Der Spalter gibt nur kurz den Versöhner
Trumps Rede an die Nation gerät zum Wahlkampfauftritt – Viele Frauen tragen Weiß
WASHINGTON - Es ist die Überraschung des Abends. Weit über die Hälfte seines knapp anderthalbstündigen Auftritts hat Donald Trump bereits absolviert, da redet er von Amerikas Frauen. Die ihm, so gibt er zu verstehen, Dankbarkeit schuldeten. Niemand habe mehr vom Wirtschaftsboom profitiert als die Frauen, denn 58 Prozent aller im vorigen Jahr neu geschaffenen Jobs seien an sie gegangen. In dem Augenblick bricht Heiterkeit aus bei den Demokratinnen im Abgeordnetenhaus, die nahezu einheitlich Weiß tragen, um an die Suffragetten zu erinnern, an die Frauenrechtlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts.
Sie applaudieren nicht nur, sie jubeln, lachen, winken, tanzen. „Das war eigentlich nicht vorgesehen“, bemerkt der Mann am Rednerpult, worauf der Jubel nur noch ausgelassener wird. „Setzt euch noch nicht, es wird euch gefallen, was als Nächstes kommt“, improvisiert nun auch Trump, dann spricht er von der Rekordzahl weiblicher Abgeordneter im Kongress. „USA! USA!“, skandieren sie daraufhin im Saal, nicht nur dort, wo sich das Weiß ballt, sondern auch, wenngleich verhaltener, auf den Plätzen der Republikaner. Die Opposition feiert einen Meilenstein, 131 Frauen im Parlament, so viele wie noch nie, die meisten in ihren Reihen. Es ist der eine versöhnliche Moment eines Abends, der ansonsten ganz im Zeichen einer schon jetzt beginnenden Wahlschlacht steht ums Weiße Haus. Die Gala des Jahres Der Präsident ist gekommen, um die Lage der Nation einzuschätzen. Es ist die politische Gala des Jahres, und im Idealfall soll sie für ein paar Stunden vergessen lassen, welch tiefer Graben die beiden Parteien trennt. Auch Trump beschwört anfangs pflichtgemäß die Einheit der Vereinigten Staaten, der Rest seiner Rede aber klingt so, als wollte er sie demnächst auf einer Wahlbühne halten. Am 27. und 28. Februar, lässt er wissen, werde er sich in Vietnam mit Kim Jongun treffen, dem Machthaber Nordkoreas. Es ist eine wichtige Nachricht, doch in Washington geht sie fast unter. Trumps Angriffslust gipfelt in Sätzen, die so polemisch sind, wie man es in der jüngeren Geschichte in einer Rede zur Lage der Nation noch nicht erlebt hat.
Das Land erlebe gerade ein Wirtschaftswunder, sagt er. Das Einzige, was es stoppen könne, seien dumme Kriege, politische Spielchen und lächerliche, parteiische Nachforschungen. „Wenn es Frieden und Gesetze geben soll, kann es nicht Krieg und Untersuchungen geben. So funktioniert das einfach nicht.“
Damit fordert er die Demokraten auf, genau das zu unterlassen, worauf diese schon seit Wochen brennen. In parlamentarischen Ausschüssen, in denen sie seit Januar die Mehrheit bilden, wollen sie ein grelles Licht auf bislang nur schwach ausgeleuchtete Ecken des Trump-Imperiums werfen. Steuererklärungen sollen veröffentlicht, Geschäftskontakte nach Russland oder in die arabische Welt auf politische Brisanz abgeklopft werden.
Kompromisslos klingt, was er zum Thema Migration zu sagen hat. Einmal mehr spricht er von einer „akuten nationalen Krise“an der Grenze zu Mexiko. Karawanen mittelloser Immigranten, die quer durch Mexiko Richtung Norden ziehen, charakterisiert er als „kolossalen Angriff“. „Wir haben die moralische Pflicht, ein Migrationssystem zu schaffen, welches das Leben und die Arbeitsplätze unserer Bürger schützt.“Dazu wolle er endlich eine Mauer errichten.
Offen bleibt, wie er das Projekt zu finanzieren gedenkt. Die Demokraten sind nach wie vor nicht bereit, die Mittel dafür zu bewilligen. Ein Kompromiss, der gefunden werden muss, um nach Ablauf einer Frist am 15. Februar den nächsten Regierungsstillstand zu vermeiden, ist vorerst nicht in Sicht.