Trossinger Zeitung

Giovanni di Lorenzo

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Er ist seit fast 15 Jahren Chefredakt­eur der Wochenzeit­ung „Die Zeit“und moderiert seit 30 Jahren die älteste deutsche Talkshow „3 nach 9“. Der Journalist Giovanni di Lorenzo entlockt seinen Interviewp­artnern charmant und gekonnt Persönlich­es. Von sich selbst gibt er dagegen nur ungern Privates preis. Sicher ist aber: Der Deutsch-Italiener wird am Samstag, 9. März, 60 Jahre alt. Aufgewachs­en ist Giovanni di Lorenzo in Rimini und Rom als Sohn eines italienisc­hen Adeligen und einer Deutschen. Noch heute verbinde er den „Duft von gegrilltem Fisch und Rosmarin

Stellt man sich eine bayerische Urgewalt in Männergest­alt vor, passt Christian Stückl perfekt ins Bild. Der 57-jährige Regisseur der Oberammerg­auer Passionssp­iele und Intendant des Münchner Volkstheat­ers trägt bevorzugt Haferlschu­he, dezentes Trachtenhe­md sowie Strickjank­er zur Jeans und redet im breiten Dialekt seiner Heimat. Doch es ist nicht nur die äußere Erscheinun­g dieses stattliche­n Mannsbilds mit den schwarz-grauen Locken und dem Dreitageba­rt, die beeindruck­t, sondern auch sein Auftreten, sein Habitus, seine Gestik und Mimik, sein offener, direkter Blick. Das alles zieht sofort in Bann und nimmt einen für ihn ein. Die Aufmerksam­keit seiner Zuhörer ist ihm also gewiss, wenn er in seinem kargen Büro im Festspielh­aus lebhaft davon erzählt, wie ihm als nur 24-Jährigem die Spielleitu­ng der Passion übertragen worden ist, wie viel ihm daran liegt, die Oberammerg­auer Passionssp­iele immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und zu erneuern, wie verwurzelt er in seiner Heimat ist, wie er aber auch immer wieder rausmuss in die Welt, oft nach Indien.

Doch obwohl der Oberammerg­auer viel von sich und seiner Arbeit preisgibt, die Worte unablässig aus ihm herausspru­deln und er eine ganze Journalist­enschar ins Schlepptau nimmt, wenn er durchs Theater hastet, ist es gar nicht so leicht, die Aura und das Erfolgsgeh­eimnis dieses Mannes selbst in Worte zu fassen. Vielleicht hilft ein Beispiel: Stückl ist Kettenrauc­her und schert sich einen feuchten Kehricht um das Rauchverbo­t im Oberammerg­auer Festspielh­aus. Sein Weg vom Büro zur Bühne und Requisite ist markiert mit vollen Aschenbech­ern und ausgetrete­nen Kippen auf dem Boden. Stückl zieht nicht an der Zigarette, er saugt den Rauch hörbar ein. Ganz tief. Und genauso gierig saugt er alles um sich herum auf und in sich hinein. Am liebsten Menschen, die er mit seiner Art begeistern kann, und Ideen, von denen er selbst begeistert ist.

Stückl gilt als begnadeter Menschenfä­nger, der ein Händchen für seine Schauspiel­er hat und auch die Jugend begeistern und formen kann. Vielleicht hilft ihm dabei, dass er einmal wie viele andere Oberammerg­auer das Holzschnit­zer-Handwerk erlernt hat. „Doch ich habe schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Ich fühlte mich einsam so allein vor einem stummen Holzblock. Und eigentlich bin ich nur Holzbildha­uer geworden, weil alle meine Vorgänger Holzbildha­uer waren. Ich dachte, das müsste so sein. Mein eigentlich­er Berufswuns­ch war aber schon als Bub, einmal Spielleite­r der Passion zu sein“, verrät der Wirtssohn.

Ein eiserner Wille und Ehrgeiz zählen wohl auch zu seinen Charaktere­igenschaft­en, denn Stückl schaffte es tatsächlic­h, jüngster Spielleite­r aller Zeiten zu werden. Ganz knapp. Denn im Gemeindera­t erhielt er nur neun von 17 Stimmen. „Noch heute spalte ich das Dorf. Die eine Hälfte liebt mich und meine Arbeit, die andere würde mich gern zum Teufel jagen“, weiß er. Und das, obwohl er im kommenden Jahr bereits zum vierten Mal die Passion in Oberammerg­au inszeniert und mittlerwei­le bundesweit ein anerkannte­r und preisgekrö­nter Regisseur ist. Stückl arbeitete an der Seite von Volker Schlöndorf­f und Dieter Dorn, inszeniert­e neben vielen Theaterstü­cken unter anderem den „Jedermann“in Salzburg sowie die Eröffnungs­feier zur Fußball-WM 2006 in München. Doch alle zehn Jahre sorgt er erneut für heftige Diskussion­en in Oberammerg­au. Was ihn freut, denn „solange wir streiten, bleibt’s lebendig“. Das war so, als er Abdullah Karaca, einen Oberammerg­auer Muslim, zu seinem Stellvertr­eter ernannte und das ist auch jetzt so, weil er erstmals einem Muslimen eine Hauptrolle im Stück gegeben hat. Stückl zitiert mit einem Grinsen im Gesicht aus hasserfüll­ten Briefen von Frauen, die ihm Blasphemie vorwerfen, weil er für die Passion 1990 die Regel kippte, dass nur unverheira­tete Frauen unter 35 Jahren die Maria spielen durften. Er berichtet davon, dass ihm die Haustür zugemauert wurde und der Pfarrer von der Kanzel gewettert hat, als er den ersten Protestant­en auf die Bühne holte. Viele Widerständ­e musste er in den vergangene­n 30 Jahren brechen. Und er, der sich so ungern als Rebell bezeichnen lässt, kämpft weiter. Denn seiner Meinung nach ist „Reform der Grundstock für die Erhaltung von Tradition“.

Durchgeset­zt hat sich Stückl bislang immer. Vielleicht, weil die Oberammerg­auer auch erleben mussten, wie viel Lob der junge Regisseur, der nie eine Schauspiel­schule besucht hat, weltweit erntete, als er mit seinem Team den alten Text stellenwei­se umschrieb und die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu von ihren antisemiti­schen Altlasten befreite. Stückl hat es auch geschafft, dass die Dorfjugend wieder begeistert dabei ist, wenn alle zehn Jahre Passion gespielt wird. Zu seiner eigenen Jugendzeit war das noch ganz anders. Er und viele seiner Altersgeno­ssen fanden wenig Gefallen an dem in ihren Augen angestaubt­en und reaktionär­en Passionssp­iel. Der gerade mal dem Teenageral­ter entwachsen­e Stückl gründete aus Protest Anfang der 1980er-Jahre sogar eine eigene Theatergru­ppe in Oberammerg­au und erregte bereits mit seiner ersten Inszenieru­ng, Shakespear­es „Sommernach­tstraum“, einiges Aufsehen. Auch in München. Dieter Dorn, Intendant, Regisseur und Schauspiel­er, wurde auf Stückl aufmerksam und holte den jungen Oberammerg­auer als Assistent an die renommiert­en Kammerspie­le.

In Bayerns Hauptstadt prägt Stückl noch heute die Theaterlan­dschaft, erntet viel Lob und ist allseits bekannt. Fast so wie zu Hause in Oberammerg­au, wo er immer noch in der Ortsmitte wohnt und jeden kennt. Auch weil er seit Jahrzehnte­n den Nikolaus gibt und in die Familien kommt. Wenn er durchs Dorf läuft oder vor dem Café sitzt und eine (meist aber mehrere) raucht, setzt er seinen berühmt-berüchtigt­en Castingbli­ck auf, um neue Schauspiel­talente zu entdecken. Konfession, Herkunft oder Status spielen für ihn dabei keine Rolle. Er habe immer nur das Beste fürs Theater im Sinn. Und dazu gehört für den nach eigenen Angaben „durch und durch katholisch­en“Urbayern auch eine Reise zusammen mit seinen Hauptdarst­ellern nach Israel. An den Originalsc­hauplätzen und in Gesprächen mit Rabbinern will Stückl für sich und sein Team die Figur Jesus Christus greif- und begreifbar machen. Und später auch dem großen Publikum, das aus der ganzen Welt alle zehn Jahre nach Oberammerg­au kommt, um Stückls Passion zu sehen.

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FOTO: DPA Als gebürtiger Oberammerg­auer ist der Theaterman­n Christian Stückl seit seiner Kindheit mit den Passionssp­ielen verbunden.
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FOTO: SIM Immer locker bleiben: Stückl stellt sich der Presse.
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FOTO: DPA Giovanni di Lorenzo, Chefredakt­eur der „Zeit“und TV-Moderator, wird 60.

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