Wie steht es um die Emanzipation in Saudi- Arabien?
Seit neun Monaten dürfen saudische Frauen Auto fahren – Doch hat sich ihre Lage seither spürbar verbessert? Eine Bilanz zum Weltfrauentag
LIMASSOL/RIAD - Die Freude der saudischen Frauen war groß, als sie im Juni des vergangenen Jahres selbst das Lenkrad in die Hand nehmen durften. Nach Jahrzehnten der Gängelung war das ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung. 42 000 der über zehn Millionen erwachsenen Frauen in dem Wüstenkönigreich wurde seither ein Führerschein ausgestellt. Die Wartezeit für den Fahrausweis betrage ein Jahr oder länger, klagen saudische Frauen, deren anfängliche Euphorie über den „Etappensieg“sich längst gelegt hat.
Sie haben begriffen, dass die Aufhebung des Fahrverbotes für Frauen vor allem wirtschaftliche Gründe hatte. Angesichts fallender Ölpreise ist das Land auf weibliche Arbeitskraft angewiesen und kann es sich nicht länger leisten, ein riesiges Heer von Chauffeuren zu beschäftigen. Wer geglaubt hatte, der sogenannten JuniRevolution würden weitere emanzipatorische Schritte folgen, sah sich bitter enttäuscht. Noch während die Aufhebung des Frauenfahrverbotes gefeiert wurde, hatte in Saudi-Arabien die Verhaftung jener Aktivistinnen begonnen, die öffentlich dafür gekämpft hatten. Unter den Inhaftierten ist mit Loujain al-Hathloul die Dritte auf der Liste der „Top 100 Most Powerful Arab Woman“des Jahres 2015.
Die 29-Jährige soll nach Aussagen ihrer Schwester in Einzelhaft gesteckt, geschlagen und gefoltert worden sein. Polizisten hätten sie vergewaltigt und mit dem Tode bedroht.
Saudische Medien veröffentlichten Fotos der verhafteten Frauen mit dem Stempel „Verräter“. Sie hätten eine Zelle gebildet, um „im Verbund mit ausländischen Agenten die Sicherheit des Landes zu unterminieren“. Tat- sächlich ging es um etwas ganz Anderes: Die weltweit hervorragend vernetzten Frauenaktivistinnen wollten weit mehr als nur das Recht auf Autofahren erreichen.
Sie setzten sich für die Aufhebung des Vormundschaftssystems ein, das Frauen daran hindert, ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Mannes, Vaters oder Bruders zu reisen, einen Arzt zu besuchen oder ein Universitätsstudium zu beginnen.
„Beenden Sie dieses System oder wir werden alle emigrieren“, lautet ein „Hashtag“, unter dem saudische Frauen in den sozialen Medien über ihre Erfahrungen mit den repressiven Einschränkungen diskutieren und sich gegenseitig Tipps zu deren Umgehung geben.
Ausgelöst wurde die mittlerweile offen geführte Diskussion über das Vormundschaftssystem durch die spektakuläre Flucht des saudischen Teenagers Rahaf Mohammed al-Qunun über Bangkok nach Australien. Die 18-Jährige hatte es im Januar 2019 geschafft, ihre Abschiebung aus Thailand, wo sie am Flughafen festgesetzt wurde, zu verhindern, indem sie ihre Geschichte in den sozialen Medien veröffentlichte und daraufhin den offiziellen Schutz der UN-Flüchtlingsbehörde erhielt. Ein weiteres PR-Desaster Rahaf ist für viele saudische Frauen seither eine Heldin und hat viele Nachahmerinnen. Für die Regierung in Riad ist die erfolgreiche Flucht der jungen Frau ein weiteres Desaster für die Öffentlichkeitswirkung. Einmal mehr hatte sich gezeigt, dass die von Kronprinz Mohammed bin Salman vorangetriebene Modernisierung des Landes nur wenig mit politischer und persönlicher Freiheit oder gar mit Demokratisierung zu tun hat.
Saudi-Arabien nutze seine Gesetze zur Terrorbekämpfung weiterhin, um Aktivisten zum Schweigen zu bringen. Dabei verletzt es das Völkerrecht auf Meinungsfreiheit, betonten Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen am Montag in Genf.
Saudische Regierungsvertreter erklärten daraufhin, „alle internationalen und nationalen Normen im Zusammenhang mit Menschenrechten zu beachten“. Ihre Versicherungen klingen jedoch hohl. Nicht erst seit der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi hat das Land ein Glaubwürdigkeitsproblem. Daran wird auch die vor zehn Tagen erfolgte Ernennung Rima Bint Bandar zur ersten weiblichen Botschafterin des Königreiches in Washington nichts ändern.
Die Berufung der Prinzessin war in den saudischen Staatsmedien als „ein Zeichen der Ernsthaftigkeit bei der Stärkung der Frauenrechte gefeiert worden“. Einen Tag später hatte die saudische Staatsanwaltschaft verkündet, dass die Anklageschrift gegen die verhafteten Frauenaktivistinnen jetzt fertig sei.