Frühere Kulturen verzögern Bauprojekte
In Tuttlingens Baugrund finden sich immer wieder Spuren von Römern und Alemannen
TUTTLINGEN - Römer und Alemannen: Sie siedelten vor mehr als tausend Jahren in und um Tuttlingen. Obwohl ihre Zeit längst vergangen ist, prägen sie auch heutige Unternehmungen – vor allem bei Bauvorhaben.
So verzögert sich die Erweiterung des Gewerbegebiets Gänsäcker in Möhringen aufgrund von Ausgrabungen, weil im Gelände ein römisches Landgut gestanden haben soll. Auf dem Marquardt-Areal in Tuttlingen stehen Untersuchungen wegen der Überreste eines dort vermuteten römischen Kastells an. Und beim Bauen in „Auf Lett“in Nendingen kamen schon vor Jahren mehrere Alemannen-Gräber zutage.
Fachleute sind sich einig: „Auf Lett“ist ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte. So schreiben Jutta KlugTreppe und Joachim Wahl, Referenten im Landesamt für Denkmalpflege Stuttgart, in einem Aufsatz für die Behörde von zerstörten Gräbern, weil Baugruben ohne Absprache mit den zuständigen Ämtern ausgebaggert worden seien: „Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Grundstücke inzwischen unkontrolliert bebaut ist.“Nur durch eine Notbergung im Jahr 2007 hätten noch acht Grabgruben dokumentiert werden können (siehe Kasten).
Deshalb geht die Denkmalschutzbehörde auf Nummer sicher: Geomagnetische Messungen und Luftbilder haben ergeben, dass ein Teil der Villa Rustica – einem römischen Landgut aus dem Jahr 100 bis 200 nach Christus – in der Erweiterungsfläche des Gewerbegebiets Gänsäcker liegt. Derzeit ist hier noch Ackergrund. Ab April stehen Grabungen des Landesamts für Denkmalschutz an. Die Kosten in Höhe von rund 130 000 Euro – 78 Arbeitstage sind angesetzt – übernimmt die Stadt. Dabei geht es in den GrabungsAbschnitten eins und zwei wohl nur um die Dokumentation kleinerer Befunde. „Wir reden hier teilweise von Erdverfärbungen“, erklärt Klug-Treppe. Zwei Meter breite Gräber werden im Abstand von zehn Metern ausgebaggert und das Erdreich akribisch durchgesiebt. Mauerreste in den Böden Gänsäckers vermutet Sollte das Grabungs-Team dort größere Funde entdecken, so werden umfangreiche Rettungsmaßnahmen notwendig, erklärt Karin Kohler, Fachbereichsleiterin Wirtschaftsförderung, Liegenschaften und Forst bei der Stadt. In einem dritten Abschnitt – südwestlich in Richtung Immendingen gelegen, bei den Bahngleisen – gilt es sogar als gesichert, dass größere Fundstücke wie Mauerreste zu entdecken sind. Kohler: „Wir gehen davon aus, dass die Abschnitte eins und zwei bis August oder September freigegeben werden.“Dann könne die Stadt diese Gebiete erschließen. Und die Denkmalpfleger widmen sich dem dritten Abschnitt. 980 Euro netto kostet die Stadt jeder weitere Tag, an dem das Grabungsteam im Einsatz ist, plus Aufwendungen für Arbeitsgerät und Mehrwertsteuer.
Das römische „Kastell Tuttlingen“aus der Zeit um 70 nach Christus ist ein eingetragenes Kulturdenkmal im Sinne des Landes-Denkmalschutzgesetzes. Dabei wird dessen Existenz nur vermutet. Dennoch erschwert diese Vermutung das Bauen in der Innenstadt. Denn wie am Beispiel des ehemaligen Marquardt-Areals an der Ecke Bismarck-/Zeughausstraße, wo bereits Ende des 19. Jahrhunderts römische Mauerrestegefunden worden sein sollen, sind archäologische Untersuchungen notwendig.
Im März wird es losgehen: Dann sind die Aushubarbeiten für die Wohnanlage „Residenz am Stadtgarten“auf dem Areal geplant, parallel wird auch das Denkmalschutzamt seine Untersuchungen machen – Meter für Meter. Wie lange diese Arbeiten dauern, hängt davon ab, ob der Denkmalschutz Interessantes findet. Von vier Wochen bis zu einem halben Jahr sei alles möglich. Erst danach können die eigentlichen Bauarbeiten für das Fundament beginnen, sagt Marcus Ziegler, Geschäftsführer des Investors Immo Projekt. Die Tuttlinger Wohnbau hat vor rund vier Jahren im Gebiet zwischen Zeughausstraße und Bahnhofstraße die Tuttlinger Höfe erstellt. Archäologische Untersuchungen gab es damals nicht, sagt Wohnbau-Prokuristin Rita Hilzinger. „Aber etwaige Funde hätten wir sofort melden müssen.“
„Tuttlingen steht auf der Liste der möglichen Kastellplätze an der Donau“, erklärt Martin Kemkes vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Wüttemberg, Dienststelle Rastatt. Er spricht vom sogenannten „Donaulimes“, der unter Kaiser Claudius rund 50 Jahre lang Bestand hatte. Ab Hüfingen seien alle 20 bis 30 Kilometer entsprechende Kastelle gefunden worden, so auch in Mengen und Emerkingen. Kemkes: „Da käme Tuttlingen als weiteres Zwischenglied durchaus in Betracht.“ Unter der Stadt Tuttlingen liegt vermutlich Kastell Historiker gehen davon aus, dass sich das römische Kastell im vollständig überbauten Stadtgebiet Tuttlingens befindet. Vermutet werden die Mauern südlich der Donau – im Gebiet zwischen Friedrich- und Olgastraße sowie Bahnhof- und Möhringer Straße, erklärt die Tuttlinger Museumsleiterin Gunda Woll. Das besagt zumindest ein Papier, das sich in ihrem Archiv befindet. Reste von Befestigungsanlagen, Abfallgruben und Gebäuden sollen sich dort befinden. Ein Nachweis ist schwierig: „Nach dem großen Stadtbrand von 1803 ist die Innenstadt mit Schuttmaterial um rund einen Meter aufgefüllt worden“, so die Museumsleiterin. Alles was darunter im Erdreich lag, ist dadurch schwer zugänglich. Auf der anderen Seite hat es mögliche römische Überreste aber auch perfekt konserviert.
Der 2006 verstorbene Historiker Philipp Filtzinger beschreibt in einem Aufsatz mehrere Fundstücke, die in den 1960er-Jahren im Tuttlinger Museum katalogisiert worden seien: Das Fundament eines römischen Gebäudes Ecke Zeughaus-/ Bismarckstraße aus dem Jahr 1894. Ton- und Glasgefäße und ein Amphorenhenkel im Bereich der Zeughausstraße. Leider seien diese Fundstücke verlorengegangen.
In den Schatzkammern des Tuttlinger Museums befindet sich aber eine andere Rarität: eine gut erhaltene römische Balkenwaage. Dieses Fundstück wird laut Woll einer römischen Siedlung in der Bleiche in Tuttlingen zugeordnet. Im Gegensatz zum Kastell sei diese belegt und dokumentiert.