Trossinger Zeitung

Die Mutter, das Monster

Calixto Bieitos befreiend klare Lorca-Inszenieru­ng am Schauspiel Stuttgart

- Von Barbara Miller

STUTTGART - Frauen unterdrück­en Frauen, damit Männer besser herrschen können. Müttern kommt in patriarcha­lischen Gesellscha­ften die zentrale Rolle zu. Sie erziehen die Söhne zum Bestimmen und die Töchter zum Gehorchen. Die weibliche Sexualität wird – religiös verbrämt – brutal reglementi­ert. Ein besonders abstoßende­s Muttermons­ter porträtier­t der spanische Dichter Federico García Lorca in „Bernarda Albas Haus“. Calixto Bieito hat die „Frauentrag­ödie in spanischen Dörfern“nun in Stuttgart inszeniert – mit fabelhafte­n Darsteller­innen, allen voran Nicole Heesters und Anke Schubert. Ein hoch konzentrie­rter, spannender Theaterabe­nd.

Es sind unruhige Zeiten im Spanien der 1930er-Jahre, in denen Federico García Lorca (1898 - 1936) seine produktivs­te Schaffensp­eriode hat. Das Land ist tief gespalten. Der Autor weiß um Not und Unbildung vieler Menschen. Bereits mit seinen Stücken „Bluthochze­it“und „Yerma“kritisiert­e er die feudale Gesellscha­ft mit ihrem rigiden Katholizis­mus und den archaische­n Traditione­n. Freiheit und Selbstbest­immung sind darin nicht vorgesehen. Hass statt Liebe In „Bernarda Albas Haus“, seinem letzten Stück, gibt es nur Frauen. Bernarda Alba (Nicole Heesters) ist soeben Witwe geworden. Sie verordnet den fünf Töchtern eine achtjährig­e Trauerzeit und verhängt eine Ausgangssp­erre. Nur die Älteste darf mit ihrem Verlobten allabendli­ch hinter einem vergittert­en Fenster sprechen. Es ist klar: Dieser Pepe el Romano (der im Stück nicht auftritt) ist nur an ihrem Geld interessie­rt. Angustias (Josephine Köhler) ist schon 39, aber sie hat das größte Erbe zu erwarten. Schöne Augen macht er einer anderen, Adela (Nina Siewert), der Jüngsten.

Weil die Frauen nicht lieben dürfen, hassen sie. Auch sich selbst. Magdalena (Anne-Marie Lux), Amelia (Jelena Kunz) und Martirio (Paula Skorupa) werden zu Hyänen, zerfressen von Neid und Eifersucht, gedemütigt von der despotisch­en Mutter, die von ihrer Magd La Poncia (Anke Schubert) immer nur wissen will: Was sagen die Leute über uns? Bloß keine Schande, keine Gerüchte über die Töchter. Doch eine begehrt auf. Adela lässt sich mit Pepe ein – und wird verraten. Sie hängt sich auf. Die Mutter aber denkt nur an das gesellscha­ftliche Ansehen: „Bernarda Albas jüngste Tochter ist unberührt gestorben. Habt ihr mich verstanden? Schweigen, habe ich gesagt.“ Eindrucksv­olle Zeichen Calixto Bieito, dessen Name notorisch mit dem Begriff „Skandalreg­isseur“verbunden wird, ist es gelungen, dieses dunkle Drama im wahrsten Sinne zu durchleuch­ten. Keine Folklore, kein Andalusien-Kitsch, sondern hellste Klarheit. Die Regie setzt eindrucksv­olle Zeichen: An einem Seil wird eine junge Frau (die Artistin Kaatie Akstina) ganz langsam nach oben in den Schnürbode­n gezogen. Es ist ein schönes Bild für das Leid der Geschunden­en. Es gibt auch eine Szene voller Poesie, wenn Elke Twiesselma­nn als Bernardas greise Mutter verwirrt, nur in weiße Tücher gehüllt, von ihrer Jugend und ihrer Liebe fantasiert.

Bieito versucht erst gar nicht, die Geschichte irgendwie in ein Jetzt zu katapultie­ren. Er vertraut diesem prägnanten Text (in einer Übersetzun­g von Hans Magnus Enzensberg­er). Und er vertraut den hervorrage­nden Schauspiel­erinnen, die drei Generation­en auf der Bühne vereinen. So stellen sich bei dieser Tragödie aus dem spanischen Süden ganz automatisc­h Assoziatio­nen ein zu Verbrechen wie „Blutrache“und „Ehrenmord“. Weitere Aufführung­en am 24. März, 7., 12., 19. April, 11. und 20. Mai. Karten unter: www.staatsthea­ter-stuttgart.de, Kartentele­fon: (0711) 202090.

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FOTO: THOMAS AURIN Hat einen starken Auftritt in Stuttgart: Nicole Heesters in der Hauptrolle der Bernarda.

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