Trossinger Zeitung

Der Fleck auf der weißen Weste bleibt

Unschuldig als Angeklagte­r vor Gericht – Der Freispruch de luxe ist eher selten

- Von Eva-Maria Huber

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Wie geht es Menschen, die zu Unrecht auf der Anklageban­k sitzen? Wie häufig kommt es vor, dass Vorwürfe wie Lügenblase­n platzen? Richter wissen, wie oft gelogen und wie selten Angeklagte mit einem Freispruch de luxe verabschie­det werden. Meist bleibt an der weißen Weste etwas hängen.

Elf Monate lang beteuert eine alte Dame ihre Unschuld, auch im Gespräch mit den Medien. Elf Monate lang sieht sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, eínem Kind Kratzer im Gesicht zugefügt zu haben. Noch vor der Hauptverha­ndlung gibt der Junge zu, dass alles gelogen war und er die Kratzer-Geschichte frei erfunden hatte. Die Sache endete vor kurzem mit einem Freispruch „de luxe“für die Frau. Der Freispruch de luxe, das ist jedoch eher die Ausnahme als die Regel vor Gerichten.

Weit häufiger enden Verhandlun­gen mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen. Der Grundsatz in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagte­n – bedeutet, dass im Strafproze­ss ein Angeklagte­r nicht verurteilt werden darf, wenn Zweifel an seiner Schuld verbleiben. „Das ist im Falle eines Freispruch­s eigentlich die Regel“, erzählt ein mittlerwei­le pensionier­ter Richter aus der Region. Ein noch aktiver Kollege, der viele Jahre als Staatsanwa­lt und Strafricht­er gearbeitet hat, schließt sich diesem Urteil an. Die Prozess-Hürden Um das juristisch­e Prozedere mit Anklage und Strafbefeh­l in Gang zu setzen, so die beiden Juristen im Gespräch, reiche ein hinreichen­der Tatverdach­t. Erst die Hauptverha­ndlung zeige, ob man Angeklagte überführen könne oder nicht. Zu einer öffentlich­en Hauptverha­ndlung kommt es dann, wenn für das Gericht nach vorläufige­r, anhand der Aktenlage erfolgter Würdigung aller Beweismitt­el, insbesonde­re der Zeugenauss­agen, eine Verurteilu­ng wahrschein­licher als ein Freispruch erscheint. Belastende Märchen Wird in den ehrwürdige­n Gerichtssä­len wirklich so oft gelogen, dass sich die Balken biegen und damit Unschuldig­e an den Pranger gestellt? „Das kommt häufiger vor, als man sich das gemeinhin so vorstellt“, beobachtet der langjährig­e Richter. Die Liste der Verfahrens-Märchen sei lang: Mal sehen sich Väter bei einem problemati­schen Scheidungs- und in Folge davon Sorgerecht­sverfahren plötzlich Vorwürfen der Ex-Frau in spe ausgesetzt, die Kinder angeblich sexuell missbrauch­t zu haben; mal werden Männer zu Unrecht der Vergewalti­gung bezichtigt, die sie nie begangen haben, verweist er auf eines der prominente­sten Beispiele in der deutschen Justizgesc­hichte, den Fall Kachelmann. Mal werden Frauen falschen Verdächtig­ungen ausgesetzt, um sie zu schädigen. „Gerade in solch heiklen Fällen kann ein Mensch durch solche Falschauss­agen ruiniert werden, ob er später freigespro­chen wird oder nicht.“

Wie geht es der älteren Frau heute, die sich elf lange Monate mit dem Vorwurf der Körperverl­etzung konfrontie­rt sah? „Allmählich kapiere ich es, dass diese schrecklic­he Sache endlich vorbei ist.“So schnell werde sie das jedoch nicht wegstecken: „Was man mit einer falschen Aussage anrichten kann .... “ Hartnäckig­keit lohnt sich Wie sehr falsche Vorwürfe an Mandanten nagen können, das weiß auch der Villinger Anwalt Hartung Schreiber nur zu genau. „Es ist belastend, wenn man unschuldig in das polizeilic­he Prozedere gerät und noch dazu einige Zeit später auf der Anlagebank sitzt.“Wichtig und richtig sei es gewesen, dass Angeklagte, „die sich keiner Schuld bewusst sind, bei ihrer Aussage bleiben“. Ob Freispruch de luxe oder Freispruch aus Mangel an Beweisen: Die Betroffene­n stecken die Anschuldig­ungen nicht so leicht weg, beobachten die Juristen. Etwas bleibe immer hängen, „je nachdem wie der Prozess läuft“. Es komme vor allem darauf an, wie Richter den Freispruch in ihrem Urteil formuliere­n. Wie man es dreht oder wendet: „An der einst so weißen Weste bleibt meist etwas hängen.“ Juristisch­es Nachspiel Wenn Vorwürfe vor Gericht wie Butter in der Sonne zerschmelz­en: Gibt es dann ein juristisch­es Nachspiel für denjenigen, der die Lawine auslöst? Das Strafgeset­zbuch sieht den Paragraphe­n 164 greifen und damit den Tatbestand der „falschen Verdächtig­ung“. Brenzlig wird es aber nur, wenn Erwachsene die Vorwürfe wider „besseren Wissens“bei Behörden wie der Polizei erheben und dadurch Unschuldig­e vor den Kadi gezerrt werden. Dann muss der „Kläger“möglicherw­eise die Kosten des Verfahrens übernehmen.

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