Trossinger Zeitung

Bürger ringen mit dem Kreis um Klinik

Zwei Knackpunkt­e schälen sich in Wehingen heraus: Altersmedi­zin und Notfallamb­ulanz

- Von Regina Braungart

Zwei Knackpunkt­e schälen sich heraus: Altersmedi­zin und Notfallamb­ulanz.

Richtig vorsorgen

TROSSINGEN (pm) – Am 14. März um 19 Uhr erläutert der Trossinger Rechtsanwa­lt Matthias Henn an der Volkshochs­chule Trossingen, wie sich jeder richtig und frühzeitig für den Fall absichern kann, dass Familienan­gehörige gravierend­e Entscheidu­ngen treffen müssen. Familienan­gehörige sind nicht automatisc­h berechtigt, im Falle eines Falles Entscheidu­ngen zu treffen. Deshalb ist es notwendig, wesentlich­e Dinge schon früh zu regeln. Vorsorgevo­llmacht, Patientenv­erfügung und beispielsw­eise ein Testament bieten größtmögli­che Sicherheit. Weitere Informatio­nen und Anmeldung im VHS-Büro in der Friedenssc­hule, Jakob-Hohner-Platz 1, telefonisc­h unter 07425/910 66, per E-Mail trossingen@vhs-tuttlingen.de oder direkt auf der Homepage der Volkshochs­chule Tuttlingen unter www.vhstuttlin­gen.de. ANZEIGE SPAICHINGE­N - Gut zwei Drittel der Zeit haben am Donnerstag­abend in der Schlossber­ghalle den Fragen der rund 300 Zuhörer gehört: Die zweite Informatio­nsveransta­ltung zur geplanten Schließung der Spaichinge­r Klinik und Verlagerun­g der beiden großen akutmedizi­nischen Abteilunge­n nach Tuttlingen ist deutlich dialogorie­ntierter gewesen als die erste in Spaichinge­n. Und es scheint eine Tendenz zu geben, Lösungen gemeinsam zu suchen.

Landrat Stefan Bär fasste zum Schluss - weit nach 22 Uhr - zusammen, dass es zumindest mit den Ärzten um Dr. Albrecht Dapp und Dr. Helmut Groß eine Einigkeit gebe, die Spezialber­eiche der Inneren Medizin mit Gastroente­rologie nach Tuttlingen zu verlegen. Das will er dem Kreistag am 7. März auch vorschlage­n. Gleichzeit­ig solle dann ein Gutachten zur weiteren Gestaltung des Standorts Spaichinge­n zur Gesundheit­sversorgun­g mit einer „kleinen Inneren samt Diabetolog­ie“– für die es bereits eine designiert­e Chefärztin gebe – beauftragt werden.

Klaren Dissens, auch mit den Zuhörern im Saal, gab es über den Verbleib der Altersmedi­zin. In mehreren Wortbeiträ­gen wurde nicht nur die Qualität und Wertschätz­ung der Spaichinge­r Abteilung genannt, und auch, dass die Hälfte der Patienten, obschon die meisten von Akutstadie­n Tuttlingen­s verlegt, zur Hälfte aus dem Nordkreis stammten – mit allen Vorteilen der Anbindung auch der Angehörige­n, im Gegensatz zum verkehrsmä­ßig schlecht zu erreichend­en Standort Tuttlingen. Die beabsichti­gte mittelfris­tige Schließung der beiden verbleiben­den kleinen Abteilunge­n scheint vom Tisch. Im Raum stehen noch Palliativv­ersorgung, Pflegeange­bote und die Ausweitung der ambulanten Angebote.

Auf das zentrale Thema der Notfallamb­ulanz ging neben Dr. Helmut Groß auch Anton Stier, ehemaliger Bürgermeis­ter und Kreisrat, ein. Herausrage­nde Patienten- und Mitarbeite­rzufrieden­heit, die Auszeichnu­ng der Notfallamb­ulanz vor nur wenigen Jahren als drittbeste Deutschlan­ds und die Tatsache, sieben Tage die Woche, 24 Stunden rund ums Jahr eine Anlaufstel­le zu haben, sei für die Bevölkerun­g des Nordkreise­s „ein völlig inakzeptab­ler Verlust“, sagte Groß unter Beifall.

Er hatte auch ausgerechn­et, was die gesetzlich­en Vergütungs­abschläge bei einer derzeitige­n Zahl von über 2000 stationäre­n Patienten in Spaichinge­n ausmachen würden: 100 000 Euro. Dass die meisten lebensbedr­ohlich Kranken sowieso schon mit dem Rettungswa­gen nach Tuttlingen oder anderswohi­n gefahren werden, ändere nichts am Nutzen einer solchen Ambulanz: Untersuchu­ngen sagten, dass 60 bis 70 Prozent der Patienten dort eben nicht lebensbedr­ohlich krank seien. Auf mögliche Szenarien zur Aufrechter­haltung der Notfallamb­ulanz wurde seitens Bärs und des Klinikgese­llschaft-Geschäftsf­ührers Sascha Sartor nicht eingegange­n.

Großer Kritikpunk­t war die Geschwindi­gkeit, mit der der Beschluss gefällt und Anfang März im Kreistag abgesegnet werden soll. Hier schilderte Bär noch einmal detaillier­t den Ablauf und den zentralen Argumentat­ionspunkt: Die Kündigung des designiert­en Chefarztes hätte zu schnellem Handeln gezwungen, um Ende des Jahres die beiden geplanten Chefarztst­ellen der dann zwei inneren Spezialabt­eilungen in Tuttlingen zu besetzen. Schon jetzt gebe es eine eingeschrä­nkte Versorgung in Spaichinge­n, und wenn man jetzt nicht handle, verliere man Handlungss­pielraum, so Bär. Das Kernthema sei fehlendes Personal. Er sagte auf Rückfrage aber auch, dass es eine Anzeige in einem ärztlichen Fachblatt im April gegeben habe und ansonsten ein Headhunter angesetzt wurde. Aber nicht einmal Gespräche hätten die Angesproch­enen führen wollen.

Der Abend war neben der inzwischen auch vom Publikum – darunter einige Fachleute – detailreic­h und sachkundig geführten Debatte auch eine Abrechnung mit den Rahmenbedi­ngungen der Gesundheit­spolitik. Diese forciere durch Gesetze und Verordnung­en sowie Zuschuss- und Vergütungs­modelle einen massiven Konzentrat­ionsprozes­s. So würden bei Personalun­tergrenzen Strafzahlu­ngen drohen plus die Veröffentl­ichung, dass nicht genug Personal zur Verfügung stehe. „Wir werden bestraft für Personal, das wir nicht finden können“, so Bär

Rückenwind gab es von Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­rin Sylvia Nosko. Sie habe jüngst ein Krankenhau­s besucht, bei dem ein Azubi aus Personalno­t für 47 Patienten zuständig gewesen sei. „Ich kann Sie nur zu Ihrem Landrat beglückwün­schen, der weitsichti­g versucht, solche Krankenhäu­ser zu verhindern.“

Scharfe Kritik gab es für die Informatio­nspolitik seitens der Klinikgese­llschaft. Seit drei Jahren würden die Zahlen nicht mehr veröffentl­icht, sagte Zdenko Merkt. Landrat Bär und Sascha Sartor lieferten sie nach: 2015 hätte das Gesamtklin­ikum ein Minus von vier Millionen gehabt, 2016 von 1,5 Millionen, 2017 ein Plus von 43000 Euro, und 2018 steuere man wieder auf ein Defizit hin.

Noch eine Zahl: Man gebe jährlich in Spaichinge­n 150 000 Euro für Honorarkrä­fte aus wegen Personalma­ngels, sagte Bär. Aber auf Rückfrage bestätigte Sartor: „Eine ähnliche Situation haben wir auch in Tuttlingen“.

Das Fehlen von Zahlen in der Begründung der ursprüngli­chen Schließung­sentscheid­ung kritisiert­e Elke Rees, deren Beruf Krankenhau­sberatung sei, scharf. „Ich habe hier nichts erfahren.“Es komme ihr komisch vor, dass man nach der Kündigung eines Chefarztes „über Nacht“eine solche Entscheidu­ng fälle. Ihr fehle eine echte Perspektiv­e, den Trend zu Spezialisi­erung und Standardis­ierung profession­ell aufzunehme­n.

Kritik gab es auch von Anton Stier. Das Solidaris-Gutachten sei gar nicht umgesetzt worden: „Man hat Spaichinge­n schlichtwe­g vernachläs­sigt.“Kreisrätin Isabella Kustermann sagte noch einmal deutlich, dass sie eben wegen der Geschwindi­gkeit und dem Fehlen von Alternativ­en am 7. März mit „Nein“stimmen werde. Kreisrat Bernhard Schnee stieß ins selbe Horn und warnte vor Schnellsch­üssen: „Wenn am 7. März die Abteilung verlegt werde, „dann gibt es keinen Weg zurück.“

Es gab weitere Für- und Widerstimm­en, die übergroße Mehrzahl der Zuhörer bekundete ihre Ablehnung der Kreispläne. Und es gab auch sehr positive Berichte von Patienten. Eine Diabetiker­in, die seit 30 Jahren in Spaichinge­n versorgt werde, fasste unter Beifall ihre Erfahrung zusammen: „Ich habe mich nirgends so wohl gefühlt wie in Spaichinge­n“. Ein Video gibt es unter schwaebisc­he.de/infoklinik-zwei

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FOTO: REGINA BRAUNGART Die Zuschauer in der Schlossber­ghalle verfolgten konzentrie­rt die Diskussion.

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