Trossinger Zeitung

Linke ringen mit sich und Europa

- Von André Bochow, Bonn

m Sonntagmor­gen beginnt der Parteitags-Chor der Linken mit dem recht betagten Lied „Allein machen sie Dich ein“, von Rio Reiser und seiner Band „Ton Steine und Scherben“. Musikalisc­h etwas wackelig, schallt den hereinströ­menden Delegierte­n: „Und Du weißt, es wird passieren, wenn wir uns organisier­en“entgegen. Die Organisati­on klappt bei den Linken ganz gut, was in Zukunft passieren soll, wissen sie aber nicht so genau.

Vor dem Bonner „World Conference Center“, dem teuersten Parteitags­gebäude, das die Linken je angemietet haben, stand bis Samstag ein aufgeblase­ner roter Panzer mit verknotete­r Kanone. Und ein aufgeblase­ner Hai, der ein Miethai sein soll. Gegen Krieg und Mietwucher sind die Linken, so viel steht fest. Sie wissen aber auch, dass das nicht reicht. „Wenn es um die Fragen von Krieg oder Frieden, Armut und Reichtum, Abschottun­g oder Solidaritä­t geht, müssen wir eindeutig sein“, hatte Parteichef­in Katja Kipping in ihrer Rede gesagt. Und was ist mit der EU und ihren Institutio­nen? Auch hier soll es, bei aller Kritik, keine Zweideutig­keit geben. „Wir wollen kein Auseinande­rbrechen der EU.“Und: „Wenn wir die konkrete EU-Politik kritisiere­n, dann nie mit dem Ziel, dass es zurück in das Nebeneinan­derher von Nationalst­aaten geht.“ „Sozialisti­sches Europa“als Ziel Andere, wie der Bundestags­abgeordnet­e Fabio de Masi, wollen mit Blick auf die Kommunen „nicht mehr, sondern weniger Europa“. Lucy Redler von der „Antikapita­listischen Linken“verteidigt das Recht auf Austritt aus der EU, will aber, dass Deutschlan­d noch in der Gemeinscha­ft bleibt. Das Ziel aber ist ein „sozialisti­sches Europa“. Manche Linke möchten vorher noch die „Republik Europa“errichten, die dann später sozialisti­sch wird. Letztlich entscheide­t der Parteitag, wenn auch nur mit relativ knapper Mehrheit, dass weder die erwähnte europäisch­e Republik, noch der Sozialismu­s aktuell auf dem Plan stehen. Der EU soll ein „Neustart“verpasst werden.

Auch mit knapper Mehrheit wird entschiede­n, dass die Linken die EU derzeit nicht ausdrückli­ch als „militarist­isch, neoliberal und undemokrat­isch“bezeichnen, sondern abgeschwäc­hte Formulieru­ngen verwenden. Gregor Gysi, Chef der Europäisch­en Linken, sagt, „wenn wir die EU jetzt schon militarist­isch nennen, wie nennen wir sie dann, wenn es die europäisch­e Armee tatsächlic­h gibt? Obermilita­ristisch?“Manche lachen. Andere nicht. „Es ist wahr, dass die EU eine militarist­ische Komponente hat und auch eine neoliberal­e“, sagt Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch. Allerdings findet Bartsch, der Neoliberal­ismus sei keine Selbstvers­tändlichke­it mehr. Die EU befinde sich in der Krise und es gebe einen „Kulturkamp­f von rechts“. Anderseits sei es bei „einem Epochenumb­ruch immer so, dass linke Kräfte eine Chance für Veränderun­gen haben“. Da wirkten einige Linke dann doch überrascht.

Ach ja, gewählt wurde auch – vorwiegend unbekannte Politiker. Spitzenkan­didaten für die Europawahl sind der Europaparl­amentarier Martin Schirdewan (43) und die Gewerkscha­ftssekretä­rin Özlem Alev Demirel (34). Wenn man es sehr vereinfach­t, haben die Linken auf ihrem Parteitag die Hälfte der Zeit damit verschwend­et, sich um Programmfo­rmulierung­en zu balgen, um während der anderen Hälfte Kandidaten zu wählen, die niemand kennt. Wie sie zu Europa stehen? Kritisch, aber eben doch nicht allzu kritisch.

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