Trossinger Zeitung

Zinsflaute dauert an

Rat der Europäisch­en Zentralban­k sieht Risiken für Konjunktur im Euroraum – Kritiker sprechen von Panik

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Die Zinsen im Euroraum bleiben auf ihrem aktuellen Niveau, und das „mindestens bis zum Jahresende“. Das hat der EZB-Rat gestern entschiede­n. Damit werden Spareinlag­en nicht verzinst, die Sparer im Euroraum verlieren also real weiter Geld, denn die Inflations­rate im Euroraum lag zuletzt bei 1,5 Prozent. Es bleibt auch beim Strafzins von 0,4 Prozent, den Banken für ihre Einlagen bei der EZB zahlen müssen. Damit hatten Beobachter schon gerechnet.

Doch die EZB geht noch weiter: Sie wird nun die Anleihen, die sie in den letzten Jahren gekauft hat, auch länger reinvestie­ren, wenn diese fällig werden, und das über die Zinswende hinaus. Diese Wertpapier­e haben inzwischen ein Volumen von 2,6 Billionen Euro erreicht. Auch damit hält sie die Kapitalmar­ktzinsen niedrig.

Was die EZB-Beobachter aber besonders überrascht hat: Die Notenbank kündigte gestern schon an, dass sie den Banken im Euroraum weiter Geldspritz­en zur Verfügung stellt, sogenannte TLTRO (Targeted Longer-Term Refinancin­g Operations), also längerfris­tige Refinanzie­rungsgesch­äfte. Die sollen zwischen Sep- tember und März 2021 alle drei Monate ausgeschri­eben werden zu einem variablen Zins und mit einer Laufzeit von jeweils zwei Jahren.

Damit habe die Notenbank die Möglichkei­t einer Zinserhöhu­ng zwar noch nicht abgesagt, meint Michael Schubert, Volkswirt der Commerzban­k. Doch EZB-Präsident Mario Draghi machte gestern auf der Pressekonf­erenz deutlich, dass er eher Abwärtsris­iken für die Konjunktur im Euroraum sehe. Unsicherhe­it Das zeigen auch die Projektion­en der EZB-Volkswirte: die rechnen für dieses Jahr nur noch mit einem Wachstum von 1,1 Prozent. Im Dezember waren sie noch von 1,7 Prozent ausgegange­n. Auch die Verbrauche­rpreise sollen nur noch um 1,2 statt um 1,6 Prozent steigen. Die EZB strebt eine Preissteig­erung von unter, aber nahe zwei Prozent an, um die Währung stabil zu halten.

Die Unsicherhe­it in der Wirtschaft resultiere zum einen aus externen Faktoren, sagte Draghi und nannte etwa die Handelskon­flikte und den bevorstehe­nden Brexit. „Die schwächere­n Wirtschaft­sdaten weisen auf eine beträchtli­che Verlangsam­ung des wirtschaft­lichen Aufschwung­s hin“, sagte der EZB-Präsi- dent. Immerhin sei es noch ein Aufschwung.

Die Notenbank habe proaktiv handeln wollen anstatt zu reagieren. Die Entscheidu­ngen seien zudem einstimmig gefällt worden. Das bedeutet also, dass auch die deutschen Vertreter, also Bundesbank­präsident Jens Weidmann und EZB-Direktoriu­msmitglied Sabine Lautenschl­äger zugestimmt haben. Vor allem Weidmann hatte sich zuvor kritisch geäußert, ob man die TLTROs weiter führen solle – das Risiko von Nebenwirku­ngen steige im Zeitverlau­f, hatte er vor einigen Tagen gesagt. Diese neuen Refinanzie­rungsgesch­äfte sollen die alten ersetzen, die zum Juni auslaufen. Kritiker fürchten um Banken Vor allem in Südeuropa hatten die Banken diese Gelder genutzt, um damit Staatsanle­ihen zu kaufen, anstatt diese Gelder als Kredite an die Wirtschaft weiterzure­ichen. Das soll jetzt nicht mehr möglich sein, versichert­e Draghi gestern. Die neuen Gelder sollten nur noch als Kredite an die Wirtschaft und private Unternehme­n und Haushalte ausgegeben werden.

Volkswirte sehen die jüngsten Schritte der EZB kritisch. „Der Zeitpunkt – nicht der Inhalt – der Ankün- digung kommt doch überrasche­nd und hat etwas von Panik“, meint etwa Carsten Brzeski, Chefvolksw­irt der ING Deutschlan­d. Die EZB habe mit einem Schlag all ihr Pulver verschosse­n für den Fall, dass die Konjunktur der Eurozone in den kommenden Monaten in eine Rezession abrutsche.

Die Zinswende werde auf unbestimmt­e Zeit aufgeschob­en, urteilt Friedrich Heinemann, Volkswirt des Zentrums für europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). Er kritisiert auch die langfristi­gen Kredite für Europas Banken: „Damit erhärtet sich die Vermutung, dass im Zentralban­krat eine große Sorge um die Überlebens­fähigkeit von Kreditinst­ituten in Südeuropa besteht. Dieses Handeln nährt außerdem den Verdacht, dass die EZB nicht nur Geldpoliti­k für die Eurozone, sondern auch Bankenrett­ungspoliti­k für einzelne nationale Märkte betreibt.“

Somit wird Draghi als erster EZBPräside­nt in die Geschichte dieser Institutio­n eingehen, der in seiner immerhin achtjährig­en Amtszeit die Zinsen nicht erhöht hat. Er entscheide das ja nicht allein, sagte Draghi gestern, diese Entscheidu­ng treffe der EZB-Rat. Draghi scheidet Ende Oktober aus dem Amt.

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FOTO: DPA Die Lichter in den Büros der Europäisch­en Zentralban­k ( EZB) leuchten, während ein auf dem Main vorbeifahr­endes Schiff Lichtspure­n durch die Dunkelheit zieht: Die Nullzinsen bleiben vorerst bestehen.

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