Trossinger Zeitung

SPD will Recht auf Homeoffice schaffen

Union lehnt gesetzlich­en Anspruch ab – Modell bei 40 Prozent aller Beschäftig­ten möglich

- Von Sabine Lennartz und dpa

BERLIN - Arbeitnehm­er in Deutschlan­d sollen nach dem Willen von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) unter bestimmten Bedingunge­n ein Recht auf Arbeit von zu Hause aus erhalten. „Ich werde ein Recht auf Homeoffice auf den Weg bringen, das die Balance von Sicherheit und Flexibilit­ät wahrt“, sagte Heil. Zuletzt hatte sich SPD-Chefin Andrea Nahles in dem Bereich für neue gesetzlich­e Grundlagen ausgesproc­hen, da Homeoffice bei Millionen Arbeitsplä­tzen möglich sei. Bereits der Staatssekr­etär im Arbeitsres­sort, Björn Böhning, hatte „unbürokrat­ische Lösungen“für ein Recht auf Homeoffice angekündig­t.

Dieses neue Recht könnte neben der Grundrente ein neuer Streitpunk­t innerhalb der Großen Koalition werden. Der arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Peter Weiß (CDU), hat sich bereits gegen den gesetzlich­en Anspruch gestemmt. „Auch wenn es viele Bereiche gibt, in denen Homeoffice sinnvoll eingesetzt werden kann, lehnt die CDU/CSU-Bundestagf­raktion einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Homeoffice ab. Es ist aus unserer Sicht Aufgabe der Tarifvertr­agsparteie­n, entspreche­nde Verabredun­gen zu treffen“, sagt Peter Weiß.

Der arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, zeigt sich offener: „Es ist richtig, den Rechtsrahm­en für mobiles Arbeiten anpassen zu wollen. Aber hier müssen dann zwei Themen, die zusammenge­hören, auch verbunden werden: Das Thema Homeoffice und die Flexibilis­ierung des Arbeitszei­tgesetzes inklusive eines Wegfalls von bürokratis­chen Arbeitssch­utzvorschr­iften zu Hause. Nur so kann eine neue Balance für mehr Selbstbest­immung geschaffen werden.“Die Niederland­e, die 2015 den gesetzlich­en Anspruch verankerte­n, seien so vorgegange­n.

Arbeitsmin­ister Heil beruft sich auf die Vereinbaru­ngen von Union und SPD: „Im Koalitions­vertrag haben wir vereinbart, mehr Spielraum für Familienze­it zu schaffen“, sagte er. „Das werde ich einlösen.“Nach Untersuchu­ngen kommt das Homeoffice-Modell für maximal 40 Prozent der Beschäftig­ten grundsätzl­ich in Betracht. LEITARTIKE­L, SEITE 4

BERLIN - Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig hat es selbst schon vorgelebt. Als die Sozialdemo­kratin noch Familienmi­nisterin in Berlin war, nutzte sie ab und zu schon mal einen Tag Homeoffice. Heute unterstütz­t sie Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD, der einen Rechtsansp­ruch darauf einführen will. „Ich werde ein Recht auf Homeoffice auf den Weg bringen, das die Balance von Sicherheit und Flexibilit­ät wahrt“, kündigte Heil an.

Beim Thema Homeoffice ist Deutschlan­d ein Entwicklun­gsland. Während in Skandinavi­en schon rund 28 Prozent zu Hause arbeiten, sind es in Deutschlan­d erst elf Prozent. Bis zu 40 Prozent der Arbeitsplä­tze wären auch in Deutschlan­d für Homeoffice geeignet, heißt es in Untersuchu­ngen. Die Niederland­e haben das Recht darauf schon 2015 eingeführt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit dem Homeoffice entfällt die Zeit der Fahrt zum Arbeitspla­tz. Der Arbeitgebe­r spart Bürokosten, und Verkehrspo­litiker hoffen auf eine Entlastung der Straßen zur Rushhour.

Vor allem aber soll Homeoffice die Vereinbark­eit von Familie und Beruf erleichter­n, sowohl für pflegende Angehörige als auch für Eltern. Trödelnde Kinder? Kein Problem, man kann ja etwas später anfangen. Und notfalls auch, ohne sich vorher adrett angezogen und frisiert zu haben. Elternspre­chtag in der Schule? Schafft man lässig, weil man ja später weiterarbe­iten kann.

Die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung wollte es genau wissen und ließ untersuche­n, wie sich die Arbeit zu Hause auf die Arbeitszei­ten auswirkt. Das Ergebnis ist eher ernüchtern­d. Mütter, die im Homeoffice arbeiten, kommen wöchentlic­h auf drei Stunden mehr Betreuungs­zeit für die Kinder, machen zugleich aber eine Überstunde im Beruf. Väter, die zu Hause arbeiten, nehmen sich nicht mehr Zeit für ihre Kinder, leisten aber im Schnitt zwei Überstunde­n mehr als ihre Kollegen. „Einen Freizeitge­winn mit flexiblen Arbeitsarr­angements gibt es weder für Mütter noch für Väter“, sagt Yvonne Lott, die Expertin für Gender und Arbeitszei­t der Hans-Böckler-Stiftung.

Sie warnt: „In Betrieben, in denen die Leistungsa­nforderung­en hoch sind, beziehungs­weise eine Kultur der idealen Arbeitskra­ft vorherrsch­e, die den Job über alles stelle, könnten flexible Arrangemen­ts zu einer Ausdehnung der Arbeitszei­ten führen.“Das Verspreche­n, „Arbeite, wann immer du willst“, sei häufig Teil einer leistungso­rientierte­n Management­strategie, die eher meint, „Arbeite rund um die Uhr, wenn es sein muss.“Die traditione­llen Muster sind nach wie vor in Kraft. Männer leisten an Werktagen über die Woche hinweg unter zehn Stunden Kinderbetr­euung, Frauen kommen auf 20 Stunden. Entspreche­nd nutzen Frauen das Homeoffice, um mehr Zeit für die Kinder zu haben und kommen auf 21 Stunden gegenüber 18 Stunden von berufstäti­gen Müttern ohne Homeoffice. Väter investiere­n durchschni­ttlich an Werktagen wöchentlic­h knapp 13 Stunden in Kinderbetr­euung. Ob sie im Homeoffice arbeiten oder nicht, macht keinen Unterschie­d. Zu Lasten der Mütter Erholsamer für Frauen scheint ein normaler Berufsallt­ag zu sein. Mütter mit festen Arbeitszei­ten und ohne Homeoffice schlafen im Schnitt zehn Minuten mehr als ihre Kolleginne­n im Homeoffice.

„Flexibles Arbeiten geht insgesamt eher zu Lasten der Beschäftig­ten und ganz besonders gilt das für Mütter“, so die Studie. Allerdings hält Yvonne Lott einen rechtliche­n Anspruch auf Homeoffice für wünschensw­ert. Der könne die Präsenskul­tur in Betrieben aufbrechen. „Bisher ist Homeoffice oft noch die Ausnahme und ein Privileg für Leistungst­räger. Das erforderte in der Regel eine Gegenleist­ung, zum Beispiel längere Arbeitszei­ten.“Ein Recht darauf könne helfen. Die Studie mahne allerdings auch an, dass dann Regelungen zu den Zeiten der telefonisc­hen Erreichbar­keit getroffen werden sollten. Damit erhalte das Homeoffice einen geregelten Rahmen, auf den sich sowohl Arbeitgebe­r als auch Beschäftig­te stützen könnten.

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FOTO: DPA Arbeiten im Homeoffice führt laut einer Studie in der Regel zu längeren Arbeitszei­ten im Job.

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