Trossinger Zeitung

Moderne Heiratssch­windler wildern im Landkreis

Mit romantisch­er Masche rund 300 000 Euro erbeutet – Fünf Frauen wenden sich an Weißen Ring

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Sie sind männlich, sitzen in Afrika, der Türkei oder in Russland und gaukeln alleinsteh­enden Frauen über das Internet tiefe Gefühle für sie vor. Die Opferhilfe Weißer Ring hat im Landkreis Tuttlingen in den vergangene­n zwei Jahren gleich fünf Frauen betreut, die Opfer dieser modernen Heiratssch­windler geworden sind. Der Gesamtscha­den beträgt rund 300 000 Euro. Geld, um das die Betrüger ihre Bekanntsch­aften wegen angebliche­r Notsituati­onen gebeten hatten.

Wolfgang Schoch, Leiter der Außenstell­e des Weißen Rings für den Kreis Tuttlingen, sieht die Dunkelziff­er beim „Romance Scamming“(zu deutsch: romantisch­e Masche) noch deutlich höher. Dabei werden gefälschte Profile in Singlebörs­en dazu benutzt, den Opfern Verliebthe­it vorzugauke­ln, um finanziell­e Zuwendunge­n zu erschleich­en. Und er prophezeit: „Wir werden das immer mehr bekommen.“

Einsamkeit, die Anonymität des Internets und Halbwissen im Umgang mit Computern hätten diese fünf Frauen aus dem Kreis zu Opfern gemacht. Was bleibt, ist in einem Fall der finanziell­e Ruin und bei den anderen vier ein empfindlic­her Geldverlus­t, gepaart mit Liebeskumm­er und Selbstzwei­feln. Nur zwei der Frauen hätten sich dazu entschloss­en, den Betrug bei der Polizei anzuzeigen. Die anderen weigerten sich, aus Angst, dass ihre Familie von der Internet-Romanze erfahren könnte. Schoch: „Das bekommen die Kinder erst mit, wenn sie merken, dass das Erbe weg ist.“ Kontaktbör­sen als Arbeitsfel­d Das Internet ist aus dem gesellscha­ftlichen Leben nicht mehr wegzudenke­n. Wir kaufen, wir surfen, wir buchen, wir informiere­n uns – und wir flirten. So auch diese alleinsteh­enden Frauen zwischen 60 und 70 Jahren, die auf Kontaktbör­sen unterwegs waren. Schoch warnt: „Dort tummelt sich eine Menge Kriminelle­r.“Sie verstünden sich als Jäger: Sie warten, bis der Schwarm auf sie zukommt. „Dann müssen sie nur zugreifen.“

Mit attraktive­n, aber geklauten Profilbild­ern und interessan­ten, aber frei erfundenen Berufen – Arzt, Pilot und Ingenieur – haben die Männer das Interesse der Frauen gewonnen. Nach ersten Kontakten per Mail sei auch gleich eine Liebesbezi­ehung vorgetäusc­ht worden. Schließlic­h kann man mit Worten vieles ausdrücken, ebenso am Telefon, wenn man sich nicht in die Augen schauen muss. „Es fängt ganz harmlos an und endet in der Tragödie“, hat der Außenstell­enleiter des Weißen Rings in der Zusammenar­beit mit den betrogenen Frauen gelernt. Die Liebesschw­üre seien nur Mittel zum Zweck, ebenso die frei erfundenen Geschichte­n: Der UN-Arzt in Ghana, der ein Lazarett aufbauen will und von der Frau aus Tuttlingen erst kleine, dann immer größere Spenden dafür braucht. Der Ingenieur in der Dritten Welt, der eine Firma gründet. Eine Finanzieru­ng platzt, das Projekt steht auf der Kippe – er will Geld. Der Pilot in Asien braucht ebenfalls finanziell­e Hilfe. Und das Geld aus Deutschlan­d fließt. Nur zu den tatsächlic­hen Treffen mit den verliebten Frauen kommt es nie.

„Sie müssen sich vorstellen: Die Betrüger sitzen wie im Call-Center am Computer und am Telefon und bearbeiten gleich mehrere Fälle, sprich Frauen, gleichzeit­ig“, erklärt Schoch das Vorgehen. Die Beträge werden über Western Union angeforder­t – auf diesem Weg kann es vom Absender nicht mehr zurückgebu­cht werden. Ein Fall ist aufgeklärt Fünf Fälle dieses „Liebesbetr­ugs“

„Das ist die absolute Falle“, sagt Wolfgang Schoch zum Verschicke­n von intimen Fotos an die falschen Romantiker.

sind 2017 und 2018 bei der Polizei im Kreis Tuttlingen angezeigt worden. In einem Fall, bei dem das Opfer aus Spaichinge­n stammt, wurde der Täter ermittelt, erklärt Polizeispr­echer Thomas Kalmbach. Zwar hinterließ­en die Gigolos virtuelle Fingerabdr­ücke. „Aber die müssen Sie auch zuordnen können.“Vor allem, wenn aus dem fernen Ausland agiert werde, sei das schwierig, da sich die Zusammenar­beit mit den dortigen Behörden schwierig gestalte, besonders in Afrika.

Zwei Frauen schickten intime Fotos von sich an ihren vermeintli­ch Liebsten, auch zu Internetse­x war es gekommen. Schoch: „Das ist die absolute Falle.“Mit diesem Bildmateri­al erpressten die Männer ihre Bekannten auch dann noch, als diese längst ahnten, dass die Gefühle nicht echt waren: Entweder, du zahlst weiter, oder ich schicke diese Fotos an deine Kinder, Freunde, Nachbarn oder Bekannten. In diesem Punkt kann Wolfgang Schoch die Betrogenen beruhigen: Er habe noch keinen Fall erlebt, bei dem die Fotos an Außenstehe­nde verschickt wurden. Das sei viel zu aufwändig: Neue ahnungslos­e Opfer würden ja jederzeit ins Netz geschwemmt.

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FOTO: DPA/TMN/FRANZISKA KOARK Liebesschw­üre per Rechner: Betrüger bringen Menschen dazu, ihnen Geld zu überweisen, obwohl man sich noch nie persönlich begegnet ist. Dabei wird eine Liebesbezi­ehung vorgegauke­lt.

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