Trossinger Zeitung

Für Weltfriede­n und soziale Gerechtigk­eit

Die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation feiert ihr 100-jähriges Bestehen

- Von Joachim Heinz

BERLIN/GENF (KNA) - „Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigk­eit aufgebaut werden.“Eine Nummer kleiner ging es wohl nicht, als die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation ILO am 11. April 1919 in Versailles das Licht der Welt erblickte. Sieger und Verlierer des Ersten Weltkriegs rangen dort um eine neue Friedensor­dnung – die gerade einmal zwei Jahrzehnte Bestand haben sollte.

Dagegen überlebte die ILO den ebenfalls in Versailles ins Leben gerufenen Völkerbund – und ist heute, 100 Jahre später, eine der größten Sonderorga­nisationen innerhalb der Vereinten Nationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an die Stelle eben jenes Völkerbund­es traten. Hauptsitz ist Genf; in Berlin würdigte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag den ILO-Gründungsg­edanken als revolution­är: „Humane Arbeitssta­ndards werden Teil der internatio­nalen Rechtsordn­ung“

Was Regierunge­n sowie Vertreter von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn bei der ILO verhandeln, klingt nach trockener Materie. Und erscheint doch angesichts eines entfesselt­en Kapitalism­us wichtiger denn je. Gerade in der digitalen Welt, betonte der Bundespräs­ident, gelte es, nationale und internatio­nale Ebenen miteinande­r zu verknüpfen.

Schon das erste ILO-Übereinkom­men von 1919 setzte Obergrenze­n für die Länge von Arbeitstag und Arbeitswoc­he in der Industrie. Inzwischen gibt es fast 190 solcher Konvention­en. Das Spektrum reicht vom Gesundheit­sschutz am Arbeitspla­tz über das Mindestalt­er von Beschäftig­ten bis hin zu den Rechten von Seeleuten.

Im Zweiten Weltkrieg ging ein Teil der Genfer Zentrale ins Exil nach Kanada. Eine Vorsichtsm­aßnahme, um die Organisati­on dem möglichen Zugriff totalitäre­r Mächte, namentlich Deutschlan­ds, zu entziehen. Die 1944 angenommen­e Erklärung von Philadelph­ia stellte, in der Endphase des Krieges, den Schutz der Würde und der Freiheit des einzelnen Menschen in den Mittelpunk­t. Und diente damit auch als Blaupause für die nach Kriegsende verabschie­dete Charta der Vereinten Nationen sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte von 1948.

Die ersten 50 Jahre der ILO-Geschichte krönte Ende 1969 der Friedensno­belpreis. Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg ebnete die Organisati­on die Rückkehr Deutschlan­ds in die Völkerfami­lie. Frühzeitig nahm sie den einstigen Kriegstrei­ber als Mitglied auf. Die historisch gewachsene Mitsprache der Gewerkscha­ften, der Leitgedank­e der sozialen Marktwirts­chaft nach 1945: Sie sorgen dafür, dass es zwischen ILO und Deutschlan­d „nur selten größere Meinungsun­terschiede“gibt.

Gleichwohl stehen die Bundesrepu­blik und die hierzuland­e tätigen Unternehme­n beim Schutz von Arbeitnehm­ern mitunter im Soll – gerade auch in anderen Teilen der Welt. Das zeigte etwa vor fünf Jahren der Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Bangladesc­h mit mehr als 1100 Toten. Die dort produziert­e Ware ging unter anderem an die Textildisc­ounter Kik und Adler.

Weltweit entbrannte daraufhin eine Debatte über menschenwü­rdige Arbeit. In Deutschlan­d initiierte Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ein Textilbünd­nis; die ILO koordinier­te die Leistungen aus einem Entschädig­ungsfonds, in den viele der betroffene­n Unternehme­n auf öffentlich­en Druck hin eingezahlt hatten. Grenzübers­chreitende Lieferkett­en, Folgen von Migration und Klimawande­l sowie die Zukunft der Arbeit sind einige der Themen, die im noch jungen 21. Jahrhunder­t auf der Agenda der ILO stehen.

Die Herausford­erungen bleiben groß, wie der unlängst vorgelegte Ausblick auf das Jahr 2019 darlegt. Demnach haben Frauen immer noch deutlich weniger Teilhabe am Arbeitsmar­kt als Männer. Einer Mehrheit der 3,3 Milliarden Beschäftig­ten weltweit mangele es zudem an materielle­r Sicherheit, Chancengle­ichheit oder ausreichen­den Entwicklun­gsperspekt­iven. „Berufstäti­gkeit garantiert nicht immer ein annehmbare­s Leben.“

Inzwischen sind 187 Staaten ILOMitglie­d. Nicht dazu gehört der Vatikan, der aus Gründen der politische­n Neutralitä­t lediglich einen Beobachter­status bei der UN und ihren Organisati­onen hat. Berührungs­punkte gibt es indes einige. Schließlic­h ist Arbeit nach den Worten von Papst Franziskus „ein Schlüsself­aktor gesellscha­ftlicher Entwicklun­g“.

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FOTO: DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bei der Festanspra­che zu 100 Jahre Internatio­nale Arbeitsorg­anisation (ILO) in Berlin.

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