpalette auf dunkle Blautöne. „Der Gedanke, dass Casagemas tot ist, brachte mich dazu, in Blau zu malen. Die Blaue Periode war keine Frage des Lichts oder der Farbe, sondern eine innere Notwendigkeit, so zu malen“, erklärte Picasso später einmal. Statt für glamouröse Kurtisanen in den Pariser Vergnügungsvierteln interessiert er sich nun für Trinker, Bettler, Kranke, Gefängnisinsassen – also Gestalten am Rande der Gesellschaft. Auch sich selbst porträtiert er als vom Schicksal gezeichneter mit blasser Haut. Von Selbstbewusstsein wie bei „Yo Picasso“keine Spur mehr. Wen wundert’s. Finanziell geht es dem jungen Mann miserabel. Keiner will diese düsteren Werke kaufen. Heute steht man vor Gemälden wie „Das Leben“oder „Das Mahl des Blinden“(beide 1903) ehrfürchtig da.
Eine Frau ist es dann, die den Künstler aus der Depression holt. 1904 begegnet Picasso in Paris seiner ersten großen Liebe und Muse: Fernande Olivier. Seine Farbpalette wechselt langsam von kühlem Blau zu zartem Rosa. Die faszinierende Welt des Zirkus wird zu seinem Hauptthema. Picasso interessieren die Gaukler und Artisten aber nicht auf der Bühne, sondern hinter den Kulissen, im Alltag. Er malt zahlreiche berührende Bilder, darunter Schlüsselwerke wie „Akrobat und junger Harlekin“(1905), das der Ausstellung als Plakatmotiv dient.
Eine weitere Frau verändert schließlich Picassos Leben für immer: die US-amerikanische Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein. Sie und ihr Bruder Leo kaufen ihm unter anderem die „Akrobatenfamilie mit Affe“(1905) ab und verhelfen dem Spanier mit Ausstellungen in ihren Salons zum Durchbruch. Und während man sich in Paris plötzlich für die HarlekinBilder der Rosa Periode interessiert, zieht sich der 25-jährige Picasso in ein Bergdorf in den Pyrenäen zurück. Dort entstehen Malereien wie die berühmten „Zwei Brüder“(1906), in denen er klassische und archaische Elemente vereint.
Wieder zurück in Paris wagt der Künstler mit seinem primitivistischen Stil kurz darauf den nächsten Schritt und findet zu einer neuen Bildsprache, in der sich bereits der Kubismus ankündigt. Am Ende hängt in Basel eine „Femme“(1907) aus der umfangreichen PicassoSammlung der Fondation Beyeler. Der maskenhafte Frauenkopf ist eine Ölstudie zu den revolutionären „Demoiselles d’Avignon“. „Ich wollte Maler sein und bin Picasso geworden“, steht als Zitat an einer Wand. An Selbstbewusstsein hat es dem Jahrhundertgenie am Ende wahrlich nicht mehr gemangelt. Dauer: bis 26. Mai, Öffnungszeiten: täglich 10-18 Uhr, Mi. 10-20 Uhr, zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Es empfiehlt sich, Tickets für den Besuch vorab online zu kaufen. Weitere Infos unter: www.fondationbeyeler.ch