Der berühmte Unbekannte
Zum Tod des deutschen Modeschöpfers Karl Lagerfeld – Sein wichtigstes Werk war er selbst
PARIS - Zweifellos war Karl Lagerfeld der berühmteste Modeschöpfer der Welt. An seinen Kreationen kann das nicht liegen, die haben keinen bestimmten Stil. Aber jeder, selbst der modemuffeligste Jogginghosenträger auf der Fernsehcouch, kannte die Erscheinung dieses Mannes. Schwarzer Anzug, steifer Kragen, dunkle Brille und ein weißer, gepuderter Nackenzopf, dazu fingerlose Handschuhe: So, zwischen Gothic Punk und Rokoko-Gespenst, präsentierte sich Lagerfeld der Öffentlichkeit – hager, seit er zur Jahrtausendwende mit einer Radikaldiät und Cola light der Feistigkeit entrann. Sohn eines Hamburger Pfeffersacks Wie einst der Kunstschamane Joseph Beuys war Karl Lagerfeld selbst sein wichtigstes, unverwechselbares Werk. Er zeigte sich gern und quasselte in Talkshows über die Liebe zu täglicher Arbeit, schönem Papier und zu der weißen Birmakatze Choupette, die seinen exzentrischen Auftritt betonte – und nebenbei von „Daddy Karl“höchst erfolgreich als Tiermodel vermarktet wurde. Legendär ist sein Ausspruch, wer eine Jogginghose trage, habe sein Leben nicht im Griff. Lagerfeld quasselte stets gescheit, fast atemlos schnell, und gab doch nichts Wesentliches preis. Nicht einmal sein Alter. Als er 2015 von der Bonner Bundeskunsthalle mit einer Mode-Schau gewürdigt wurde, stand 1938 als Geburtsjahr in der Pressemappe. Über 80 wollte er nicht sein. Aber er wurde höchstwahrscheinlich schon am 10. September 1933 geboren – als, wie er selbst scherzte, „Sohn eines Hamburger Pfeffersacks“. Schick mit Gag Vater Otto Lagerfeldt war jedenfalls der Inhaber von „Glücksklee“. Doch Karlchen interessierte sich nie für Kondensmilch. Auch die Schule langweilte ihn. Er wollte zeichnen, Illustrator werden – und zog als Teenager schon nach Paris, die Stadt, die auch seiner hochverehrten Frau Mutter gefiel. Eine ordentliche Ausbildung machte er nie. „Ich bin völlig improvisiert“, erklärte er nicht ohne Stolz. Ein paar Jahre lang erprobte er das Leben an der Seine, bis ihm 1954 der Durchbruch in der Modewelt gelang. Bei einem Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats gewann er einen der ersten Preise. Sein zitronengelber, weit geschnittener Damenmantel hatte einen spitzen Rückenausschnitt und einen Kragen in Gürtelform. Schick mit dem gewissen Gag – das war Lagerfelds Trick, und das begeisterte die Jury, in der auch Pierre Balmain saß. Der Meister engagierte den hübschen deutschen Jüngling unverzüglich, und die Modegeschichte nahm ihren Lauf.
Wie die Bonner Retrospektive 2015 zeigte, hütete sich Lagerfeld vor Festlegungen. Er war so frei und schuf den großen Modehäusern, was einerseits zu ihnen passte und andererseits die Geschäfte zeitgemäß auffrischte. Für die Fendi-Kollektionen ließ er teure Pelze zu Patchwork zerschnibbeln und Damen wie Urzeitjäger auftreten. Dann wieder entwarf er einen Tüllkimono mit Kaninchenbordüre oder einen pinkfarbenen Bademantel mit Ponyfellflecken. Die Tierschützer flippten aus, aber Lagerfeld war unbeirrbar. Schließlich hatte er ein Gefolge, das ihn vergötterte. „Alles, was man mit ihm unternimmt, ist ein Glück und wird mit Leidenschaft verfolgt“, schwärmte sein engster Mitarbeiter Eric Pfrunder.
Pausen brauchte Lagerfeld nicht. „Lorbeeren wachsen nicht mehr, wenn man sich auf ihnen ausruht“, stellte er fest. Seit er 1983 als Art Director bei Chanel einstieg, gab er den klassischen Kostümen der Grande Dame Coco den Lagerfeld-Kick, kombinierte Miniröcke und lange Fransen zum Tweedjäckchen und ließ die Perlen-Ladys rocken. Und während er in der eigenen Prêt-à-Porter-Linie „Karl Lagerfeld“strenge Schwarz-WeißModelle verkaufte, schuf er Haute Couture bei Chanel: futuristische Märchengewänder mit Federn und Folien, Seidenrosen und Goldplättchen für die reichen Feen der High Society. In einem fragilen Palast aus Papiergirlanden ließ er diese Kreationen 2015 ausstellen.
Lagerfeld wusste um die Vergänglichkeit, und er trotzte ihr mit unermüdlicher Kreativität. Alles entstand aus seinen herrlich altmodischen Handskizzen, er zeichnete immerzu, das war sein authentischster Ausdruck. Weil die Modefotografie oft nicht ganz seinen Visionen entsprach, begann er in den 1980er-Jahren, selbst zu fotografieren und setzte in prächtigen Bildbänden ausgesuchte Supermodels wie Claudia Schiffer oder später Cara Delevingne in Szene. Wenn er Lust hatte, drehte er auch kleine Filme mit improvisierten Dialogen. Opernkostüme entwarf er genauso gerne wie coole Billigklamotten für H & M. Die Ideen für allerlei Düfte und Accessoires kamen ihm ganz nebenbei. Nichts Privates preisgegeben Sein Privatleben ging niemand was an, auch das tratschende Netz fand wenig heraus über den gern als „Kaiser Karl“Titulierten. Mit Caroline von Monaco verband ihn eine treue Freundschaft, er entwarf für sie das ästhetische Konzept des Rosenballs. Die Liebe spielte keine allzu große Rolle. Nachdem sein Gefährte Jacques de Bascher, der auch mit dem ewig unglücklichen Yves Saint Laurent poussierte, 1989 an Aids gestorben war, lebte Lagerfeld vorzugsweise allein. Anders als Rivale Saint Laurent mied er Drogen, Exzesse und Selbstmitleid. Mit Hamburger Disziplin blieb er auch als alter Herr im Geschäft. Er konnte sich einen Privatjet mit Bibliothek leisten, Wohnsitze in Rom, New York und Monte Carlo sowie vieles, was wir nicht wissen. Obgleich er oft in seiner deutschen Heimat in Erscheinung trat, war Paris sein Lebensmittelpunkt geworden. In der Metropole, die Prominente in Ruhe lässt, wohnte und arbeitete er am liebsten. Jetzt ist er gestorben. Die meisten Agenturen behaupten im Alter von 85 Jahren.