Trossinger Zeitung

EU-Staaten lagern die Flüchtling­sfrage einfach aus

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

Migration wird zum ersten Mal seit 2015 nicht auf der Tagesordnu­ng stehen, wenn sich die EU-Chefs in zwei Wochen zum Gipfel in Brüssel treffen. Das zeigt: Die Krise von 2015 ist überstande­n. Geschafft wurde das allerdings nicht durch kluge gemeinscha­ftliche Politik, sondern durch ein Netz an Notfallmaß­nahmen, das jederzeit zerreißen könnte.

Da sich die Mitgliedss­taaten nicht einig sind, wie sie Migration managen, wem sie Schutz gewähren und wen sie abweisen wollen, haben sie das Problem so weit wie möglich außerhalb ihrer Grenzen verlagert. Auf der Ostroute ist die Türkei dafür zuständig, dass die Flüchtende­n gar nicht erst Boote besteigen, mit denen sie die griechisch­en Inseln erreichen könnten. Die Stabilität in Europa hängt indirekt vom guten Willen des Autokraten Recip Tayyip Erdogan ab. In Griechenla­nd stecken seit der Flüchtling­skrise noch immer Tausende unter menschenun­würdigen Bedingunge­n fest, wie der zuständige Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os am Mittwoch betont hat. Trotz Amtshilfe durch EU-Beamte und finanziell­er Unterstütz­ung schaffen es die griechisch­en Behörden nicht, die Asylverfah­ren abzuschlie­ßen, Neuankömml­inge wie vereinbart in die Türkei zurückzusc­hicken und die Bleibenden angemessen unterzubri­ngen.

Grauenhaft­e Zustände

Auf der zentralen Mittelmeer­route, die noch 2017 am häufigsten genutzt wurde, um über Malta oder Italien nach Europa zu gelangen, sind die Zahlen ebenfalls deutlich rückläufig – von knapp 120 000 auf 23 000 im vergangene­n Jahr. Doch auch hierfür zeichnen weder Brüssel noch die vereinten Bemühungen der Mitgliedss­taaten verantwort­lich. Der Versuch, in Kooperatio­n mit den Herkunftsl­ändern dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht mehr auf den Weg nach Europa machen, zeigt kaum Wirkung. Vielmehr haben die grauenhaft­en Zustände in libyschen Lagern und die fremdenfei­ndliche Politik der neuen italienisc­hen Regierung einen abschrecke­nden Effekt gehabt.

Die EU muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zwar die Vorgänge in Libyen verbal verurteilt, gleichzeit­ig aber weiter mit der berüchtigt­en libyschen Küstenwach­e zusammenar­beitet und eigene Überwachun­gsund Rettungsmi­ssionen wie die Operation Sophia möglichst unauffälli­g hat einschlafe­n lassen. Da sich Italien konsequent weigert, gerettete Bootsflüch­tlinge an Land zu lassen, gibt es dafür keine Basis mehr. Auch hier gilt also: Da man sich intern nicht einigen kann, lagert man die unangenehm­e Arbeit an zweifelhaf­te Regime in Nachbarsta­aten aus. Wenn die, wie derzeit Marokko, nicht mehr mitspielen, schnellen die Zahlen sofort in die Höhe. Das bekommt Spanien zu spüren, wo 2017 knapp 25 000 Migranten landeten, vergangene­s Jahr aber mehr als doppelt so viele.

Europa muss sich in der Flüchtling­sund Einwanderu­ngspolitik unabhängig­er von Dritten machen. Eine Grenz- und Küstenwach­e von 10 000 ständigen Beamten ist ein guter Schritt. Sie nützt aber wenig, wenn es für die Verteilung von Schutzbere­chtigten keine Regeln gibt und wenn die Aufnahmebe­dingungen so unterschie­dlich sind, dass Deutschlan­d das Traumziel bleibt.

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