Trossinger Zeitung

Freies Solo

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Manche Dinge im Leben liegen wie ein unüberwind­bares Gebirge vor mir. Es gibt auch Berge, die mich dazu reizen, sie zu bezwingen und am Ende auf dem Gipfel zu stehen. Den diesjährig­en Oscar für den besten Dokumentar­film erhielt „Free Solo“, ein Film über einen Mann, der sich in den Kopf gesetzt hat, die imposantes­te Felswand der Welt zu erklimmen, den 2307 Meter hohen El Capitan im Yosemite Nationalpa­rk. Und zwar im Klettersti­l des Free Solo, das heißt: alleine und vor allem ohne jegliche Sicherung.

Angsteinfl­ößend und fasziniere­nd zugleich sind die Bilder des menschlich­en Punktes am meterho- hen Granit. Jeder Griff ist einstudier­t, jeder Muskel trainiert. Doch die größte Herausford­erung ist die Konzentrat­ion. Was treibt einen Menschen an, ein solches Risiko auf sich zu nehmen? Ein Pionier der Mount Everest-Besteigung wurde gefragt, warum er unbedingt auf diesen Berg wolle: „Weil er da ist.“Skurril, doch verständli­ch.

Es ist erfüllend, an Grenzen zu gehen, eine Herausford­erung zu meistern, einfach, weil sie sich mir aufdrängt. Ich setze mich mit der Begrenzthe­it auseinande­r – meiner Fähigkeite­n, meiner Möglichkei­ten. Aber ich stoße auch in neue Gefilde vor, die mir sonst verschloss­en blieben: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“(Ps 31,9) Manchmal ist es meine Entscheidu­ng, ob ich einen Berg als Barriere oder als fröhliche Einladung sehe, im Vertrauen auf Gott ein freies Solo zu wagen. Vikarin Jael Berger, Evangelisc­he Kirche, Tuttlingen

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FOTO: PRIVAT Vikarin Jael Berger.

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