Europa nicht den Kritikern überlassen
Politischer Aschermittwoch: Parteiübergreifende Plädoyers gegen „Verführung und Wahnsinn“
BIBERACH/FELLACH/PASSAU - Mit Plädoyers für ein starkes Europa haben Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Grünen-Parteichef Robert Habeck in Biberach den politischen Aschermittwoch bestritten. Sie warnten vor einem Erstarken des Nationalismus vor der Europawahl am 26. Mai. Mit Kritik an ihren politischen Gegnern waren sie insgesamt sparsam. Habeck jedoch kritisierte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer scharf. Sie hatte beim Stockacher Narrengericht in der vergangenen Woche Witze über die Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht gemacht. Habeck sagte, dass Kramp-Karrenbauer „ein bisschen zu viele Probleme mit zu viel bunt“habe. Er forderte eine Entschuldigung.
Auch beim politischen Aschermittwoch der CDU in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) warnten BadenWürttembergs CDU-Chef Thomas Strobl und EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger davor, Europa seinen Kritikern zu überlassen. „Lasst uns dafür kämpfen, dass am 26. Mai Vernunft und Vision gegen Verführung und Wahnsinn siegen werden“, sagte Strobl mit Blick auf die Europawahl Ende Mai. Heimatverbundenheit und Europa seien für die CDU Baden-Württemberg kein Widerspruch. Auch Oettinger sagte: „Wir müssen kämpfen.“Andere wollten Europa zerstören. Baden-Württemberg habe seinen Wohlstand erreicht durch ein Europa, das keine Grenzen mehr kenne.
Im bayerischen Passau kritisierte CSU-Chef Markus Söder die Grünen wegen ihrer Flüchtlingspolitik und erteilte Schwarz-Grün auf absehbare Zeit eine Absage. „Solange die Grünen in Berlin sogar die Rücknahme in sichere Herkunftsstaaten blockieren, kann ich mir die Zusammenarbeit mit diesen Leuten nicht vorstellen“, sagte Söder. Zugleich übte Söder, der unrasiert und ohne Krawatte auftrat, den Schulterschluss mit der Schwesterpartei CDU. In der Zuwanderungspolitik arbeiteten die Unionsparteien künftig eng zusammen, sagte er. „Wir sind zwei Parteien, aber beim Thema Zuwanderung: ein Kurs“, betonte Bayerns Ministerpräsident. „Es gibt eine neue Linie der CDU, die die alte der CSU ist.“
LUDWIGSBURG/KARLSRUHE (lsw) Annegret Kramp-Karrenbauer und die bevorstehende Europawahl im Mai: Beim politischen Aschermittwoch im Südwesten haben die Parteien viel über die gleichen Themen gesprochen – einig waren sie sich deshalb noch lange nicht. Während CDU-Landeschef Thomas Strobl seine Bundeschefin Kramp-Karrenbauer nach ihrem umstrittenen Karnevalswitz über das dritte Geschlecht vergangene Woche in Schutz nahm, sparte etwa die SPD bei ihrem Treffen in Ludwigsburg nicht mit Kritik. Mit Blick auf die Europawahlen herrschte Einigkeit. Gegeneinander wurde trotzdem gern ausgeteilt.
Kramp-Karrenbauer hatte in Stockach (Landkreis Konstanz) einen Witz über die Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht gemacht: „Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist die Toilette.“
Vom früheren SPD-Chef Martin Schulz hieß es dazu bei der Landesveranstaltung seiner Partei: „Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber dass sich eine CDU-Vorsitzende darüber äußert – auch im Karneval – wer auf welche Toilette gehen darf, das ist sicher nicht das Niveau, mit dem man die Bundesrepublik Deutschland führen sollte.“Beim Karneval könnten die Schwachen den Mächtigen die Meinung pfeifen, „aber nicht wie Annegret Kramp-Karrenbauer, die als Mächtige auf den Schwachen herumhackt.“
Schulz warnt vor EU-Zerstörern
Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments schwörte seine Parteifreunde in Baden-Württemberg auf die Europawahl im Mai ein. Die Zerstörer Europas seien „mobilisiert bis in die Haarspitzen, weil sie glauben, dass sie Wind im Rücken haben“, sagte Schulz.
Er nannte die Wahl eine Schicksalswahl und mahnte dazu, sich dem Bösen in den Weg zu stellen in Zeiten, in denen einer gegen den anderen ausgespielt werden sollte. „Im Bundestag sind es die Migranten. Die Migranten sind an allem schuld. Übrigens ist der Satz, die Migration ist die Mutter aller Probleme, kein Satz der AfD, sondern ein Satz von Horst Seehofer.“Staaten und Nationen hätten sich zur Europäischen Union in dem Wissen zusammengeschlossen, gemeinsam sind wir stärker, sagte Schulz.
„Es ist ja nicht nur so, dass wir die Schlagbäume abgerissen haben, sondern auch sprachliche Grenzen überwunden, wirtschaftliche Grenzen überwunden, kulturelle Grenzen überwunden und soziale Grenzen überwunden haben.“
Der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch richtete seinen Blick auf seinen ehemaligen Koalitionspartner Winfried Kretschmann (Grüne). Der Ministerpräsident „ist der Oberlehrer dieses Bundeslandes“, kritisierte Stoch. Deshalb meine er wohl auch, dass es keine zusätzlichen Lehrer brauche.
Die FDP ging vornehmlich mit der CDU hart ins Gericht. Bei ihrer Landesveranstaltung in Karlsruhe kritisierten die Liberalen die Klimapolitik von Bund und Land. Landeschef Michael Theurer und Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsvorsitzender im Landtag, warnten vor einer Verteufelung von Diesel und Verbrennungsmotor. Elektroautos mit Lithium-Ionen-Batterien seien klimapolitischer Unsinn, sagte Theurer. „Das ist ein Irrweg.“Stattdessen sollte die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen vorangetrieben werden.
Mit Blick auf die Landes-CDU sagte Theurer am Mittwoch: In der Koalition mit den Grünen sei Innenminister Strobl als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Die CDU sei inzwischen so links wie die Linkspartei.
FDP wünscht sich Schwarz-Gelb
Theurer und Rülke kritisierten Bestrebungen in der CDU für ein Bündnis mit den Grünen auf Bundesebene. Theurer rief zum Umdenken auf: „Wir glauben, schwarz-gelbe Mehrheiten sind möglich.“
Scharf attackierte Theurer den CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der sich als Erbe Ludwig Erhards sehe. Dabei sei Altmaiers Wirtschaftspolitik mit Industriestrategie und Kohlekommission alles andere als die soziale Marktwirtschaft Erhards. „Sie haben nicht das Format von Ludwig Erhard, jedenfalls nicht politisch.“
Die Veranstaltungen der Grünen, CDU, SPD und FDP begannen jeweils bereits am Vormittag. Die Veranstaltung der AfD war erst für den späteren Abend angesetzt.