Schwerer Raub: 31-Jähriger vor Gericht
Prozessauftakt: Angeklagter soll 95-Jährigen in Tuttlingen niedergeschlagen haben
TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Zum wiederholten Mal in verhältnismäßig kurzer Zeit geht es seit Dienstag vor dem Landgericht Rottweil um Schwerkriminalität in der Tuttlinger Innenstadt. Vor der 1. Großen Strafkammer muss sich ein junger Mann wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten.
Auf der Anklagebank sitzt ein gebürtiger Tuttlinger, seit September 2018 in Untersuchungshaft, vorgeführt in Fußfesseln, 31 Jahre alt, schütteres Haar, ein eher unscheinbarer Typ. Er macht von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern, will sich auch nicht zu seiner Lebensgeschichte äußern. Es kommt nur heraus, dass er verheiratet ist, zuletzt aber bei seiner Tante wohnte.
Eine Auflistung von Karlheinz Münzer, dem Vorsitzenden Richter, zeigt aber, dass der Beschuldigte eine längere kriminelle Vergangenheit hat, seit seiner frühen Jugend mehr als ein Dutzend Mal vor Gericht stand, auch verurteilt wurde und wohl alkoholabhängig war und eventuell noch immer ist. Aus diesen Gründen stand er unter „Führungsaufsicht“. Das heißt, dass er bestimmte Auflagen erfüllen musste, vor allem keinen Alkohol konsumieren darf, weil er dann zu Aggressionen neigt, und unter der Aufsicht eines Bewährungshelfers stand. Ob die Aufsicht den Anforderungen genügte, muss der weitere Verlauf der Prozesses zeigen.
Staatsanwalt Markus Wagner wirft dem Angeklagten zwei schwerwiegende Taten vor: Am 25. Juli 2018 soll er von einem Obdachlosen alkoholische Getränke gefordert haben. Als dieser erklärte, er habe nichts, soll der 31-Jährige aggressiv auf den Mann eingeschlagen und eingetreten und ihn „erheblich verletzt“haben. Des Weiteren soll der Angeklagte am 27. August 2018 gegen 5.30 Uhr auf dem Poststeg einem 95-jährigen Mann die Tasche mit Bargeld und Wertgegenständen entrissen und den Rentner so schwer verletzt haben, dass er in der Folge eine Hirnblutung erlitt.
Am ersten Verhandlungstag ging es vor allem um diese Tat. Verteidiger Uwe Rund legte im Namen seines Mandanten ein Geständnis ab und betonte, es seien große Mengen Alkohol im Spiel gewesen, etwa zwölf Flaschen Bier und eine Flasche Wodka während der Nacht. „Ich bekam Angst“Das bald 96-jährige Opfer kam als Zeuge – und lieferte einen bemerkenswerten Auftritt. Er berichtete bis in kleinste Details, wie es zur Tat kam: Er stehe immer um 5 Uhr morgens auf und „wetze“dann durch sein Wohngebiet Taubentäle, um sich fit zu halten. An jenem Morgen habe er sich in die Innenstadt aufgemacht, um 200 Euro in der Volksbank abzuheben und seiner Tochter noch Geld vor deren Rückfahrt nach Berlin mitzugeben.
Vor dem Hotel „Ritter“habe er einen Mann bemerkt, „der sah aus wie ein Polizist“. Aber dann habe er bemerkt, dass ihn der Mann verfolgte. „Es war noch dunkel in der Innenstadt und guter Betrieb, aber leider nirgendwo ein Polizist. Ich bekam Angst.“Als der Fremde immer nähergekommen sei, so der Rentner, habe er zu ihm gesagt: „Ich tue Ihnen nichts, tun Sie mir auch nichts!“Dann sei er „losgewetzt wie der Teufel, aber ich bin halt in dem Alter auch nicht mehr der Schnellste“. Schließlich habe er auf dem Poststeg einen heftigen Schlag von hinten bekommen („Von hinten angreifen – das war ein Feigling!“) und sei mit dem Kopf nach hinten auf dem Boden aufgeprallt. Tasche mit Gewalt entrissen Trotz seiner Gegenwehr habe ihm der Angreifer die Tasche mit Gewalt entrissen. Er habe vergebens um Hilfe geschrien und längere Zeit gebraucht, um überhaupt alleine wieder auf die Beine zu kommen. Er sei in einer Art Schockzustand weitergegangen, habe in der Hoffnung auf Unterstützung an Autoscheiben geklopft, fahrenden Autos signalisiert, dass er in Not war. „Aber keiner half!“Er habe sich noch heimgeschleppt, sich dann widerwillig ins Krankenhaus fahren lassen und auf eine schnelle Entlassung gedrängt. Doch in den Tagen danach habe er plötzlich Probleme mit der Sprache und der Wortfindung bekommen.
Die Ärzte stellten als Folgen des Sturzes auf den Hinterkopf eine Hirnblutung fest. Er wurde in der Klinik Villingen-Schwenningen operiert. Bei der anschließenden Reha am Bodensee nahm er nur zwei statt der angesetzten fünf Wochen in Anspruch.Der 95-Jährige ließ auch anklingen, warum er so alt geworden ist: „Ich muss am Morgen loswetzen – das brauche ich!“Und: „Ich brauche keinen Arzt und keine Apotheken, ich nehme keine Tabletten.“Doch die Tat hat Nachwirkungen: Nie im Leben habe er Kopfschmerzen gehabt, selbst bei größter Kälte zwei Jahre im Krieg in Russland nicht. Jetzt aber, nach der Operation, spüre er schon manchmal die Nachwirkungen. Trotzdem sei er nach wie vor sehr aktiv, fahre auch noch Auto. Aber der Überfall hat ihn verändert: „Ich bin alt genug und reif genug zu sterben!“
Der Prozess wird am Freitag, 22. Februar, fortgesetzt.