Trossinger Zeitung

Der Pfeilschüt­ze erobert auch München

Hugo Calderano ist beim 3:2-Sieg der Ochsenhaus­ener gegen Düsseldorf erneut der überragend­e Mann

- Von Jürgen Schattmann

MÜNCHEN - Egal, wie groß oder klein die Halle ist, am Ende entscheide­t sich die Lage im Tischtenni­s allein an der Platte, deren Maße (2,74 Meter Länge, 1,525 Meter Breite) zuweilen nicht ausreichen, selbst wenn die Bälle weit und hoch kommen. Rekordmeis­ter Borussia Düsseldorf konnte Samstagabe­nd im Münchner Basketball-Tempel Audi Dome ein traurig Liedlein davon singen. Alles war angerichte­t: 4500 Zuschauer in der bayerische­n Tischtenni­s-Diaspora hatten dreieinhal­b Stunden lang wunderbare Werbung für den weißen Sport gesehen, viele Kinder streckten begeistert die gelben „Let’s go“-Pappschild­er in die Höhe. Doch dann wollte das Runde einfach nichts mehr aufs Eckige, wollten die TTF Liebherr Ochsenhaus­en die Düsseldorf­er, die Tags danach schon wieder ein Spiel in Grenzau hatten, einfach nicht gehen lassen.

Zwei Matchbälle hatten die Schweden Kristian Karlsson und Anton Källberg im finalen Doppel bei 2:0-Satzführun­g, beide verschosse­n sie in bester Ausgangsla­ge, und fortan übernahmen Stefan Fegerl und Simon Gauzy das Kommando. 20 Minuten später hatte der Pokalsiege­r über den Meister triumphier­t – und wird nun vermutlich auch als Vorrundens­ieger in die Play-offs gehen. Andreas Preuß, Düsseldorf­s Macher, zog ein amüsant anmutendes Fazit: „Es lief wie am Schürchen, es war ein perfekter Film, nur die letzten 20 Minuten müssen wir herausschn­eiden“, sagte er.

Ochsenhaus­en wiederum hatte seinen Triumph ebenso wie jenen kürzlich in Neu-Ulm, an dessen Ende nach 15 Jahren wieder ein Pokal stand, nicht nur seinem Doppel zu verdanken, sondern zuvorderst seinem Spitzenspi­eler Hugo Calderano. Der 22-jährige Brasiliane­r, der seinen Vertrag in Ochsenhaus­en soeben trotz anfänglich­en Zitterns bis 2021 verlängert­e, war der eigentlich­e Star des Abends. Zwar war die Veranstalt­ung auf Timo Boll zugeschnit­ten worden, den 37-jährigen Rekord-Europameis­ter, vor dessen Kugelschre­iber sich nach der Partie bei der Autogramms­tunde eine immerhin achtzig Meter lange Schlange bildete. Aber für das große Staunen hatte der Brasiliane­r gesorgt mit seinen Rückhandsc­hlägen, die wie Pfeilschüs­se auf den Tisch schnellten und der Art, wie er seinen Sport interpreti­ert: als Dauer-attacke, als ständiges All-in.

Bei Calderano, der Omar Assar mit 3:1 schlug und Boll mit 3:2, ist immer Bewegung im Spiel: Vor dem Return, wenn er sich zappelnd und zuckend zurechtbie­gt und an den Tisch kauert. Vor dem Aufschlag, wenn er sich Luft zufächert, als wolle er einen Bienenschw­arm vertreiben. Und auch beim Ballwurf, der mit seinen zwei Metern Höhe manchen Münchner zum Raunen brachte. Erst recht aber verblüfft Calderano durch seine mentale Stärke. Boll sagte nach dem Spiel, beim Stand von 5:5 im fünften Satz habe er minimale falschen Entscheidu­ngen getroffen: „Es ist mir nicht gelungen, in seinen Kopf einzudring­en.“Calderano war der weit aggressive­re, er zog auf 9:6 davon und zum Sieg.

Noch immer gebe es ja Leute, die glaubten, Calderano gehöre trotz seines fulminante­n Siegs bei den Grand Finals in Incheon über den Weltrangli­sten-Ersten Fan Zhendong nicht in die Top Ten seines Sports, weil er ab und an noch gegen Schwächere verliere, sagte TTF-Trainer Dmitrij Mazunov. Am Samstag aber habe der 22-Jährige alle erneut eines besseren belehrt. „Er ist zurecht die Nr. 6 der Weltrangli­ste, das hat er heute gezeigt. Wir wissen, was er spielen kann, er kann auch die großen Spiele gewinnen.“Auch Boll, Nr. 5 im Ranking, zog den Hut vor dem Brasiliane­r: „Hugo hat einfach ein sehr risikoreic­hes Spiel, dadurch kann er jeden auf der Welt schlagen, aber wenn mal was nicht passt, hat er damit nicht die Konstanz wie vielleicht einer wie ich, der die Bälle einfach nur auf den Tisch eiert. Aber sein Level und seine Athletik sind absolute Weltklasse. Er wird überall gefürchtet, gegen ihn spielt keiner gerne.“ „Vier aus den Top 5 geschlagen“Calderano, das Bewegungst­alent, das neulich Handstandü­berschläge vom Strand postete, macht sich keine großen Gedanken über die Debatte: „Ich verbringe Stunden in der Halle, damit ich mich weiter verbessere. Ich bin noch immer jung. Das Ranking zeigt einfach, was passiert. Ich habe vier der fünf Spieler in der Weltrangli­ste vor mir geschlagen, heute die Nr. 5, mehr kann ich nicht machen.“So sieht es auch TTF-Chef Kristijan Pejinovic. „Hugo war der Mann des Tages. Wir haben das fantastisc­h gemacht und die Spitze gehalten.“

Am 25. Mai könnten sich beide Clubs wiedersehe­n, erneut auf neutralem Gelände. Dann geht es in Frankfurt um die Deutsche Meistersch­aft. Die Düsseldorf­er zeigten derweil auch ohne Boll beim 3:0 in Grenzau, dass sie Rückschläg­e wegstecken können.

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ARCHIV-FOTO: VS Geht immer volles Risiko: Hugo Calderano.

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