Abschiebezentrum an der Grenze
Neues Quartier für ausreisepflichtige Flüchtlinge liegt an deutscher Grenze
KREUZLINGEN (jau) - Die Schweiz hat 300 Meter von der deutschen Grenze entfernt ein Abschiebezentrum für Flüchtlinge installiert. Es handelt sich um ein Gebäude in Kreuzlingen, dem Nachbarort der badischen Stadt Konstanz am Bodensee. Deutscherseits gibt es Vorwürfe, die Eidgenossen seien mit der Einrichtung absichtlich an die Grenze herangerückt. Die Ausreisepflichtigen hätten so die Chance, bequem nach Deutschland zu entschwinden. Selbst das Bundesinnenministerium äußert Kritik. Die Schweizer Politik weist hingegen darauf hin, dass das Gebäude bereits seit 1988 Flüchtlinge beherberge.
KREUZLINGEN - Das novellierte Asylgesetz der Schweiz sorgt für Ärger in Konstanz. Dies liegt daran, dass die Eidgenossen seit Anfang März unweit der deutschen Grenzstadt ein Zentrum für ausreisepflichtige Asylbewerber eingerichtet haben. Mancher Konstanzer vermutet eine böse Absicht. Von den grauen Unterkunftsgebäuden bis zur offenen Grenze sind es vielleicht 300 Meter. Weshalb auf deutscher Seite spekuliert wird, Asylbewerber könnten sich massenhaft in die Bundesrepublik absetzen – und dass dies von den Schweizern so gewollt sei. Die Eidgenossen wiederum weisen solche Vermutungen strikt zurück.
Losgetreten wurde die Debatte jüngst von der „Bild“-Zeitung. Am 1. März war das neue Gesetz in Kraft getreten. Das Boulevardblatt titelte daraufhin: „Schlaue Schweizer öffnen Flüchtlingsheim direkt an der deutschen Grenze.“Der Text legte nahe, dass sich die Eidgenossen mit Hilfe der Grenznähe der Flüchtlinge entledigen wolle. „Bild“berief sich dabei auf ein internes Papier der Bundespolizei. Darin geht es angeblich um eine stärkere Grenzüberwachung wegen des Ausreisezentrums. Es handelt sich um ein Gebäude am Rande eines Gewerbegebiets des Konstanzer Nachbarortes Kreuzlingen, einer Gemeinde im Kanton Thurgau. Zuständig für Grenzkontrollen ist hier die Bundespolizeiinspektion Konstanz. Sie wies bereits Anfang Februar während eines Pressegesprächs auf mögliche Probleme wegen des Ausreisezentrums hin – seinerzeit aber völlig unaufgeregt.
Inzwischen hat jedoch eine Pressemitteilung des scheidenden Konstanzer Landrats Frank Hämmerle (CDU) das Thema weiter hochkochen lassen. Auch der 66-Jährige wirft die Frage auf, warum die Schweizer ein Ausreisezentrum ausgerechnet in Kreuzlingen an der deutschen Grenze einrichten. Naheliegender wäre doch ein Flughafen, weil Abschiebungen oder Ausreisen hauptsächlich von dort erfolgen würden, so Hämmerle. Er geht davon aus, „dass sich der Großteil der Bewohner des Ausreisezentrums der Abschiebung aus der Schweiz entziehen wird, indem sie die fußläufig zu erreichende Grenze nach Deutschland nutzen“. Plädoyer für Grenzkontrollen Der Text des Landrats kann so verstanden werden, als sei der mögliche Flüchtlingsschwund Richtung Deutschland eine versteckte eidgenössische Absicht. Im Gespräch verwehrt sich Hämmerle jedoch dagegen, den Schweizern Vorwürfe zu machen. Wie er sagt, sei seine Intention eine andere: „Wir brauchen bessere Grenzkontrollen. Hierfür muss die Bundespolizei verstärkt werden.“
Generell kritisiert der Landrat in diesem Zusammenhang die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Gleichzeitig sieht er das Schweizer Abschiebesystem als Vorbild für Deutschland. Es sei effektiver. Die Bundesrepublik solle ebenso verstärkt abgelehnte Asylbewerber oder straffällig gewordene Flüchtlinge abschieben.
Hämmerles eigentliche Stoßrichtung scheint aber aus dem Blickfeld geraten zu sein. Übrig blieb in der allgemeinen Wahrnehmung eher ein vermeintliches Klagen über die angebliche Schweizer Hinterfotzigkeit. Dieser Vorwurf stößt wiederum bei der zuständigen eidgenössischen Stelle auf Unverständnis. Es handelt sich um das Staatssekretariat für Migration in Bern. Als Sprecher tritt Daniel Bach auf. Er erklärt die Lage an der Grenze mit „dem revidierten Asylgesetz“seines Landes. Dessen Umsetzung wurde 2016 vom Schweizer Stimmvolk beschlossen. Im Kern dreht es sich um beschleunigte Asylverfahren.
Unter anderem teilt die Novelle das Land in sechs Asylregionen ein. Eine davon ist die Ostschweiz. Dort existieren zwei Asyl-Einrichtungen des Bundes: eines in Altstätten im Kanton St. Gallen – und jenes im Thurgau-Ort Kreuzlingen. Bisher waren beide Empfangs- und Verfahrenszentren. Gemeint sind damit Erstaufnahme-Einrichtungen, in denen Asylbewerber bis zum Abschluss ihres Falles blieben. Laut Bach dient der Kreuzlinger Komplex bereits seit 1988 diesem Zweck.
Nach Vorgaben der Asyl-Novelle sollte entweder er oder das Altstätter Quartier in ein Abschiebezentrum umgewandelt werden. „Die Entscheidung haben wir den Kantonen überlassen“, sagt Bach. Sie hätten sich auf Altstätten als Verfahrensstelle geeinigt, weil es dort noch Raum für bauliche Erweiterungen gegeben habe. In Kreuzlingen sei dies nicht der Fall gewesen. Für abgewiesene Asylbewerber würde der vorhandene Raum aber ausreichen. 310 Plätze gibt es – zehn mehr als vor der Umwandlung in ein Abschiebezentrum. Dass es Schwund geben wird, hält Bach für gegeben: „Im Schnitt tauchen in der Schweiz ein Drittel aller Asylbewerber ab.“Die Zahl sei mit jener in anderen mitteleuropäischen Ländern vergleichbar. 61 Prozent Schwund In die Debatte fließen aber Umstände aus dem Embracher Abschiebezentrum beim Zürcher Flughafen mit ein. Dort sind während des Versuchsbetriebs 61 Prozent der Untergebrachten in unbekannte Gefilde abgetaucht. Für Bach ist dies ein Fingerzeig, dass Grenznähe nicht relevant sei. So könnten Flüchtlinge mit Fernbussen kostengünstig überall hinreisen.
Von der Bundespolizei wird das Problem mit solchen Verkehrsverbindungen bestätigt. Demnach erfolgen in Konstanz die meisten Aufgriffe von illegal Einreisenden in diesen Bussen. Gleichzeitig heißt es aus dem baden-württembergischen Innenministerium, zuletzt sei das Migrationsgeschehen tendenziell rückläufig. Dennoch werde man die Lage an der deutsch-schweizerischen Grenze aufmerksam im Blick behalten. Das Bundesinnenministerium äußert sich alarmierter. Ein Sprecher betont, sein Amt würde „die Einrichtung in der Nähe der Grenze – angesichts der Möglichkeit der illegalen Weiterreise – nicht begrüßen“.