Der Mann, der den Freistaat Bayern erfand
Vor 100 Jahren wurde der Revolutionär Kurt Eisner ermordet
MÜNCHEN (KNA) - Mit einer unblutigen Revolution schaffte es der Berliner Kurt Eisner im November 1918, den Freistaat Bayern auszurufen und dessen erster Ministerpräsident zu werden. Am 21. Februar 1919 wurde er Opfer eines Attentäters.
Gegen 10 Uhr war es, als Kurt Eisner am 21. Februar 1919 in München Richtung Bayerischer Landtag aufbrach. Dort wollte er nach der krachend verlorenen Wahl – seine USPD hatte nur 2,53 Prozent der Stimmen erhalten – den Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten erklären. Vom Ministerium zum Parlament hinter dem Hotel Bayerischer Hof waren es nur wenige Meter. Mit Hass- und Drohangriffen hatte er sich zuletzt immer häufiger konfrontiert gesehen, so dass ihn Freunde baten, nicht den gewohnten Weg zu gehen. Doch Eisner ließ sich nicht abbringen: „Man kann einem Mordanschlag auf die Dauer nicht ausweichen, und man kann mich ja nur einmal totschießen.“ Mörder kommt glimpflich davon Wenige Minuten später brach Eisner in der heutigen Kardinal-FaulhaberStraße leblos zusammen, niedergestreckt von zwei Schüssen des antisemitischen Nationalisten Anton Graf Arco auf Valley (1897-1945). Der Ministerpräsident habe noch etwas sprechen wollen, notiert sein ihn begleitender Sekretär Felix Fechenbach, aber die Zunge versagte ihm. Die Nachzeichnung seines Körpers auf dem Gehweg erinnert heute an den Anschlag.
Der Attentäter hatte zuvor auf einem Zettel geschrieben: „Mein Grund: Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist, ein guter Katholik. Über alles achte ich die Ehre Bayerns. Eisner ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland.“Von den Leibwächtern Eisners überwältigt und selbst schwer verletzt, wurde Arco nach seiner Genesung zum Tod verurteilt, letztlich aber zu lebenslanger Festungshaft begnadigt. Dabei genoss er Vergünstigungen und wurde 1924 wieder entlassen.
Als ob es Eisner vorausgesehen hätte. Schon 1894 hatte er in einem Zeitungsartikel beklagt, dass der Mittelstand in seiner Not dazu neige, den Scharlatanen nachzulaufen und deren Schwindel glaube, dass an allem die Juden schuld seien.
Seine Entwicklung zum Revolutionär war ihm indes nicht in die Wiege gelegt. 1867 wurde er in eine bürgerlich-jüdische Kaufmannsfamilie in Berlin geboren. Für den Gymnasiasten waren organisierte Arbeiter eine „Horde wilder Verbrecher“. Doch für seine Familie ging es ökonomisch bergab. Der Sohn begann umzudenken; sein 1886 aufgenommenes Studium der Literatur und Philosophie musste er nach acht Semestern abbrechen.
Fortan arbeitete Eisner als freier Journalist. Er wandte sich zunehmend der sozialen Frage zu. Politisch orientierte er sich vom Liberalismus hin zur Sozialdemokratie. In ihr sah er die „einzige Zuflucht aller Idealisten“. 1898 trat Eisner in die SPD ein. Nach einer Zwischenstation als Chefredakteur in Nürnberg bei der „Fränkischen Tagespost“kam er 1910 nach München. Dort schrieb er für das SPD-Blatt „Münchner Post“über den Landtag und gab privat ein „Arbeiterfeuilleton“heraus. Nur 100 Tage im Amt Der Erste Weltkrieg veränderte alles. Anfangs fand er Eisners Zustimmung, denn er meinte, Deutschland müsse sich gegen das russische Zarenreich verteidigen. Doch gründliches Aktenstudium änderte seine Haltung, auch zur SPD. Im Januar 1918 gelang es ihm, in mehreren Münchner Rüstungsbetrieben einen Streik anzuzetteln. Dafür wurde er des Hochverrats beschuldigt und inhaftiert. Im Oktober kam er frei, die USPD hatte ihn zu ihrem Spitzenkandidaten erklärt. Vom 7. auf den 8. November glückte ihm dann in München eine friedliche Revolution, an deren Ende die Proklamation des Freistaats Bayern stand mit ihm als Ministerpräsidenten. 100 000 folgen Trauermarsch „Der Mensch darf nicht mehr Objekt des Profits werden, sondern jeder, der arbeitet, muss mitbestimmen können an der Gestaltung dieser Arbeit“, so sein Credo. Seine Politik, vor allem die Anerkennung der deutschen Kriegsschuld, gefiel nicht jedem. Dennoch nahmen an der Beerdigung Eisners am 26. Februar 100 000 Menschen teil. Der Trauerzug führte unter dem Geläut der Kirchenglocken von der Theresienwiese, wo seine Revolution begonnen hatte, zum Münchner Ostfriedhof.
Nur 100 Tage war Eisner am Ruder. Für Heinrich Mann stand in seiner Trauerrede jedoch fest, dessen Regierung habe „mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die 50 Jahre vorher“.