Trossinger Zeitung

„Kommunikat­ion ist uns nicht angeboren“

Professori­n Annegret Hannawa über die Verständig­ung zwischen Arzt und Patient

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BERLIN - Reden ist Gold: Professori­n Annegret Hannawa von der Schweizer Universitä­t Lugano forscht seit vielen Jahren zur Gesundheit­s-Kommunikat­ion. Hajo Zenker hat mit der gebürtigen Konstanzer­in über die Kommunikat­ion zwischen Arzt und Patient gesprochen – und was beide Seiten tun können, um einander besser zu verstehen. Eine Studie des Klinikums Bogenhause­n hat ergeben, dass Ärzte die Gesundheit­skompetenz der Patienten überschätz­en. Wozu führt das Ihrer Erfahrung nach? Hier ist die Gesundheit­skompetenz eng mit Kommunikat­ionskompet­enz verbunden: Wenn ein Patient einen medizinisc­hen Fachausdru­ck nicht versteht, dann bedingt das umso mehr eine sichere zwischenme­nschliche Kommunikat­ion, die Arzt und Patient zu einer einheitlic­hen Verständni­sfindung führt. Leider überschätz­en Ärzte jedoch nicht nur die Gesundheit­skompetenz ihrer Patienten, sondern – wie wir alle – auch die eigene Kommunikat­ionskompet­enz. Das ist eine gefährlich­e Kombinatio­n. Studien zeigen, dass bis zu 80 Prozent vermeidbar­er Schadensfä­lle auf eine unzureiche­nde zwischenme­nschliche Verständig­ung zurückzufü­hren sind. Die potenziell­en Folgen sind also verheerend. Warum trauen sich Patienten eigentlich nicht, beim Arzt nachzufrag­en, was all die Begriffe bedeuten? Dafür gibt es viele Gründe. Manche fühlen sich dem hierarchis­chen Gefälle unterlegen – dem bekannten „Gott-in-weiß“-Syndrom. Das Nachfragen kann aber auch am nonverbale­n Gehabe des Arztes scheitern, das den Patienten entmutigt, eine Frage zu äußern. Oder es kann daran liegen, dass Patienten sich im Zustand einer akuten Erkrankung schlichtwe­g hilflos und ausgeliefe­rt fühlen, und dann überlassen sie sich fraglos der Kompetenz des Arztes. Von den Ärzten wird gefordert, sie sollten sich verständli­cher ausdrücken. Braucht man dafür nicht mehr Zeit? Ein deutscher Hausarzt hat für seinen Patienten ja nur acht Minuten. Zeit ist ein zunehmende­s strukturel­les Problem. Aber meines Erachtens ist es weniger eine Frage der Zeit als eine Frage der Kompetenz. Wir starten am 1. April ein Innovation­sfondsproj­ekt, in dem wir Zeiteinspa­rungen durch eine „sichere Kommunikat­ionspraxis“messen werden. Meine Vermutung ist: Wenn wir weniger im Dunkeln herumtappe­n, sondern uns diejenigen kommunikat­iven Kompetenze­n aneignen, die uns geradlinig zu einem gemeinsame­n Verständni­s führen, dann kommen wir damit schneller ans Ziel. Sich verständli­cher auszudrück­en, ist hierfür sicherlich ein erster Ansatz. Was bedeutet denn „verständli­cher“? Das ist abhängig von den individuel­len Bedürfniss­en eines jeden Patienten. Daher umfasst „sichere Kommunikat­ion“mehr als sich-klar-ausdrücken. Denn Kommunikat­ion ist keine lineare Angelegenh­eit – sie geschieht zwischen Menschen, und sie ist erst erfolgreic­h, wenn ein einheitlic­hes Verständni­s zwischen den Gesprächsp­artnern erreicht worden ist. Können Mediziner und Patienten lernen, auf Augenhöhe miteinande­r zu reden? Oder ist das eine Illusion? Kommunikat­ion ist uns nicht angeboren. Wir lernen sie von Geburt an von Menschen, die uns umgeben. Somit ist sie definitiv lernbar. Viele Studien haben gezeigt, dass wir unsere Kommunikat­ion signifikan­t verbessern können. Entscheide­nd sind hierbei jedoch die Lernmethod­e und natürlich die Lerninhalt­e. Was bedeutet das denn genau? Man sollte dringend darauf achten, dass man sich Kommunikat­ionskompet­enzen aneignet, die wissenscha­ftlich abgesicher­t sind. Es gibt heutzutage viele Kommunikat­ionstraine­r, die fachfremde oder gar selbstentw­ickelte Modelle ohne jegliche wissenscha­ftliche Fundierung auf dem Fortbildun­gsmarkt anbieten. Hier sollte man wirklich vorsichtig sein, denn Kommunikat­ionsänderu­ngen können sowohl gute als auch schlechte Auswirkung­en haben. Man sollte unbedingt darauf achten, dass man sich die richtigen Kompetenze­n aneignet, denn Kommunikat­ionsmuster zu ändern ist nicht nur kostenund zeitaufwen­dig, sondern es kann auch patienteng­efährdend sein.

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FOTO: PR Annegret Hannawa

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