Osttirols Berge sind ideal für Tourengeher
Nicht selten kommen mehr Skifahrer die Piste hoch als herunter
LIENZ (dpa) - In Osttirol findet man noch jede Menge Berge für Skitouren. Wer es geselliger mag, kommt zum jährlichen Skitouren-Festival. Dort kann man mit kernigen Bergführern die Hänge hochspuren. Und manchmal ist sogar ein berühmter Alpinist dabei.
Als Steve House auf dem Gipfel ankommt, sieht er aus wie ein Clown. Oder wie eine schlaksige Geisha auf Skiern. Sein Gesicht ist weiß von der Creme gegen die Höhensonne. Alle in der Gruppe lachen, er selbst auch. „Zumindest bekomme ich später mal keinen Hautkrebs“, sagt House schulterzuckend. Nein, eitel oder gar kapriziös ist er nicht, der 48-Jährige mit den ergrauenden Haaren und dem spitzbübischen Lächeln. Dabei ist er ein Star, auch wenn das zu Hause in Ridgway, Colorado, keiner seiner Nachbarn weiß. 2005 bekam House für die Durchsteigung der Rupalwand am Nanga Parbat im Alpinstil den Piolet d’Or verliehen, die bedeutendste Auszeichnung für Alpinisten. Reinhold Messner sagte über ihn, er sei der weltbeste Extrembergsteiger unserer Zeit.
Nun steht dieser Bergfanatiker auf dem Marchkinkele, einem Berglein in Osttirol. Und hört gar nicht mehr auf zu schwärmen. „Diese Berge sind für Skitouren gemacht“, sagt House. „Dieses wellige Gelände, diese geschmeidigen Hänge, die perfekte Steilheit. Und dazwischen immer wieder Hügel als Sicherheitsinseln.“Viele Berge hier böten gute Abfahrten nach mehreren Seiten, sodass man sich je nach den Verhältnissen entscheiden kann. Außerdem gebe es keine Gletscher mit heimtückischen Spalten. Und weil die Berge niedriger sind als in den Westalpen, pfeife der Wind weniger scharf. Man könnte das als Werbegewäsch abtun, schließlich wurde House als Stargast für das Skitouren-Festival 2018 nach Osttirol eingeflogen. Aber seine Begeisterung wirkt echt. House weiß, wovon er spricht. Als er 18 war, ging er hier seine erste Skitour, auf den Hochschober. Damals studierte er ein Jahr in Slowenien und entdeckte gerade seine Liebe zum Bergsteigen. „Ich war immer interessiert an Orten, wo ich mir meine eigene Route, mein eigenes Abenteuer suchen kann“, sagt House. „Das mag ich an Osttirol: Hier gibt es raue, echte Berge.“Mehr als 50 Gipfel in der Region hat er schon auf Skiern erklommen. Allein die anspruchsvolle HochtirolTraverse ist er viermal gegangen.
Natürlich kennt House die Schattenseiten des Tourengehens. Am Vorabend hat er im Gemeindesaal von Außervillgraten erklärt, wie man Risiken wie Lawinen und Abstürze umgehen kann. Rund 70 Tourengeher saßen vor ihm, viele bärtige Bergler in Funktionsklamotten, aber auch ein gutes Dutzend Anfänger. Vor allem in den Hohen Tauern müsse man genau wissen, was man tut, so House. Denn die Lawinenprognose sei hier weniger zuverlässig als in Nordtirol. „Beim Skitourengehen darf man nur kleine Fehler machen. Sonst stirbt man.“
Der Weiler Kalkstein auf 1639 Metern Höhe ist das perfekte Basislager für ein halbes Dutzend leichte bis mittelschwere Skitouren. An diesem Samstag Ende Januar ist der Parkplatz schon früh morgens halb voll. Aufgekratzte junge Männer und
„Das mag ich an Osttirol: Hier gibt es raue, echte Berge.“Steve House, US- amerikanischer Bergsteiger
Frauen wuseln durcheinander, laden Ski aus dem Kofferraum, ziehen Felle auf. Bergführer Hannes Grüner hat sich für das Marchkinkele entschieden. „Kurz und knackig“, schreibt Steve House in seiner Osttiroler Tourenbroschüre. Grüner und er spuren voran, vorbei an der urigen Alfenalm und links hinein ins Marchental. Die Ersten ziehen ihre Jacken aus. „Hier im Kessel gehen viele Leute, die auf der Piste mit Skitouren angefangen haben und sich jetzt ins Gelände wagen“, sagt Grüner. Es sind die Kinder des Skitourenbooms der vergangenen Jahre. In Osttirol werden sie bisher in den Skigebieten geduldet. Wohl auch, weil sich die etwas abgelegene Region als Skitourengebiet vermarktet.
Am Hochstein bei Lienz kommen mittlerweile oft mehr Skifahrer die Piste hoch als hinunter. Im Skigebiet Zettersfeld, auf der anderen Seite der Stadt, steigen viele von der Faschingalm über die Schneise eines früheren Schlepplifts auf, um am Rand der Piste hinüber zum Goisele und zum Spitzkogel zu gehen, mit Blick auf die Schobergruppe und auf den Glödis, das Osttiroler Matterhorn. Das Risiko ist überschaubar. Die breiten Pisten sind selbst an sonnigen Tagen leer. Wer es noch stiller mag, geht am Abend mit Stirnlampe hinauf zur herrlich über einer Felswand sitzenden Dolomitenhütte, isst Schlipfkrapfen und kurvt über die Piste hinab ins Tal.
Im Marchental sind an diesem Morgen nur das eigene Atmen und das Klackern der Bindungen zu hören. Ringsum breiten sich Schneehänge aus, vereinzelt stehen Bäume, die Gipfel leuchten in der Morgensonne. „Schaut, da oben sind Gämsen“, sagt einer aus der Gruppe und deutet auf den Bergkamm. Er liegt falsch. „Da sind schon seit 20 Jahren keine Gämsen mehr“, weiß Grüner. „Die sind jetzt alle in den ausgewiesenen Ruhegebieten. Sie wissen genau, wo die Menschen laufen.“
Im schattigen Hang steigt Grüner auf, so langsam, dass man sich noch unterhalten kann. Steve House erzählt von seiner Kindheit am Fuße der Rocky Mountains, seiner Studienzeit in Slowenien und seinem neuen Leben nach der Bergsteiger-Karriere. 2011 hat er das extreme Klettern beendet, heute schreibt er Bücher, gibt Onlinekurse. Er lebt in Ridgway und Klagenfurt. Der Grund dafür ist seine Frau Eva, die früher hier in Osttirol als Kajakerin trainierte. Die Kärntnerin schrieb ihm eine Mail, als sie ihren Job bei einer Bank kündigte und in Nepal Berge besteigen wollte. Er antwortete, und als sie auf ihrer Weltreise nach Colorado kam, trafen sich die beiden. Heute haben sie einen gemeinsamen Sohn. Seine Leidenschaft für die Berge ist freilich nicht erloschen. „Seht ihr die Spur in der Nordwand?“, fragt er grinsend. „Das war ich gestern.“
Immer steiler geht es im Zickzack bergauf, ein letztes eisiges Engstück, dann steht man auf dem Sattel in der Sonne. Hier öffnet sich ein grandioser Fernblick, nach links in die Lienzer Dolomiten, nach rechts in die Hohen Tauern. Kurzer Fotostopp, dann spurt Grüner weiter auf dem Kamm Richtung Gipfel. Sanft steigt der Grat an, die Aussicht wird immer fantastischer. Bald kommen die Drei Zinnen in den Blick, der Zwölferkofel, die ganze Herrlichkeit der Südtiroler Dolomiten. Ein letzter Anstieg, dann steht man auf dem Gipfel. Umarmungen, Berg Heil. Zwei Dutzend Tourengeher lagern auf dem kleinen Plateau, machen Gruppenfotos oder schauen einfach. In alle Richtungen stechen weiße Berge ins Himmelblau: die Sextener Sonnenuhr, der Karnische Kamm, die Zillertaler Alpen.
Neben dem Gipfelkreuz liegt ein Stein, darauf ein Strich und die Buchstaben I und Ö. Ein Grenzstein. Das nächste Tal gehört schon zu Italien. „Hier unterhalb sind Bunker, die Mussolini zwischen den Weltkriegen bauen ließ“, sagt Grüner. Am liebsten würde man zwischen ihnen hindurch kurven, nach Südtirol, und unten weiter, in die Dolomiten hinein. Ein anderes Mal vielleicht. Das Skigebiet Zettersfeld liegt über der Stadt Lienz. Es bietet zwar nur 28 Kilometer Skipisten, aber die überwiegend roten, perfekt präparierten reichen locker für einen Skitag. Das Skigebiet Hochstein ist noch kleiner, aber anspruchsvoller. Es gibt mehrere schwarze Pisten, darunter jene für den Damen- Weltcup im Slalom und Riesenslalom. Rasant ist auch die Rodelbahn Osttirodler, die sich am Hochstein durch den Wald schlängelt. Von der Dolomitenhütte kann man jeden Abend auf Holzschlitten mit eingebauter Leuchte auf der Forststraße und einer eigenen Bahn 7,5 Kilometer weit nach Lienz abfahren. Für Langläufer sind 400 Kilometer Loipen gespurt. Eine große Auswahl an Skitouren bietet sich von Kalkstein und vom Parkplatz Reiterstube bei Außenvillgraten aus an. Weitere Informationen: Osttirol Information, Tel.: 0043/ 50212212, E- Mail: info@ osttirol. com