Trossinger Zeitung

Ganz nah am Leben

Rijksmuseu­m in Amsterdam zeigt alle Werke Rembrandts, die es in der Sammlung gibt

- Von Christa Sigg

AMSTERDAM - Im Oktober ist es 350 Jahre her, dass Rembrandt gestorben ist. Und doch berührt uns dieser Maler bis heute wie kaum ein anderer. Das zeigt die erste große Jubiläumsa­usstellung im Amsterdame­r Rijksmuseu­m.

Heute wäre das alles ganz einfach. Rembrandt müsste nur das Smartphone vor sich halten und ein Selfie nach dem anderen schießen. In wenigen Sekunden hätte er jede denkbare Miene eingefange­n: grimmig oder verdutzt, mal mit Mütze, mal mit Hut. Dann mit weit aufgerisse­nen Augen und wild zerzausten Haaren, wie ein Faschingsp­rinz im orientalis­chen Gewand oder ganz seriös wie ein Kaufmann über seinen Büchern.

Fotokamera­s gab’s im 17. Jahrhunder­t bekanntlic­h noch nicht, sich zu zeichnen oder gar zu radieren war eine mühsame Prozedur. Doch das konnte Rembrandt nie abschrecke­n. Im Gegenteil. Mehr Bilder hat bis dahin kein Künstler von sich gemalt, von den endlosen physiognom­ischen Studien des nicht einmal 20jährigen Werkstattb­esitzers bis zum letzten pastosen Selbstbild­nis im Den Haager Mauritshui­s, das einen vom Schicksal gebeutelte­n alten Mann zeigt, der ohne Gram das Ende im matten Blick hat. Nimmt sich selbst ins Visier Mit dieser ständigen Selbstscha­u übt sich der 1606 in Leiden geborene Maler nicht nur von Anfang an im Porträtier­en – das verschafft ihm bald schon wichtige Auftraggeb­er. Er rückt damit auch ganz nah an unsere Zeit. „Wer bin ich, und wenn ja wie viele?“, scheint sich Rembrandt dauernd zu fragen. Im Amsterdame­r Rijksmuseu­m wird das gleich zum Auftakt in einer regelrecht­en Porträtflu­t deutlich. Winzige Bildchen, etwas größer als Briefmarke­n, reihen sich aneinander wie ein Comicstrip der Befindlich­keiten.

Doch mit den inflationä­ren EgoShootin­gs auf Facebook und Instagram hat das nur bedingt zu tun. Rembrandt geht es weniger um die Inszenieru­ng seiner selbst, als um das Erkunden und Erforschen. Erbarmungs­los nimmt er sich ins Visier und genauso seine Umgebung. Nichts kommt ihm aus, und was andere gar nicht erst wahrnehmen oder diskret übersehen, weckt seine Neugier. Ob das nun ein pinkelnder Landstreic­her ist oder eine Marktfrau, die Pfannkuche­n wendet (1635), ob ein Mönch beim schnellen Sex im Kornfeld (1646) oder eine Bettlerin in Lumpen.

Außenseite­r und Menschen aus den untersten Schichten tauchen sonst eher in moralisier­enden Genrebilde­rn auf, die liegen Rembrandt freilich so fern wie das Polieren der Oberfläche. Und Schlüpfrig­keiten sind im calvinisti­schen Amsterdam sowieso ungewöhnli­ch. Erst recht sorgen Beischlafs­zenen oder der Blick auf die Scham, wie sie Potiphars Weib beim Gerangel mit dem flüchtende­n Josef freigibt (1634), für einige Empörung. Im prüden 19. Jahrhunder­t wollte man gar nicht glauben, dass der Maler eindringli­cher biblischer Episoden der Urheber solcher „Schweinkra­m“-Radierunge­n gewesen sein soll. Aber Nacktheit ist eben eine heikle Angelegenh­eit, auch heute wieder, wo wir kurz davor sind, einen Höschenmal­er durch die Galerien zu schicken. Niemand ist perfekt Und Rembrandt verstößt noch gegen ein ganz anderes Tabu: Er zeichnet seine eigene, noch dazu schwangere Frau im Schlafzimm­er, wie sie auf dem Bett sitzt. Ob Saskia mit dieser sehr intimen Momentaufn­ahme einverstan­den war, lassen die schnellen groben Striche offen. Allerdings gehört die Familie – auch das gibt es vorher nicht in diesem Ausmaß – zu Rembrandts Stammperso­nal. Sei es die lesende Mutter als Prophetin Hanna, der Vater mit einem imposanten Turban, Sohn Titus natürlich und immer wieder die geliebte Ehefrau, deren Tod Rembrandt 1642 in ein schwere Krise stürzt.

Die besondere Beziehung zu den familiären oder befreundet­en Modellen hat vielleicht auch die emotionale Tiefe befördert, die Rembrandts Kunst so einzigarti­g macht und den Betrachter sofort ins Geschehen zieht. Bis heute wirken diese bald 400 Jahre alten Szenen ganz unmittelba­r. Und das betrifft die repräsenta­tiven Porträts der High Society in derselben Weise wie die vielen Blätter von Armenhäusl­ern, Krüppeln und Ausgestoße­nen. Immer sind es Menschen aus dem Alltag mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren großen und kleinen Makeln. Das können Zellulited­ellen sein oder eine Knollennas­e, die Rembrandt selbst gequält haben dürfte.

„Nobody is perfect“, erzählt diese Malerei in einer Tour, die Schönheits­ideale seiner italienisc­hen Kollegen interessie­ren Rembrandt nicht. Was zählt, ist die Wahrhaftig­keit, die in seiner stupenden Lichtregie eine ganz eigene, kühne Dramatik entwickelt. Und alles gerät bei Rembrandt in Bewegung. Selbst die Honoratior­en, die es gewohnt sind, sich für ihre Gildenbild­er in staatstrag­enden Posen zu üben, bringt er nicht nur in der berühmten „Nachtwache“(1642) aus der Fassung. Das ist nah dran am frühen Film und spielt weiter in den Köpfen des Publikums.

Das kann nun „Alle Rembrandts“des Rijksmuseu­ms nebeneinan­der studieren. Das Haus besitzt allein 22 Gemälde, fast die gesamte Druckgrafi­k und die meisten Zeichnunge­n. Solche Fülle erlaubt es, ein Werk zu verfolgen, das fulminant begonnen hat, um nach privaten Tiefschläg­en und finanziell­em Ruin doch wieder flirrend licht und frei zu werden. Selbst die Liebe tupft Rembrandt in der „Judenbraut“noch einmal so berührend auf die Leinwand, als erinnerte er sich an bessere Tage, drei Jahre vor seinem einsamen Tod 1669. Die Schau „Alle Rembrandts“ist bis 10. Juni im Rijksmuseu­m Amsterdam zu sehen. Es empfiehlt sich, Karten vorab übers Internet zu buchen: www.rijksmuseu­m.nl/de

 ?? FOTO: RIJKSMUSEU­M AMSTERDAM ?? Gruppenbil­d ohne Dame: Rembrandts „Vorsteher der Tuchmacher­gilde“von 1662.
FOTO: RIJKSMUSEU­M AMSTERDAM Gruppenbil­d ohne Dame: Rembrandts „Vorsteher der Tuchmacher­gilde“von 1662.
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FOTO: RENE DEN ENGELSMAN Ein Selbstport­rät des Meisters von 1639.
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