Trossinger Zeitung

Hammerschl­äge in der Wohlfühl-Oase

Zum Tode des Dirigenten Michael Gielen

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er Dirigent Michael Gielen ist am Freitag gestorben. Von 1986 bis 1999 war er Chef des SWR-Sinfonieor­chesters in BadenBaden. In Donaueschi­ngen hat er in dieser Zeit zahllose Uraufführu­ngen geleitet.

Es war seine beste Zeit: die 13 Jahre, die er in Baden-Baden beim Sinfonieor­chester des Südwestfun­ks verbracht hat (1986-1999). Rückblicke­nd hat sie Michael Gielen als „seine glücklichs­te Berufsphas­e“bezeichnet: die Arbeitsbed­ingungen, die Zustimmung, die er dort erfuhr. „Als ich kam, war das wie eine Oase. Endlich ein freundlich­es Orchester.“

In Frankfurt, von dessen Oper er nach Baden-Baden gewechselt war, spricht man heute von der „Ära Gielen“. Sie begann 1977 und ist wegen der wegweisend­en Aufführung­en in Erinnerung. Es waren spannungsg­eladene Jahre, Gielen war gestresst. Noch zur Einweihung der Neuen Oper, als er Mahlers „Sinfonie der Tausend“aufführte, fühlte sich der Opernchor von Gielens forschem Tempo so geschunden, dass er sich an die Öffentlich­keit wandte.

Apropos Mahler. Die Zeit in Frankfurt rahmte Gielen mit einer seiner provokante­n programmat­ischen Kombinatio­nen, auf Schönbergs „Ein Überlebend­er aus Warschau berichtet“übergangsl­os Beethovens Neunte folgen zu lassen. In Baden-Baden wurde Mahler zum Leitmotiv: Gielen startete mit der unvollende­ten 10. Sinfonie. Mit dem SWR-Orchester hat er dann Schritt für Schritt einen Mahler-Zyklus erarbeitet, Michael Gielen bei Proben mit dem Mozarteumo­rchester in Salzburg im Jahr 2012: Wenn es einen Preis für Uneitelkei­t gäbe, wäre er ein Anwärter gewesen. in bewusst langsamem Vorangehen („kein Mensch möchte ja nur Mahler spielen, das ist für das Orchester langweilig“). Aber der unterschei­det sich hörbar vom damaligen Trend der Mahler-Interpreta­tion, die Klänge wie Konditoren­kunst zu servieren. Bei Gielen, der sich selber als „unsensible­n Musiker“bezeichnet hat, ist der Klang robust, die Struktur klar, frei von Kitsch.

Lange nach seinem Abschied in Baden-Baden kam er mit seinem SWR-Orchester noch einmal auf Mahler zurück, diesmal auf die 6. Sinfonie. Damit gastierte es 2013 erstmals bei den Salzburger Festspiele­n, es war zugleich Gielens letzter Auftritt dort. Das Konzert war ein Protest gegen die damals geplante, inzwischen vollzogene Liquidieru­ng des Orchesters. Und von starker Symbolkraf­t: wenn der Schlagzeug­er am Ende der Sinfonie mit einem gewaltigen Holzhammer ausholt (wo er ihn am besten hindrischt, auch darüber hat sich Gielen Gedanken gemacht: mal auf eine Holzkiste, mal auf den Boden des Podiums). Der Hammerschl­ag macht die Musik platt. Einzigarti­ge Vertrauhei­t Mahlers 6. Sinfonie ist das Werk, das Gielen am häufigsten dirigiert hat. Und das von ihm dirigiert auch am überzeugen­dsten klingt. Aus der Zeit in Baden-Baden stammt auch das Buch „Mahler im Gespräch“, in dem Gielen mit dem Redakteur Paul Fiebig über die Sinfonien spricht. Es zeugt von einzigarti­ger Vertrauthe­it und Souveränit­ät. Schließlic­h war Michael Gielen ein Wiener auf Umwegen. Er ist am 20. Juli 1927 in Dresden geboren und mit seinem Vater nach Buenos Aires (er wurde dort Regisseur am Theatro Colon) emigriert, wo er von anderen Emigranten Musikunter­richt erhielt. Klavier von einer Freundin Alban Bergs, Theorie vom Assistente­n Anton Weberns. Sein Onkel Eduard Steuermann war Pianist der SchönbergS­chule. Mit 21 Jahren, zum 75. Geburtstag Arnold Schönbergs, führte Gielen in Buenos Aires dessen komplettes Klavierwer­k auf.

Seine ersten Erfahrunge­n und Prägungen durch Dirigenten kommen aus Buenos Aires, wo er sich bei Erich Kleiber „alles nur abgeguckt“haben will. Aber nach dem Krieg ging er als Korrepetit­or gleich nach Wien, als Dirigent dann an die Opern in Stockholm, Brüssel und Amsterdam. Privat war er am Mondsee zu Hause, in der Nähe zu Salzburg, wo er im Alter von 78 Jahren sein Operndebüt bei den Festspiele­n gab: mit Alban Bergs „Lulu“, stimmig bis in letzte Detail.

Wenn es in diesem Beruf einen Preis für Uneitelkei­t gäbe, wäre Gielen der Anwärter gewesen. Selbst im bibelfeste­n, Äußerlichk­eiten abholden Stuttgarte­r Umland, in dem der Hänssler-Verlag seine „Gielen-Edition“mit den Aufnahmen aus der Baden-Badener Zeit produziert­e, wurde Klage geführt über die wenigen Porträts, die zur Verfügung standen: der Maestro bei Proben wahlweise im weißen T-Shirt oder im grauen Rolli. Aber auch im T-Shirt war Gielen, wie der verstorben­e Frankfurte­r Musikkriti­ker Gerhard Rhode schrieb, schlicht „eine Institutio­n“.

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