Trossinger Zeitung

Poststeg-Täter soll in die Psychiatri­e

Staatsanwa­lt und Verteidige­r weitgehend einig – Gutachter zweifelt an der Therapiefä­higkeit

- Von Lothar Häring

- Wie soll man den jungen Mann bestrafen, der im Morgengrau­en des 27. August 2018 auf dem Tuttlinger Poststeg einen 95-jährigen Rentner überfallen, ausgeraubt und schwer verletzt hat? Staatsanwa­lt, Verteidige­r und Nebenkläge­r stellten in ihren Plädoyers am fünften Prozesstag am Freitag vor dem Landgerich­t Rottweil ähnliche Forderunge­n. Die 1. Große Strafkamme­r will das Urteil am kommenden Donnerstag um 14 Uhr verkünden.

„Man steht mit großer Ratlosigke­it vor diesem Fall“, konstatier­te Staatsanwa­lt Markus Wagner. 16 schwere Straftaten habe der Angeklagte bisher begangen und so zwei Drittel seines Lebens im Gefängnis verbracht.

Wie es dazu kommen konnte, blieb weithin unklar, weil der gebürtige Tuttlinger, der vor kurzem 32 Jahre alt geworden ist, so gut wie nichts preisgeben wollte. Charalabos Salabasidi­s, der psychiatri­sche Gutachter, brachte Licht ins Dunkel, obwohl auch er an Grenzen stieß, wie er berichtete. Er beschrieb den jungen Mann als verschloss­en, rastlos, unterschwe­llig aggressiv, sprunghaft, desinteres­siert, alkohol- und drogenabhä­ngig. Er könne sich nicht an Regeln halten und schon mit acht Jahren habe er eine Flasche Bier getrunken und mit zehn Drogen konsumiert. In den vergangene­n Jahren habe er bis zu 20 Bierflasch­en täglich getrunken. „Tiefe Persönlich­keitsstöru­ng“Als Krankheits­bild diagnostiz­ierte der Sachverstä­ndige „massive, komplexe und „tief verwurzelt­e“Persönlich­keitsstöru­ngen mit schizophre­nen Anteilen und eine psychopath­ische Entwicklun­g. Seit dem Konsum von zwölf Extasy-Tabletten vor einem Jahr höre er zudem immer wieder Stimmen. Salabasidi­s stellte eine äußerst ungünstige Prognose: Der junge Mann werde nicht nur mit großer Wahrschein­lichkeit in Zukunft immer wieder schwere Straftaten begehen. Zudem sei es „außerorden­tlich schwierig, ihn in fünf, sechs Jahren wieder hinzukrieg­en“. Es sei fraglich, ob das überhaupt je gelingen könne, „dass er keine Gefahr mehr für die Allgemeinh­eit darstellt“. Die Chancen lägen bei „ein paar Prozent“. Zur Tatzeit war der Angeklagte nach Einschätzu­ng von Salabasidi­s zwar voll einsichtsf­ähig („ihm war jederzeit klar, dass es sich um eine Straftat handelt“), aber nur eingeschrä­nkt schuldfähi­g. Staatsanwa­lt fordert sechs Jahre Staatsanwa­lt Wagner betonte, die Schuld des Angeklagte­n sei erwiesen, ebenso der Umstand, dass die Hirnblutun­g beim Opfer eine Folge davon gewesen sei. Der Täter habe noch Glück gehabt, dass der 95-Jährige über eine so gute Konstituti­on verfüge, sonst hätte alles viel schlimmer enden können. Der Ankläger beantragte eine Haftstrafe von sechseinha­lb Jahren und Einweisung in die Psychiatri­e. Für eine Sicherungs­verwahrung, die Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, ins Spiel gebracht hatte, reichten die rechtliche­n Voraussetz­ungen nicht aus. Die Auswirkung­en sind ähnlich, weil auch die Unterbring­ung in der Psychiatri­e nicht an Zeiten gebunden ist. Rechtsanwa­lt Claus Lengl schloss sich dem an. Er betonte, dass die Lebensführ­ung seines Mandanten durch die Tat eingeschrä­nkt sei und dieser die Tat besser verarbeite­n könnte, wenn ihm ein Schmerzens­geld zugestande­n werde, auch wenn klar sei, dass der Täter die im Raum stehenden 6000 Euro nie werde aufbringen können. Verteidige­r Uwe Runge widersprac­h dem Staatsanwa­lt nur in zwei Punkten: Einerseits müsse man davon ausgehen, dass der Täter in jener Nacht unter erhebliche­m AlkoholEin­fluss gestanden habe, anderersei­ts sei nicht zweifelsfr­ei erwiesen, dass die Hirnblutun­g eine direkte Folge der Tat gewesen sei. Ausweislic­h der medizinisc­hen Gutachteri­n kämen auch andere Möglichkei­ten in Frage. Runge fordert fünfeinhal­b Jahre Haft und Einweisung in die Psychiatri­e. „Eine Behandlung ist dringend nötig.“Der Angeklagte, der noch am vergangene­n Prozesstag geklagt hatte, er höre Stimmen, weswegen die Verhandlun­g abgebroche­n und vertagt werden musste, verfolgte das Gutachten und die Plädoyers ganz ruhig. Auf die Gelegenhei­t zum „letzten Wort“verzichtet­e er und erklärte: „Ich will nichts sagen.“

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FOTO: DAVID EBENER

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