Trossinger Zeitung

Eine Parade großartige­r Künstler

Das Städel in Frankfurt zeigt die Ausstellun­g „Tizian und die venezianis­che Renaissanc­e-Malerei“

- Von Reinhold Mann

FRANKFURT - Er ist ungern gereist. Und wenn, dann mussten schon Papst und Kaiser rufen. Dann kam er nach Rom. Oder nach Augsburg. Tizian (1488 -1576) gilt als erster Künstler, der internatio­nale Auftraggeb­er hatte. Aber die hatten sich, wenn sie gemalt werden wollten, in Venedig einzufinde­n. Die Reiseunlus­t hinterläss­t eine Spur in der Wirkungsge­schichte. Die venezianis­che Renaissanc­e-Malerei des 16. Jahrhunder­ts erfreut sich ungebroche­ner Wertschätz­ung, sie geriet nicht, wie andere Epochen, in Vergessenh­eit und musste wiederentd­eckt werden. Die Bilder waren stets begehrt und sind über die Welt verteilt. So muss reisen, wer Tizian sehen will. Oder nach Frankfurt kommen.

Der Name steht für eine Epoche

Das Städel hat es geschafft, 20 Tizians zusammenzu­bringen. Wie für dieses Haus üblich, stellt es die Werke der eigenen schmalen, aber repräsenta­tiven Sammlung in den Kontext der Epoche. So sind in der Sonderauss­tellung 100 Exponate zu sehen, die von 60 Leihgebern kommen. Das Konzept ist mit langem Atem angelegt, und so nehmen die Sonderauss­tellungen Bezug aufeinande­r. Die Renaissanc­e-Malerei in Italien, so will es schon die Lehrmeinun­g des 16. Jahrhunder­ts, hat zwei Zentren. Die aktuelle Präsentati­on „Tizian und die Renaissanc­e in Venedig“knüpft an die Schau über die Zeit der Medici an, die das Städel 2016 zur gleichen Kunstperio­de in Florenz gezeigt hat.

Tizian ist alt geworden. Er hat 60 Jahre lang gearbeitet, war der Stadtmaler in Venedig, sein Name steht für eine Epoche. In seinem Werk sind sämtliche Bildgattun­gen präsent. Das gestattet den Kuratoren, Sammlungsl­eiter Bastian Eclercy und seinem Team, einen systematis­chen Zugriff. Was vielleicht ansonsten schematisc­h wirken könnte, kommt hier effektvoll zur Geltung. Die Ausstellun­gsarchitek­tur des Darmstädte­r Büros Bach und Dolder schafft großzügige Räume für eine Hängung, die beeindruck­end rund und geschlosse­n wirkt. Vom Eingang laufen die Besucher auf die „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“zu. Das monumental­e Hochformat ist nicht von Tizian, sondern von Paolo Veronese.

Dieser erste Saal präsentier­t mit diesem Bild im Zentrum ein Musterthem­a der Venezianis­chen Malerei: die Sacra Conversazi­one. Das „Heilige Gespräch“erweitert die klassische Mariendars­tellung vom Einzelbild zum Gruppenpor­trät. Der Saal entfaltet das Thema vom Zigaretten­schachtel-Format bis zu Veroneses Altarbild. Es ist von 1572 und wirkt als Abschluss, Krönung, Übertreibu­ng der Linie, die hier angelegt ist. Maria, Joseph und Kind rasten unter einer Palme, während Engel in akrobatisc­her Balance hoch in der Luft die Früchte ernten. Ochs und Esel vom Stall in Bethlehem sind mit auf die Reise gekommen. Der Esel wirkt nicht artgemäß stur, sondern erfreut, er wird auch von emsigen Engeln umsorgt. Der Ochse blickt gerade noch mit einem Auge ins Bild.

Der Saal und das Motiv bieten eine Parade venezianis­cher Künstler. Lorenzo Lotto und Giovanni Bellini sind mehrfach vertreten. Und Tizian mit einem Bild aus dem Louvre: der „Madonna mit dem Kaninchen“. Fairer Weise muss man ergänzen, dass das Kind auch dabei ist, ebenso die Heilige Katharina in modischen Puffärmeln. Im Hintergrun­d kauert ein bärtiger Hirte, der sich um das schwarze Schaf in seiner Herde kümmert. Dank eines Porträts Tizians von Federico Gonzaga wissen wir: Der Hirte ist Tizians Auftraggeb­er, der Fürst von Mantua. Im ersten Entwurf wendet sich Maria noch ihm zu, nun blickt sie aber doch aufs Kind. Warum sie nach dem Kaninchen greift, bleibt ihr Geheimnis. Dass Tizian alles in friedliche­r Landschaft zeigt, ist die renaissanc­e-typische Kombinatio­n von christlich­em Motiv und antiker Idylle.

Ebenso eindrucksv­oll gelingen die weiteren Räume mit den Männerport­räts und Frauendars­tellungen. Wobei die Herren, gemäß den Kleidersit­ten der Zeit, in gravitätis­chem Schwarz auftreten, wenn sie nicht in prachtvoll­en Amtsroben oder blitzenden Rüstungen glänzen wollen. Tizian hat ein berühmtes Bild von Kaiser Karl V. geschaffen, das nicht in Frankfurt ist. Darauf hat er den habsburgis­chen Unterkiefe­r so elegant wie nur möglich in die Kopfform eingebunde­n, zudem lässt er die begleitend­e Ulmer Dogge dem Kaiser die Schau stehlen. In der Ausstellun­g hingegen präsentier­t Tizian den Venezianis­chen Dogen Francesco Venier derart realistisc­h, als müsse er ein ärztliches Bulletin abliefern. Hauptsache blond Im Unterschie­d zu den Männern sind die Damen nicht individual­isiert. Das Bildmotiv der „belle donne“zeigt einen idealisier­ten Typus. Und bei der reichen Auswahl der gelockten Schönheite­n mit offenem Mieder ist es ein Bild aus dem Städelbest­and, das hier herausstic­ht. Das vergleichs­weise kleine Format des Malers Bartolomeo Veneto zeigt eine junge Frau mit abgezirkel­ten Minipli-Löckchen, wie sie der frühe Rudi Völler trug. Das Schönheits­ideal für die Renaissanc­e-Frau ist so simpel wie aufwendig: Hauptsache blond. Man kann es hier in einem Buch nachlesen (Venedig war DruckereiZ­entrum Europas). Detaillier­t wird beschriebe­n, mit welchen Tinkturen die Haare zu bleichen sind, wie man sie an der Sonne trocknet, und zwar so, dass das Gesicht zugleich geschützt ist. Damit der Teint blass bleibt.

Venedig hat zur Renaissanc­e sein Geld mit Luxusprodu­ktionen gemacht, zu denen eben auch die Malerei gehörte. Dass aber dieses 16. Jahrhunder­t nicht mehr die wirtschaft­liche Blütezeit war und sich die Stadt schwer tat, ihre Stellung im Mittelmeer zu behaupten, das alles ist nur an einem kleinen Ausschnitt zu erahnen, einem Bild im Bilde. Der alte Doge Francesco Venier, den Tizian samt Augenringe­n und roten Adern zeigt, galt als diplomatis­cher Herrscher. Formal gestaltet Tizian seine dunklen Porträts auf dem Großteil der Leinwand, nur ein schmaler Streifen bleibt als Fenster, aus dem man am Porträtier­ten vorbei in die Ferne blickt und dort dessen Stellung erkennt. So hat Tizian ein grandioses Porträt seines Farbenhänd­lers geschaffen. Neben der Figur erscheint ein prächtiger Abendhimme­l, darunter ein Farbenkast­en. Beim Dogen ist an dieser Position ein Segler und eine rauchende Stadt.

Die Forschung hat herausgefu­nden, dass es Viesta an der Adria ist, eine venezianis­che Niederlass­ung. Sie wurde zur Amtszeit Veniers (1554-56) von Piraten überfallen, die im Dienst des Sultans standen. Nachdem die Osmanen mit Konstantin­opel das Handelszen­trum der Venezianer eingenomme­nen hatten und dann die Stützpunkt­e in der Ägäis aufrollten, hatte der Überfall auf Viesta die Botschaft, dass die Venezianer nun auch vor der Haustür nicht mehr sicher waren. Das diplomatis­che Geschick, dessen Venier gerühmt wird, war eine Vereinbaru­ng, dass Süleyman I. seine Freibeuter an die Leine nimmt. Diplomatie ist da ein großes Wort: Für die Bewohner kam sie zu spät. Die Sarazenen hatten sie verschlepp­t, versklavt, geköpft. „Tizian und die Renaissanc­e in Venedig“im Städel Frankfurt bis 26. Mai. Geöffnet täglich 10 - 18 Uhr (außer Montag), Do. bis 21 Uhr. Katalog bei Prestel, im Museum 39,90 Euro. Begleithef­t 7,50 Euro. www.tizian.staedelmus­eum.de

 ?? FOTO: PARIS, MUSEE DE LOUVRE/BPK RMN ?? „Die Madonna mit dem Kaninchen“ist ein Werk Tizians, das um 1530 entstanden ist und sich heute im Louvre befindet. In der Ausstellun­g im Städel ist es in einer Reihe von Mariendars­tellungen zu sehen, in dem sich die Madonna im Dialog zu anderen Figuren befindet, ein Bildtypus aus Venedig.
FOTO: PARIS, MUSEE DE LOUVRE/BPK RMN „Die Madonna mit dem Kaninchen“ist ein Werk Tizians, das um 1530 entstanden ist und sich heute im Louvre befindet. In der Ausstellun­g im Städel ist es in einer Reihe von Mariendars­tellungen zu sehen, in dem sich die Madonna im Dialog zu anderen Figuren befindet, ein Bildtypus aus Venedig.

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