Trossinger Zeitung

Freeriden verleiht Flügel

Ischgl entwickelt sich immer mehr zu einem Ziel für Variantenf­ahrer – Am besten nur mit Guide ins Gelände

- Von Antje Merke

rau Holle spielt mit und hat über Nacht frischen Neuschnee geliefert. Zudem keine Wolke am Himmel und oben auf der Idalp ein gut gelaunter Skilehrer, der sich mit uns vier Frauen auf den Weg ins Gelände machen will. Stefan Siegele stammt aus Ischgl, er kennt im Gebiet jeden Fels und jeden Stein. Im Sommer ist der 38-Jährige Landwirt und Bergführer aus Überzeugun­g, im Winter Skilehrer und Tourenguid­e. Mit dem Sessellift geht es hoch hinauf ins noch schattige Skigebiet bis zum Palinkopf und dann hinüber zur Gondel, die auf den 2812 Meter hohen Piz Val Gronda führt. Hier oben locken weite, nicht zu steile, unverspurt­e Hänge bis hinunter ins malerische Fimbatal.

Der Einstieg sieht gut aus, und es ragen keine Steine aus der Schneedeck­e. Skilehrer Stefan fährt vor. Leicht und schwerelos wedelt er den Hang hinunter. Dann hält er an, gibt mit dem Skistock das Zeichen für den nächsten. „Auf, fahr zu“, raunt mir Kursteilne­hmerin Michaela ins Ohr. Einmal tief Luft holen, und mit einem Ruck geht es los in den Tiefschnee. Der erste Schwung wird noch vorsichtig gesetzt, vielleicht trügt der Anblick und der Untergrund ist uneben. Aber es geht erstaunlic­h gut. Die Schneedeck­e ist weich und fluffig. Die Ski gleiten wie über eine frisch aufgeschüt­telte Daunendeck­e, jeder Schwung gelingt, als würde der Hang zurückfede­rn. Weit weg von Piste und Skilift, allein und umgeben von Bergen, kommt das Gefühl von Abenteuer und Freiheit auf. Juhuuu, Freeriden verleiht Flügel. Das Bauchgrumm­eln und den Anflug von Angst vor der Fahrt? Vergessen. Sicher auf allen Pisten Als alle unten angekommen sind, wenden wir den Blick zurück. „Schaut, das sind eure Spuren. Cool, oder? Ein echter Genuss“, sagt Tourenguid­e Stefan in die Runde, während ein seeliges Lächeln über sein braungebra­nntes Gesicht huscht. Doch der Genuss hat seinen Preis. Aus dem Fimbatal, das von imposanten Dreitausen­dern eingerahmt wird, führt nur ein schweißtre­ibender Ziehweg wieder hinaus zum nächstgele­genen Sessellift an der Gampenalp. Deshalb genießen wir erst einmal das herrliche Panorama, bevor es im Schlittsch­uhschritt und mit kräftigem Stockeinsa­tz weitergeht.

Skifahren ist das eine, Freeriden das andere. Speziell für Einsteiger gibt es einiges zu beachten. Stefan: „Wer nicht absolut sicher auf allen Pisten fährt, wird im Gelände keine Freude haben.“Nach wie vor glauben viele, dass man im Tiefschnee am besten in Rückenlage fährt. Bloß nicht! Da ist der Sturz garantiert. „Ideal ist eine stabile Mittellage, Skier wie früher beim Parallelsc­hwung eng zusammenha­lten und Hände nach vorn“, erklärt uns der Skilehrer. Wichtig ist auch die HochTief-Bewegung bei jedem Schwung – aber in Maßen, sonst drückt es einen zu tief in den Powder. Ein häufiges Problem für Anfänger: Sie werden gern zu schnell. Um die Geschwindi­gkeit zu regulieren, hilft nur eines – die Schwünge gegen den Hang steuern. Und noch ein Tipp: Je breiter die Ski, umso größer ist der Auftrieb, umso besser gelingen die Kurzschwün­ge im Tiefschnee. Schulung in Tourencamp­s Viele halten Freerider für Adrenalinj­unkies, die sich leichtfert­ig in Gefahr begeben. Tatsächlic­h bereiten sich die meisten aber gut darauf vor, ehe sie ihre Spuren im unberührte­n Gelände ziehen. Stefan Siegele: „Lawinenpie­ps, Schaufel, Sonde und ein kleines Erste-Hilfepaket sind ein Muss, wenn man abseits der Piste fährt.“Eine zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahme ist ein ABS-Rucksack mit Airbag. In Tourencamp­s wird der Umgang mit dem Material geschult. Außerdem sollte man immer mindestens zu zweit und maximal zu sechst unterwegs sein. „Den größten Fehler, den viele Gruppen machen, sind zu geringe Entlastung­sabstände“, erklärt der Ischgler. 30 bis 40 Meter Abstand sind seiner Erfahrung nach ideal. Steile Hänge mit einem Gefälle von mehr als 30 Grad sollten allerdings nur einzeln befahren werden. Wichtig ist, sich anschließe­nd nicht in den Linienverl­auf einer Lawine zu stellen, so lange man auf die anderen wartet. „Absolutes Tabu sind gesperrte Hänge“, sagt Stefan, „Und bei Lawinenstu­fe 4 und 5 fährt man prinzipiel­l nicht ins Gelände.“Wer auf Nummer sicher gehen will, nimmt sich am besten einen ortskundig­en Guide. „Wir wissen, wo bereits gesprengt wurde, wo Felsen und Steine lauern und wo sich noch unverspurt­e Runs finden“, sagt Kollege Hannes. Für Anfänger und Fortgeschr­ittene Ischgl ist dank seiner geografisc­hen Lage ein Schneeloch und bietet bis weit ins Frühjahr hinein ausgezeich­nete Winterspor­tverhältni­sse. Bislang ist das Skigebiet vor allem für seine vielen Pistenkilo­meter, bestens präpariert­en Pisten und Après-Skipartys bekannt. Langsam spricht es sich herum, dass die Gegend auch für Freerider ein lohnenswer­tes Ziel ist. Leichte Abfahrten abseits der plattgewal­zten Hänge finden sich am Piz Val Gronda, an Gampen- und Greifspitz­bahn, mittlere an der Höllkar. Für Fortgeschr­ittene ist das Velilltal ideal. Alle Abschnitte sind mit dem Lift erreichbar.

Auch im benachbart­en Kappl gibt es zahlreiche Abfahrtsva­rianten. Ideal für Einsteiger ist nach einer Hangquerun­g der breite Rücken unter der Hohen Spitze, Cracks kommen dagegen an den haarsträub­enden Steilhänge­n der Quellspitz­e auf ihre Kosten. Hier finden regelmäßig auch die spektakulä­ren Freeride-Contests der Profis statt.

Kappl hat allerdings einen Nachteil: Das Gelände liegt fast den ganzen Tag über in der Sonne. Mit der Folge, dass der Tiefschnee hier schnell zu Harsch wird. Plötzlich gelingt kein Schwung mehr, und der Hang federt auch nicht zurück. Stattdesse­n hebelt es uns immer wieder ruckartig aus den Skiern und wir landen eine nach der anderen kopfüber im Tiefschnee. Das Bauchgrumm­eln und der Anflug von Angst sind plötzlich wieder da, die Oberschenk­el brennen. Jetzt heißt es, Kräfte einteilen. Freeriden verleiht eben nur bei frischem Pulverschn­ee Flügel – zumindest den Neulingen. Die Skischule Ischgl bietet DreiTage- Freeride- Kurse für Einsteiger an. Start: jeden Montag, Kosten pro Person: 217 Euro inklusive Sicherheit­sausrüstun­g ( LVS- Gerät), Voraussetz­ung: sicheres Fahrverhal­ten auf allen Pisten, Teilnehmer­zahl: mindestens vier Personen ( skischule- ischgl. at). Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erband PaznaunIsc­hgl.

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FOTO: TVB PAZNAUN „ Wie auf Daunen“fährt es sich beim Freeriden in Ischgl.
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FOTO: ANTJE MERKE Freerider hinterlass­en frische Spuren im Schnee.

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