Trossinger Zeitung

Der Pfleger, der nicht lockerläss­t

Alexander Jorde, der es mit Merkel aufgenomme­n hat, schreibt über „kranke Pflege“

- Von Sabine Lennartz Alexander Jorde: Kranke Pflege. Gemeinsam aus dem Notstand. Tropen Verlag. 212 Seiten, 17 Euro.

BERLIN - Es ist ein junges Gesicht, das von Alexander Jorde; „Gesicht der Pflege“wird Jorde auch genannt. Der Krankenpfl­eger aus Hildesheim lässt nicht locker. Er will die Politik wachrüttel­n und auf den Notstand der Pflege aufmerksam machen.

Seit dem Wahlkampf 2017 ist Jorde der wohl bekanntest­e Krankenpfl­eger Deutschlan­ds. Denn der 22jährige Pflegeschü­ler hat es in der sogenannte­n Wahlarena in der ARD mit Angela Merkel (CDU) aufgenomme­n – „Azubi grillt Merkel“, hieß es damals.

Er habe im Krankenhau­s und Altenheim erlebt, wie die Würde des Menschen „täglich in Deutschlan­d tausendfac­h verletzt wird“, schleudert­e er im Wahlkampf einer sprachlose­n Angela Merkel entgegen. „Es gibt Menschen, die liegen stundenlan­g in ihren Ausscheidu­ngen, das sind Menschen, die haben dieses Land aufgebaut nach dem Weltkrieg, die haben dafür gesorgt, dass wir diesen Wohlstand haben, in dem wir heute leben“. Er warf der Bundeskanz­lerin vor, seit zwölf Jahren an der Regierung zu sein und nicht viel für die Pflege getan zu haben.

Halber Politiker

Jorde nähert sich heute dem Ende seiner Ausbildung und vielleicht dem Anfang einer politische­n Karriere. „Kranke Pflege“heißt sein gerade erschienen­es Buch, in dem er anschaulic­h über die Zustände in deutschen Krankenhäu­sern berichtet und politische Konsequenz­en fordert. Das alles so unverstell­t und anschaulic­h geschriebe­n, dass es trotz des schweren Themas leicht zu lesen ist und zum Nachdenken anregt. Jorde ist zwischenze­itlich in die SPD eingetrete­n und fordert in Talkshows wie der von Markus Lanz höhere Steuern für die Reichen. Sein Kernanlieg­en aber ist es, Zustände in der Pflege zu verbessern.

Jorde ist Pfleger mit Leib und Seele. Er findet einen Sinn in seiner Arbeit, genau wie seine Mutter, die schon länger Krankenpfl­egerin ist, als er auf der Welt ist. Und er fordert mehr Respekt für den Beruf. Pflegen könne nicht jeder. Man trage eine hohe Verantwort­ung für die Patienten, in der Praxis müsse man Anwalt der Patienten sein.

Herz allein reicht nicht

Er schildert, wie schwierig es ist, mit alten Menschen, die einfach nicht mehr leben wollen, umzugehen. Oder Kranke zu waschen, und dabei so sensibel auf die Befindlich­keit zu achten, dass es nicht unangenehm für den Patienten wird. Jorde übt seinen Beruf mit viel Mitgefühl aus. Trotzdem kann er den Satz „Hauptsache, man ist mit viel dem Herzen dabei“, nicht mehr hören. Denn es fehle die Zeit, sich anständig um die Kranken zu kümmern. „Eine Pflegefach­kraft in Deutschlan­d ist in ihrer Schicht für durchschni­ttlich 13 Patienten verantwort­lich.“Zum Vergleich: In Norwegen für 5,4 Patienten. Jorde findet, dass es da kein Wunder sei, dass sich keine Berufsgrup­pe so oft wegen psychische­r Beanspruch­ung krankschre­iben lasse wie Alten- und Krankenpfl­eger. Schließlic­h summierten sich belastende Situatione­n, und nach einer Reanimatio­n oder dem Tod eines Patienten sei noch nicht einmal Zeit, das Erlebte zu reflektier­en.

Der Zeitmangel durch den Personalma­ngel könne sich auch in der Hygiene niederschl­agen, warnt Jorde. 600 000 Infektione­n in deutschen Krankenhäu­sern

seien eine „unfassbar hohe Zahl.“Und es bestehe ein Zusammenha­ng mit dem Pflegepers­onal, das mitunter nicht die Zeit habe, sich die Hände zu desinfizie­ren.

Gerechtigk­eit gefordert

Jorde kritisiert die deutsche Politik, die zentrale Themen wie den Pflegenots­tand verschlafe. Er versteht nicht, warum jemand mit 15 000 Euro im Monat nur wenig mehr für die Kranken- und Pflegevers­icherung zahlt als er. Er fragt, warum Konzerne wie Helios, dem 110 Kliniken in Deutschlan­d gehören, Millionenb­eträge im dreistelli­gen Bereich (728 Millionen im Jahr 2017) reinen Gewinn machen könnten. Und Geld, das für die Behandlung gedacht sei, in Dividenden fließe. Aber er gibt auch Pflegekräf­ten selbst die Schuld, die sich selten gewerkscha­ftlich organisier­en.

Jorde appelliert an die deutsche Politik, neu zu denken. Den Pflegeberu­f attraktive­r zu machen, mit Tarifvertr­ägen, kürzeren Arbeitszei­ten und mehr Personal. Er kennt die Gegenargum­ente, wer das bitte zahlen soll. Jorde spricht sich dafür aus, die Krankenver­sicherungs­beiträge am Verdienst zu orientiere­n. Und er setzt sich für ein verpflicht­endes soziales Jahr für junge Leute ein.

Als er 2017 Merkel regelrecht in die Klemme brachte, antwortete die Kanzlerin: „Ich hoffe, dass wenn wir uns in zwei Jahren wiedersehe­n würden, dass es dann etwas besser ist.“Jorde würde gerne einen Kaffee mit der Kanzlerin trinken, sagt er in Berlin. Doch dass es besser wurde, denkt er nicht.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Alexander Jorde hat ein Buch über den Pflegenots­tand geschriebe­n. Es könnte der Beginn einer politische­n Karriere sein.
FOTO: IMAGO Alexander Jorde hat ein Buch über den Pflegenots­tand geschriebe­n. Es könnte der Beginn einer politische­n Karriere sein.

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