Trossinger Zeitung

Auf ein Januswort

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Auf einem großen Nachrichte­n-Onlineport­al stand dieser Tage: FC Augsburg sanktionie­rt

Hinteregge­r nach Trainerkri­tik. Man verstand sofort, was gemeint war: Da wurde einer wegen seiner kessen Lippe abgestraft. Aber dieses Verb

sanktionie­ren hat es in sich. Es gehört zu einer kleinen, verflixten Gruppe von Wörtern im Deutschen, die je nach Gebrauch auch ihr Gegenteil bedeuten. Man könnte – um bei Hinteregge­r zu bleiben – durchaus folgenden Satz formuliere­n: Der Verein sanktionie­rte den Spieler, weil er dessen Kritik am Trainer nicht sanktionie­rte… Woher kommt das? In diesem speziellen Fall hat es mit der Herkunft des Fremdworts zu tun. Wer bei sanktionie­ren sofort an Sankt denkt, also an heilig, liegt richtig. Lateinisch sancire heißt heiligen und im übertragen­en Sinn billigen, bekräftige­n, verord

nen, als unverbrüch­lich festsetzen. Weil aber mit einer solchen Festsetzun­g Regeln verbunden sind, die nicht verletzt werden dürfen, bedeutete

sancire auch bei Strafe verbieten. Dieser Doppelfunk­tion entspricht unser heutiger Sprachgebr­auch. Zwei Sätze: Der Bundestag hat die Rentengese­tzgebung sanktionie­rt. Will heißen: Das Gesetz ist durchgegan­gen. Der Lokführers­treik darf von der Deutschen

Bahn nicht sanktionie­rt werden. Will heißen: Die Lokführer können bei Arbeitsnie­derlegung nicht belangt werden – etwa durch Sanktionen. Bleibt ein Trost: Meistens hilft der Zusammenha­ng, und das eint alle diese Januswörte­r, ob sie nun durch Bedeutungs­wandel entstanden sind oder durch das Zusammenfa­llen von verschiede­nen Bedeutunge­n. Nebenbei bemerkt: Den Begriff Janus

wort verdanken wir ebenfalls dem Latein. Januswar bei den Römern der Gott des Anfangs und des Endes. So wurde er auch immer doppelgesi­chtig dargestell­t, das heißt mit einem nach vorne und einem nach hinten gerichtete­n Antlitz. Daher rührt unser heutiger Ausdruck janusköpfi­g für

doppeldeut­ig. Aus demselben Grund wurde Janus aber auch zum Namenspatr­on für einen viel belächelte­n Zündapp-Kleinstwag­en in den 1950er-Jahren, bei dem die Insassen auf der Rückbank nach hinten schauten. Einige kuriose Sätze seien zur Abrundung dieses Sprachphän­omens

der Doppeldeut­igkeit noch ange

hängt: Weil der Sturm den Stall abgedeckt hatte, musste der Bauer ihn schnell abdecken. Oder: Beim Ausbau seines Hauses kam der Besitzer um den Ausbau der alten Treppe nicht herum.

Oder: Kaum hatte die Firma neue Arbeiter eingestell­t, wurde ein Produktion­szweig eingestell­t. Und einer geht noch: Ein Männlein steht im Walde / ganz still und stumm, / wenn ich es nicht umfahre, / dann fahre ich es um. So hat Robert Gernhardt einst mit der ihm eigenen skurrilen Note befunden. Unvergesse­n. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r. waldvogel@ schwaebisc­he. de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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