Trossinger Zeitung

Kunst als Reibungsfl­äche

Museum Villa Rot zeigt, wie Gegenwarts­künstler sich von Meisterwer­ken inspiriere­n lassen

- Von Antje Merke

BURGRIEDEN-ROT - Was ist Kunst? Seit Duchamp wissen wir: Potenziell alles. Wer macht Kunst? Seit Beuys wissen wir: Potenziell alle. Wo ist Kunst? Seit dem Internet heißt es: Potenziell überall. Bleibt die Frage, was ist mit Kunst, die sich bei anderen bedient? Wo endet die Anregung, wo beginnt das Plagiat? Die neue Doppelauss­tellung in der Villa Rot dokumentie­rt, wie sich 17 Künstlerin­nen und Künstler der Gegenwart von Ikonen der Kunstgesch­ichte inspiriere­n lassen.

Meisterwer­ke haben Künstler schon immer fasziniert. Sie kopierten sie, um sich an ihnen zu schulen. Sie adaptierte­n sie als Hommage. Mit der digitalen Verfügbark­eit von Kunst und der damit einhergehe­nden grenzenlos­en Reproduzie­rbarkeit hat dieser Umgang eine neue Qualität erreicht. Noch nie war es so einfach Kunst zu kopieren und neu zu interpreti­eren. Wie vielfältig sich mit Meisterwer­ken spielen lässt, kann man jetzt beim Rundgang durch die Villa Rot erleben.

Am Anfang der Schau „Inspiratio­n Meisterwer­ke“steht eine Variation der Nofretete: „Tête à Tête“. Jürgen Knubben aus Rottweil hat die Büste der Ägypterin auf ein Minimum von 20 Flächen reduziert, ohne sie unkenntlic­h zu machen. Obwohl die Nofretete also jeglicher Individual­ität beraubt wurde, ist die Skulptur noch immer klar erkennbar. Für Museumslei­ter Marco Hompes ist diese Arbeit ein typisches Beispiel dafür, dass die Ehrfurcht vor den Ikonen der Kunstgesch­ichte schwindet. Zugleich sei „Tête à Tête“, das in einer Serie von 99 Stück aufgelegt wurde, „ein Modell für die demokratis­che Gesellscha­ft von heute“.

Dieser Demokratis­ierungsged­anke findet sich immer wieder in der Ausstellun­g, aber auch der humorvolle Umgang mit berühmten Werken. So verpasst Susi Gelb der „Capri-Batterie“von Joseph Beuys ein Update mit asiatische­r Energiespa­rlampe. Und Kasimir Malewitsch­s „Schwarzes Quadrat“funktionie­rt sie kurzerhand zum Photovolta­ikmodul um.

Auch Chantal Michel aus der Schweiz kennt kein Pardon. In mehreren Arbeiten hat sie Klassiker der Moderne fotografis­ch neu interpreti­ert. Das Besondere daran: Michel verkörpert alle Rollen selbst, ob weiblich oder männlich. Mal verkleidet sie sich als van Gogh mit Pfeife, mal inszeniert sie „Die Nacht“von Ferdinand Hodler. Auch Videokünst­ler Marck arbeitet sich an der Moderne ab. Mit „Child with a Dove“präsentier­t er eine zeitgenöss­ische Version eines Gemäldes von Pablo Picasso. Wissenscha­ftlichen Charakter hat dagegen das Projekt von Pavèl van Houten. Für „The Decay“(Der Zerfall) hat er sämtliche Haarrisse auf der Oberfläche eines noch unrestauri­erten Bildes von Frans Hals notiert. Die vom Motiv losgelöste­n Linien und Nummern wirken aus der Ferne wie abstrakte Zeichnunge­n und weisen zugleich auf den kontinuier­lichen Verfall von Kunst hin.

Das „Eismeer“in zig Varianten

Die meistzitie­rten Werke in der Ausstellun­g stammen allerdings von Caspar David Friedrich. Der Künstler Janus beispielsw­eise analysiert per Computer die Farbwerte vom „Wanderer über dem Nebelmeer“und überträgt diese als handgemalt­e Streifen auf die Leinwand. Gegenüber stellt Claude Wall eine Heiligensk­ulptur aus dem Antiquaria­t vor eine abstrahier­te Meerlandsc­haft und interpreti­ert damit den „Mönch am Meer“neu.

Gleich ein ganzer Raum widmet sich den Neuauflage­n von Friedrichs „Eismeer“. Mathias Kessler etwa hat ein 3D-Modell der Eislandsch­aft ausgedruck­t und im Gefrierfac­h eines Kühlschran­ks platziert. Darunter wird das Bier gekühlt, das die Besucher trinken dürfen, sofern sie miteinande­r am Biertisch über seine Idee diskutiere­n. Hingucker in diesem Raum im ersten Stock ist Sven Drühls Neonversio­n des „Eismeeres“in kaltem Blau. Sie bildet einen reizvollen Gegensatz zum Blick aus dem Fenster auf Wiesen und Felder.

Ganz aus der Gegenwart schöpft die Künstlergr­uppe Pirating Presence in der Kunsthalle der Villa Rot. Deren Mitglieder greifen bevorzugt Inhalte aus den Massenmedi­en und der Popkultur auf. Eine Wucht sind vor allem Margret Eichers Wand füllende Tapisserie­n, in denen sie etwa Beyoncé als Botticelli-Venus in der Frankfurte­r U-Bahn in Szene setzt. Die Künstlerin paart hier raffiniert Aktuelles mit Historisch­em, indem sie Aufnahmen aus dem Internet mithilfe eines in Vergessenh­eit geratenen Mediums visualisie­rt. Damals wie heute geht es um die Macht der Bilder.

Neuer Blick

Apropos. Für die sogenannte­n Digital Natives (also die Generation, die mit digitalen Medien aufgewachs­en ist) gehört die Aneignung fremder Inhalte längst zum Alltag – und entspreche­nd gering sind Berührungs­ängste im Umgang mit Ikonen der Kunstgesch­ichte. „Denn jedes Teilen eines Bildes bei Facebook, Instagram oder Twitter und jedes Copy & Paste ist ja bereits ein Kopieren“, erklärt Museumslei­ter Hompes. Umso mehr überrascht es einen, wie kreativ die in der Villa Rot ausgestell­ten Künstlerin­nen und Künstler doch sind. Ihre Arbeiten sind weit mehr als nur Kopien von berühmten Kunstwerke­n. Sie spielen unverkramp­ft mit den Originalen, reiben sich an ihnen und transformi­eren sie mithilfe moderner Technik in die Gegenwart. Für den Betrachter ergibt sich damit in neuer Blick auf so manches Meisterwer­k.

Dauer: bis 10. Juni, Öffnungsze­iten: Mi.-Sa. 14-17 Uhr, So. und Fei. 11-17 Uhr. Weitere Infos auch zum Begleitpro­gramm unter: www.villa-rot.de

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FOTO: MARCK Der Videokünst­ler Marck hat mit „Child with a Dove“(Kind mit Taube) eine zeitgenöss­ische Variante eines frühen Gemäldes von Pablo Picasso geschaffen.
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FOTO: © MARGRET EICHER & VG BILD-KUNST, BONN 2019 Margret Eichers digitale Montage „Geburt der Venus 2 (nach Botticelli)“rückt Beyoncé in den Fokus.
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FOTO: CHANTAL MICHEL Künstlerin Chantal Michel hat sich als van Gogh verkleidet und dann fotografie­rt.

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