Linke ringen mit sich und Europa
m Sonntagmorgen beginnt der Parteitags-Chor der Linken mit dem recht betagten Lied „Allein machen sie Dich ein“, von Rio Reiser und seiner Band „Ton Steine und Scherben“. Musikalisch etwas wackelig, schallt den hereinströmenden Delegierten: „Und Du weißt, es wird passieren, wenn wir uns organisieren“entgegen. Die Organisation klappt bei den Linken ganz gut, was in Zukunft passieren soll, wissen sie aber nicht so genau.
Vor dem Bonner „World Conference Center“, dem teuersten Parteitagsgebäude, das die Linken je angemietet haben, stand bis Samstag ein aufgeblasener roter Panzer mit verknoteter Kanone. Und ein aufgeblasener Hai, der ein Miethai sein soll. Gegen Krieg und Mietwucher sind die Linken, so viel steht fest. Sie wissen aber auch, dass das nicht reicht. „Wenn es um die Fragen von Krieg oder Frieden, Armut und Reichtum, Abschottung oder Solidarität geht, müssen wir eindeutig sein“, hatte Parteichefin Katja Kipping in ihrer Rede gesagt. Und was ist mit der EU und ihren Institutionen? Auch hier soll es, bei aller Kritik, keine Zweideutigkeit geben. „Wir wollen kein Auseinanderbrechen der EU.“Und: „Wenn wir die konkrete EU-Politik kritisieren, dann nie mit dem Ziel, dass es zurück in das Nebeneinanderher von Nationalstaaten geht.“ „Sozialistisches Europa“als Ziel Andere, wie der Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, wollen mit Blick auf die Kommunen „nicht mehr, sondern weniger Europa“. Lucy Redler von der „Antikapitalistischen Linken“verteidigt das Recht auf Austritt aus der EU, will aber, dass Deutschland noch in der Gemeinschaft bleibt. Das Ziel aber ist ein „sozialistisches Europa“. Manche Linke möchten vorher noch die „Republik Europa“errichten, die dann später sozialistisch wird. Letztlich entscheidet der Parteitag, wenn auch nur mit relativ knapper Mehrheit, dass weder die erwähnte europäische Republik, noch der Sozialismus aktuell auf dem Plan stehen. Der EU soll ein „Neustart“verpasst werden.
Auch mit knapper Mehrheit wird entschieden, dass die Linken die EU derzeit nicht ausdrücklich als „militaristisch, neoliberal und undemokratisch“bezeichnen, sondern abgeschwächte Formulierungen verwenden. Gregor Gysi, Chef der Europäischen Linken, sagt, „wenn wir die EU jetzt schon militaristisch nennen, wie nennen wir sie dann, wenn es die europäische Armee tatsächlich gibt? Obermilitaristisch?“Manche lachen. Andere nicht. „Es ist wahr, dass die EU eine militaristische Komponente hat und auch eine neoliberale“, sagt Fraktionschef Dietmar Bartsch. Allerdings findet Bartsch, der Neoliberalismus sei keine Selbstverständlichkeit mehr. Die EU befinde sich in der Krise und es gebe einen „Kulturkampf von rechts“. Anderseits sei es bei „einem Epochenumbruch immer so, dass linke Kräfte eine Chance für Veränderungen haben“. Da wirkten einige Linke dann doch überrascht.
Ach ja, gewählt wurde auch – vorwiegend unbekannte Politiker. Spitzenkandidaten für die Europawahl sind der Europaparlamentarier Martin Schirdewan (43) und die Gewerkschaftssekretärin Özlem Alev Demirel (34). Wenn man es sehr vereinfacht, haben die Linken auf ihrem Parteitag die Hälfte der Zeit damit verschwendet, sich um Programmformulierungen zu balgen, um während der anderen Hälfte Kandidaten zu wählen, die niemand kennt. Wie sie zu Europa stehen? Kritisch, aber eben doch nicht allzu kritisch.