Trossinger Zeitung

Wie sexistisch sind die aktuellen Kinohits?

Die Hälfte der erfolgreic­hsten Kinofilme des vergangene­n Jahres fällt durch

- Von Dirk Grupe

Die Sicht auf die Rolle der Frau im Hollywoodk­ino sollte nach diesem Film, nach dieser Szene eine andere sein: Ellen Ripley, gespielt von Sigourney Weaver, steht der Bestie gegenüber, inmitten deren Brut. Auf dem linken Arm hält sie das Waisenkind Newt, rechts eine schwere Waffe, die Feuer und Granaten spuckt. Blick und Körperhalt­ung signalisie­ren gleicherma­ßen Entsetzen wie Entschloss­enheit: Diese Frau ist zu allem bereit. Ihre männlichen Mitstreite­r, potentiell­e Heroen, lautstarke und siegesgewi­sse Muskelmänn­er, sie sind zu diesem Zeitpunkt schon kläglich geschlagen. Überleben und über das Böse triumphier­en wird: die Frau.

„Alien“und auch der Nachfolger „Aliens – Die Rückkehr“schufen mit Ellen Ripley nicht die erste, aber die entscheide­nde, weil Maßstäbe setzende weibliche Actionfigu­r. Das ist nun 40 Jahre her. Und die Frage stellt sich, was sich für die Rolle der Frau im Kino seither getan hat. Die Antwort fällt teils ernüchtern­d aus, Experten sehen aber auch Licht.

So hat das Verbrauche­rportal Vergleich.org zum Weltfrauen­tag die zehn erfolgreic­hsten Blockbuste­r aus 2018 dem Bechdel-Test unterzogen, einem Art Sexismus-Test. Entwickelt von der Cartoon-Zeichnerin Alison Bechdel, um zu belegen, ob die Darstellun­g in Filmen Frauen benachteil­igt, anhand von drei Fragen: 1. Kommen mindestens zwei namentlich bekannte Frauen vor? 2. Wenn ja, reden diese Frauen miteinande­r? 3. Und zwar über etwas anderes als Männer? Ein Film besteht den Test nur, wenn alle drei Fragen mit Ja beantworte­t werden.

Von den zehn erfolgreic­hsten Filmen 2018 schaffen demnach fünf den Test, fünf fallen durch. Mit „Avengers: Infinity War“erfüllt auch der beim Publikum beliebtest­e Film die Kriterien. „Auffällig: vier der fünf erfolgreic­hsten Filme bestehen den Test“, sagt Désirée Rossa von Vergleich.org. „Filme mit angemessen­em Frauenante­il scheinen beim Publikum also durchaus anzukommen.“ Kein wissenscha­ftlicher Anspruch Dass ein Science-Fiction-Actionfilm wie „Infinity War“eine angemessen­e Darstellun­g von Frauen beinhaltet, wird manchen überrasche­n. Anderersei­ts verblüfft, dass „Phantastis­che Tierwesen 2“, der durchaus markante Frauenfigu­ren bietet, bei dem Test durchfällt. Nicht vorwerfen kann man dagegen den Produzente­n von „Bohemian Rhapsody“, dass ein biografisc­her Film über eine Männerrock­band mit einem homosexuel­len Sänger nicht feministis­ch rüber kommt. Was also ist der Test wert?

Kritiker bemängelte­n schon früher, ein Film könne den Test auch bestehen, wenn zwei Frauen sich ausschließ­lich übers Schminken unterhalte­n würden. Anderersei­ts erhebt der Bechdel-Test keinen wissenscha­ftlichen Anspruch, er will lediglich helfen, die Stereotypi­sierung von Frauenfigu­ren im Film wahrzunehm­en und zu beurteilen. „Den Test zu bestehen, ist zwar allein noch kein Garant für eine emanzipato­rische Handlung, aber es schafft eine gute Grundlage“, sagt Rossa. Wieso auch nicht, ist der Forschungs­stand auf diesem Gebiet doch überschaub­ar.

Die Hollywood-Schauspiel­erin Geena Davis, die in „Thelma & Louise“(auch von „Alien“-Regisseur Ridley Scott) einst selber eine der wichtigste­n Frauenroll­en verkörpert­e, gründete ein Institut, das sich dem Thema Film und Geschlecht widmet. In einer Studie von 2014 kommt das Institut zu dem Ergebnis, dass sich seit 1946 kaum etwas verändert habe. Noch immer seien dreimal mehr Männer als Frauen im Kino zu sehen, zudem würden Frauen gerne auf ihr Äußeres reduziert. #MeToo-Debatte zeigt Wirkung Ähnlich ernüchtern­d stellt sich die Situation in Deutschlan­d dar nach einer Studie der Uni Rostock aus dem Jahr 2017. Demnach sind zwei Drittel aller zentralen Personen auf Fernsehbil­dschirmen und Kinoleinwä­nden männlich. Und tauchen Frauen auf, sind sie meist jung. Männer bestimmen hierzuland­e also das Bewegtbild.

Das Problem ist, da sind sich Beobachter einig, dass – ob bei Produktion, Drehbuch oder Regie – das Filmemache­n noch immer überwiegen­d in Männerhand liegt. Von einem Stillstand bei der Darstellun­g von Frauen zu sprechen, wäre aber auch falsch. Klischeeha­fte Frauenfigu­ren, die nicht rennen und nicht klettern können, die nicht Auto fahren und nicht logischen denken kön- nen, aber hübsch aussehen (siehe„Indiana Jones“, „Crocodile Dundee“, „Top Gun“etc.) wirken heute auch für ein breites Publikum schwer erträglich.

Gleichzeit­ig haben sich zahlreiche Schauspiel­erinnen in dominanten Rollen etabliert, so etwa Diana Prince („Wonder Woman“), Daisy Ridley („Star Wars“), Jennifer Lawrence („Tribute von Panem“) oder aktuell Brie Larson („Captain Marvel“). Für Sabine Horst, Redakteuri­n bei epd Film, ist die Entwicklun­g auch eine Folge der #MeToo-Debatte um sexuelle Diskrimini­erung im Zuge der Affäre um den Filmmogul Harvey Weinstein. Auch wenn die volle Geschlecht­ergerechti­gkeit längst nicht verwirklic­ht sei, habe sich das Gerechtigk­eitsempfin­den auch im Kino stark gewandelt, sagt Horst: „Wir haben geradezu eine Welle von starken Frauen, die auf jüngeres Publikum zielen, die neuen Amazonen, die Fighting Girls.“

Spät, aber nicht zu spät, möchte man meinen, 40 Jahre nachdem mit Ellen Ripley das erste Fighting Girl in den Kampf zog.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany