Strenge Regeln für die Narretei
Für den Fasnachtsumzug gibt es etliche Vorgaben – Feuer und Dampf sind verboten
TUTTLINGEN - Wenn sich am Fasnachtssamstag rund 2400 Hästräger auf die Umzugsstrecke durch Tuttlingen machen, dann stehen Tausende von Zuschauern am Straßenrand. Sie singen, schunkeln und feiern. Doch für den Veranstalter, den Narrenverein Honberger, steckt viel Arbeit dahinter. Und die Auflagen steigen. Bei allem Verständnis für die Sicherheitsvorgaben: „Man sollte die Kirche im Dorf lassen“, fordert Honberger-Präsidentin Sonja Vogler.
„Die Verbote werden immer mehr“, klagt Zugmeister Ralf Vogler, der Bruder der Präsidentin. Er zählt auf: Pyrotechnik, offenes Feuer, Kabelbinder, Böllern und Schießen – seit vergangenem Jahr verboten. Nach dem Vorfall, bei dem in Eppingen eine Zuschauerin schwer verletzt wurde, weil sie über einen dampfenden Kessel gehalten wurde, ist auch heißer Wasserdampf nicht mehr erlaubt.
„Es gibt gewisse Dinge, die gefährlich sind. Vor allem, wenn die unselige Kombination aus Testosteron und Alkohol aufeinander prallt“, sagt Stadtsprecher Arno Specht. Ganz neu sei das Verbot von Stroh und Federn beim Umzug. Denn es habe Beschwerden wegen der Unmengen an Dreck gegeben. Specht: „Das klebt auf dem Pflaster.“Aus Sicherheitsgründen sei auch der Antrag abgelehnt worden, dass eine Kutsche mit Pferden am Umzug teilnehme. Die Tiere könnten durchgehen. Ordnungsämter haben einen gewissen Spielraum Sechs Mitglieder der Honberger kontrollieren jede Gruppe, die sich bei Umzugsstart in der Königstraße in Bewegung setzt. Ralf Vogler: „In dem Moment, an dem wir schauen, halten sich alle an die Vorschriften.“Der Kommunale Ordnungsdienst der Stadt prüft parallel dazu die Fasnachtswagen: Sind sie vom TÜV abgenommen? Weitere 15 bis 20 Ordner werden auf der Umzugsstrecke benötigt. Mit eigenen Leuten sei das nicht zu stemmen, deshalb sucht der Verein Helfer. Über 18 Jahre und nüchtern müssen sie sein, lautet die Job-Anforderung.
Die Ordner müssen auch die Zuschauer im Auge behalten. „Sonst wird der Weg immer enger“, stellt der stellvertretende Präsident Ale- xandro Gannuscio fest – erfahrungsgemäß drängen die Leute auf die Straße, um Süßigkeiten zu erhaschen. Das ist gefährlich. Nicht nur wegen der Wagen, die Platz brauchen, sondern auch bei Narrengruppen, die Karbatschen mitführen. Das kann sonst böse ins Augen gehen.
Sind die Richtlinien in Tuttlingen strenger als in anderen Städten und Gemeinden? Da gibt es unterschiedliche Ansichten. „Wir besuchen auch auswärtige Veranstaltungen und fragen uns manchmal schon, ob es dort dieselben Gesetze gibt“, sagt Sonja Vogler. Sie und ihre Kollegen erinnern sich an Bälle, bei denen sie sich einig waren: „Wenn jetzt was passiert, dann kommen wir nicht mehr raus.“Deshalb finden es die Vertreter des Vorstands auch gut, wenn es Sicherheitsauflagen gibt – „aber bitte mit gesundem Menschenverstand“, so Ralf Vogler.
Tatsächlich haben die Ordnungsämter Handlungsspielraum: „Es gibt Empfehlungen der Landespolizei, aber keine verbindlichen Regeln. Das ist Sache der Ordnungsämter vor Ort“, erklärt der Stadtsprecher. Sicherlich werde manches heute viel strenger gehandhabt als vor einigen Jahren. Auch wegen des LoveparadeUnglücks in Duisburg mit 21 Toten. Specht: „Das hat allen Veranstaltern aufgezeigt, was passieren kann.“Diejenigen, die auf der Anklagebank saßen, seien Sachbearbeiter der Behörde gewesen. „Dass man sich da absichert, ist nachvollziehbar“, findet er.
„Frustrierend“empfindet Sonja Dorn, die Zeremonienmeisterin der Honberger, vor allem die Auflagen für die Saalfasnacht in Tuttlingen. Zum Beispiel beim KischtämännleBall in der Aula des Immanuel-KantGymasiums: Exakt 1,20 Meter müsse der Abstand zwischen den Tischen sein. Im vergangenen Jahr mussten Schilder aufgehängt werden, die vor der Lautstärke warnten, und Ohrenstöpsel parat gehalten werden. „Nur ein Besucher hat danach gefragt“, erklärt Vogler. Wer auf die Fasnacht gehe, wisse doch, dass es laut werden kann.
„Man muss sauber trennen zwischen Umzügen und Saalfasnacht“, entgegnet der Stadtsprecher. Fasnachtsbälle würden durch die Versammlungsstättenverordnung geregelt, und da gebe es eben keinen Spielraum. Specht: „Wenn das irgendwo in kleineren Gemeinden mangels Kenntnis etwas rustikaler gehandhabt wird, dann ist das schlichtweg ein Rechtsverstoß.“Haftbar wären dann der Betreiber des Gebäudes – im Fall der IKG-Aula die Stadt – oder der Veranstalter. Beide riskierten empfindliche Strafen.
Der 1,20-Meter-Abstand zwischen den Tischen sei der vorgeschriebene Fluchtweg. „Wenn es um ein bis zwei Zentimeter geht, sind wir auch nicht so streng“, sagt der Sprecher der Stadt. Das Vorhalten von Ohrenstöpseln sei indes keine Vorschrift, sondern eine Empfehlung. Die Veranstalter könnten auch darauf verzichten. „Aber wenn ein Besucher wegen eines Hörsturzes klagt, ist das ihr Problem.“ Lastwagen versperren Zufahrt zur Umzugsstrecke Seit 2018 werden entlang der Umzugsstrecke an der Groß Bruck, an Bahnhof- und Königstraße, Weimarstraße und ZOB Lastwagen von Feuerwehr und Bauhof abgestellt, um zu verhindern, dass andere Fahrzeuge in die Menge gesteuert werden. Sonja Vogler sieht das als wichtig an. Sie sagt aber auch: „Es ist traurig, dass man so etwas überhaupt braucht“, und bezieht sich auf die Attentate von Nizza und Berlin.
Arno Specht mag das Wort Amoksicherung dagegen nicht verwenden: Die Barrieren seien auch dafür gedacht, dass uneinsichtige Anwohner während der Veranstaltung nicht durch die Menschenmenge fahren.
Der Honberg-Vorstand ist erleichtert, dass in 41 Jahren Umzug noch nie etwas wirklich Schlimmes passiert ist – und hofft darauf, dass es beim 42. Mal auch glatt geht. Gewisse Vorschriften seien deshalb einfach notwendig. Aber bitte nicht noch mehr. „Wir sind ja schon vorbildlich“, sagt Gannuscio mit Blick auf die Regeln. Und zudem versichert.