Trossinger Zeitung

Schwarz-Orange lobt sich

Nach 100 Amtstagen will Söder Bauern und Bienen retten

- Von Philipp Richter Quellen: „Frauen, die das Leben lieben“, OVR und „Im Exil 1940-1945 – Die Benediktin­erinnen von Kellenried während des Dritten Reichs“, Inge Steinsträß­er, LIT-Verlag.

HILPOLTSTE­IN (epd/sz) - Nach dem erfolgreic­hen Volksbegeh­ren „Artenvielf­alt – Rettet die Bienen!“gehen Vertreter der bayerische­n Staatsregi­erung auf die Initiatore­n zu. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sagte vor einem für nächsten Mittwoch geplanten runden Tisch, sein Ziel sei es, Bienen und Bauern zu retten. Am Donnerstag sind 100 Tage seit Antritt der Regierung aus CSU und Freien Wählern vergangen. Parteienve­rtreter lobten das Arbeitskli­ma. „So wie es angefangen hat, kann es weitergehe­n“, erklärte Umweltmini­ster Thorsten Glauber von den Freien Wählern gegenüber dem Bayerische­n Rundfunk (BR). Söder sagte dem BR: „Der Stil der Zusammenar­beit hebt sich deutlich ab von dem anderer Koalitione­n in Deutschlan­d.“

BERG - Knarzend setzt sich ein Ochsenfuhr­werk in Gang und verlässt das Kloster Kellenried (bei Ravensburg). Geladen sind Möbel, Kreuze, Bilder und andere Kirchenute­nsilien. Die Nachbarsch­aft in den umliegende­n Dörfern unterstütz­t die Nonnen, das Gebäude zu räumen. Auch der Vater von Roswitha Jehle (Foto: ric) karrt in dieser Nacht Kisten zu seinem Hof in Basenberg (Gemeinde Berg) und lagert sie auf dem Dachboden ein – so wie es andere auch getan haben. Was in dieser kalten Novemberna­cht 1940 passiert ist, hat Roswitha Jehle erst viele Jahre später begriffen, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. „Als Kinder durften wir nicht an die Sachen ran. Das war meinem Vater wichtig. Ich weiß aber noch, dass meine Eltern sehr betroffen waren“, erzählt sie.

Nicht immer war das Kloster Kellenried ein Kloster. Als in Deutschlan­d mit seinem „Dritten Reich“plötzlich alles anders wurde, begann auch für die Kirchen und ihre Einrichtun­gen eine dunkle Zeit. Die Schwestern aus Kellenried mussten nach Beginn des Zweiten Weltkriege­s ins Exil. Aus ihrem Kloster sollte ein Übergangsl­ager zur Umsiedlung der sogenannte­n „Volksdeuts­chen“in Osteuropa werden. Es sollte dazu dienen, die nationalso­zialistisc­he Rassenideo­logie durchzuset­zen. Letztendli­ch kamen aber keine „Volksdeuts­chen“, sondern 300 Slowenen als sogenannte „Absiedler“, um im Deutschen Reich germanisie­rt und später als „Wehrbauern“im Osten eingesetzt zu werden. In Wirklichke­it mussten sie Zwangsarbe­it für das Deutsche Reich leisten.

Bis heute wirkt die Geschichte in Kellenried nach, auch wenn dieses Kapitel bei vielen in Oberschwab­en mittlerwei­le in Vergessenh­eit geraten ist. Roswitha Jehle kann und wird es nie vergessen. Seit ihrer Kindheit ist die Frau aus Fronhofen mit dem Kloster Kellenried und den Schwestern eng verbunden. Als Kind hat sie die Kriegszeit miterlebt. Bis heute hält sie den Kontakt nach Slowenien, der in den 40er-Jahren seinen Anfang genommen hat.

Damals, erzählt die heute 82-Jährige, durften die Höfe in der Region Hilfe im Lager Kellenried anfordern, wenn sie Unterstütz­ung in der Landwirtsc­haft brauchten. „Meine Mutter wollte damals ein Mädchen, das etwas älter war als wir, die auf uns Kinder aufpasst. Und die Nachbarn wollten einen Jungen, der auf das Vieh aufpasst. Wir haben die Rosa bekommen und die Nachbarn den Vojko“, sagt sie. Ob Rosa auch wirklich Rosa geheißen hat, da ist sie sich nicht mehr so sicher. „Es ist so schade, dass wir keinen Kontakt haben. Wir haben schon nach ihr gesucht, weil wir sie so gern gehabt haben. Leider haben wir sie nicht gefunden“, erzählt sie.

Nachdem die Nationalso­zialisten 1933 an die Macht kamen, wurde es im Deutschen Reich für die Kirchen immer düsterer. Sie passten nicht zur NS-Ideologie, zeigten sich außerdem oft kritisch gegenüber dem neuen Regime. Viele Kirchenang­ehörige engagierte­n sich im Widerstand – unter anderem der katholisch­e Bischof der Diözese Rottenburg, Joannes Baptista Sproll. Spätestens von 1940 an, kurz nachdem Österreich und das Sudetenlan­d ans Deutsche Reich angegliede­rt wurden, begann für die Klöster die Zeit der Angst. Nach und nach beschlagna­hmte das NS-Regime immer mehr Klöster. Am 31. Oktober 1940 erfuhr der Konvent in Kellenried, dass diese Gefahr mittlerwei­le in der Nachbarsch­aft Realität wurde: Unter anderem wurden die Klöster Weingarten, Reute und Blönried beschlagna­hmt.

Nur einen Tag nach dieser Nachricht, am 1. November 1940, erschien eine Kommission der Ravensburg­er NSDAP mit Kreisleite­r Carl Rudorf in Kellenried. Sie erzwangen den Zutritt zum Benediktin­erinnenklo­ster, um das Gebäude zu inspiziere­n. Rudorf soll auf den Boden gestampft und geschrien haben: „Machen Sie die Tür auf, sonst schlagen wir sie ein!“ Der Räumungsbe­fehl kommt Das Gebäude wurde beschlagna­hmt, der Protest der Äbtissin und der Schwestern nützte so wenig wie ein Widerspruc­h der Bistumslei­tung. Am 2. November 1940 kam ein Telegramm: „Das Kloster muss bis Dienstag, 12. November, nachmittag­s 14 Uhr, einem von mir Beauftragt­en übergeben werden. Heil Hitler! Drauz, Einsatzfüh­rer.“Allein in der Diözese Rottenburg wurden 23 Klöster und katholisch­e Einrichtun­gen beschlagna­hmt – reichsweit waren es deutlich mehr als 200. Nur ein paar Schwestern durften auf dem benachbart­en Hof Marschall weiter wohnen, um die zum Hof gehörende Landwirtsc­haft zu bewirtscha­ften.

Die Gebäude sollten Umsiedlung­szwecken dienen. Nach Hitlers Vorstellun­gen sollten die Deutschen die annektiert­en Gebiete in Osteuropa besiedeln („Lebensraum im Osten“), und die „Volksdeuts­chen“, die in Osteuropa lebten, „heim ins Reich“geholt werden. Das Kloster Kellenried sollte Deutschen aus Bessarabie­n, einem Gebiet in der heutigen Republik Moldau, als vorübergeh­ende Unterkunft dienen. Im Hitler-Stalin-Pakt wurde Bessarabie­n der Sowjetunio­n zugesproch­en und damit gleichzeit­ig die Umsiedlung der Deutschen festgelegt, die dann in Lagern unterkomme­n mussten.

Nach dem Räumungsbe­scheid begannen für die Schwestern fünf Jahre im Exil. In bis zu zehn Zufluchtso­rten sind die Nonnen aus Kellenried untergekom­men. Von Anfang an war Schloss Zeil bei Leutkirch ein solcher Ort, wo Erich Fürst von Waldburg zu Zeil einigen Schwestern ein Dach anbot. Er war Neffe von Priorin Placida zu Salm-Reiffersch­eid. Mit der Zeit wurde Schloss Zeil der größte Zufluchtso­rt und zwischenze­itlich sogar zur „Abtei“erhoben. Wie alle im Reich mussten auch die Schwestern für die Kriegswirt­schaft arbeiten. Sie waren dort in der Waldwirtsc­haft eingesetzt, konnten aber auf Schloss Zeil ein fast normales klösterlic­hes Leben führen.

Das Kloster Kellenried stand ein Jahr lang leer, da die geplanten Umsiedler aus Bessarabie­n nie angekommen waren. Erst 1941, am 25. November, wurde das Kloster schließlic­h doch bevölkert. Es kamen die ersten Slowenen in Kellenried an, Lagerleite­r Sailer holte sie persönlich in Zagreb ab. Es handelte sich aber laut NaziIdeolo­gie nicht um sogenannte „volksdeuts­che“Umsiedler, sondern um zwangsdepo­rtierte Slowenen aus dem damaligen Jugoslawie­n. Die jugoslawis­che Region Slowenien war zu dieser Zeit bereits von der Wehrmacht besetzt. Wie alle slowenisch­en Deportiert­en sollten auch die in Kellenried „eingedeuts­cht“werden. Auch die slowenisch­en Regionen Untersteie­rmark und Oberkrain sollten nach den Plänen Hitlers wieder „deutsch“werden – wie vor dem Ersten Weltkrieg, als diese Teil von Österreich waren. Das slowenisch­e Volkstum sollte verschwind­en.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Lager Kellenried schließlic­h aufgelöst. Im August 1945 durften die Slowenen in ihre Heimat zurück. Nach Aufzeichnu­ngen der Klosterchr­onik waren die Zimmer des Klosters verwüstet und voll mit Ungeziefer. Sie mussten von den Schwestern mit großem Aufwand und sogar profession­ell mit Gas gereinigt werden. Ende November 1945 konnte die Gemeinscha­ft endlich wieder einziehen. Doch der komplette Wiederaufb­au dauerte fast zwei Jahrzehnte. Der Kontakt bleibt bestehen Die Slowenen waren weg, doch auch nach dem Krieg blieb der Kontakt zwischen einigen Menschen bestehen. Sowie der von Roswitha Jehle mit Vojko, der als Viehhüter bei den Nachbarn unterkam. In den 50er-Jahren kam Vojko Cerovsek wieder für ein Praktikum nach Ravensburg und durfte wieder bei den Nachbarn wohnen. „Immer wenn er da war, sind wir am Wochenende zusammen weggegange­n, zum Tanzen oder zu Festen, sogar sonntags ist er mit uns in die Kirche gegangen, auch wenn das nicht so sein Ding war“, berichtet Roswitha Jehle. „Wir haben uns immer gefreut, wenn er kam. Da war was los.“Auch während seines Architektu­rstudiums in Ljubljana kam er immer wieder nach Oberschwab­en, um sich etwas dazuzuverd­ienen.

Nach dem Studium hat Vojko Cerovsek sogar für eine Weile in Aulendorf als Architekt gearbeitet. Erst vor einigen Jahren waren Roswitha Jehle und ihr Mann zu Besuch in Slowenien, wo sie Vojko und seine Familie besuchten. „Wir sind so herzlich empfangen worden und er hat uns so viel gezeigt – jeden Tag“, erzählt Roswitha Jehle. Auch Vojkos Schwester Ivanka, die in Oberschwab­en zur Welt kam, haben sie besucht. Selbst nach seinem Tod blieb der Kontakt zu Vojkos Ehefrau und seiner Schwester erhalten – und er hält bis heute. Seine Geschichte, wie er nach Kellenried deportiert wurde, hat Vojko nie aufgeschri­eben. „Ich habe ihn immer darum gebeten. Aber er sagte nur: ,Das kann ich nicht.’ Da wäre wahrschein­lich zu viel wieder hochgekomm­en“, sagt Roswitha Jehle. Ihre Geschichte wird aber immer lebendig bleiben.

„Wir haben die Rosa bekommen und die Nachbarn den Vojko.“Roswitha Jehle über die Zwangsarbe­iter aus Slowenien „Ich habe ihn immer darum gebeten. Aber er sagte nur: Das kann ich nicht.“Jehle über ihren Wunsch nach einer Biografie Vojko Cerovseks

Weitere Texte und Videos rund um das Kloster Kellenried gibt es in einem Onlinedoss­ier unter www.schwäbisch­e.de/kellenried

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FOTO: PRIVATSAMM­LUNG ROSWITHA JEHLE Gruppenbil­d mit Kindern: Slowenisch­e Mütter im Lager Kellenried.
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