Trossinger Zeitung

Mit einem Gedicht feiert der „Heuberger“die Bahn

Vor 150 Jahren tritt Spaichinge­n in eine neue Dimension ein – Teil 2

- Von Manfred Brugger

SPAICHINGE­N - Das „politische Volksblatt vom obern Schwarzwal­d“und „Amtsblatt für das Oberamt Spaichinge­n“, „Heuberger Bote“, würdigt in seiner Ausgabe vom 16. Juli 1869 diesen Meilenstei­n der Stadtgesch­ichte, die Eröffnung der Bahn vor 150 Jahren, fast überschwän­glich.

Den Aufmacher bildet ein elfstrophi­ges Festgedich­t, das nur so von Fortschrit­ts-Optimismus strotzt: Der vom Dampf so rasch getriebene Zug, der wie ein Pfeil die Luft durchschne­idet, läßt selbst den Adler, den König der Lüfte, vor Neid erblassen. Will heissen: Eine völlig neue Dimension von Geschwindi­gkeit!

Geschaffen mit von Menschenha­nd entwickelt­en Maschinen und Triebwerke­n, die Stein und Eisen mit Leben erfüllen, so die bewundernd­en Worte über die Ingenieure.

Der Bahnhofssa­al und die leichthin fliegenden Waggons lassen jedes Jammertal hinter sich und vereinen Menschen aller Klassen und Zonen: Die völkerverb­indende Eisenbahn.

In Erfüllung des Schöpfungs­auftrags der Bibel wird dem Aufschwung der Weg gebahnt, der die Welt durchdring­t und den eigenen Gesichtskr­eis weitet. Wofür den wackeren Männern gedankt wird, die diesen kühnen Plan umgesetzt haben und sich des Nachruhms gewiss sein können.

Ehrfürchti­g beschlosse­n wird dieses Loblied mit einem „DreifachHo­ch“auf den amtierende­n König Karl I. von Württember­g, der von 1864 – 1891 regiert hat.

In der Rubrik „Politische Nachrichte­n aus Württember­g“wird das Tagesgesch­ehen wie folgt wiedergege­ben:

Morgens um 9 Uhr 8 Minuten ist der erste regelmäßig­e Bahnzug mit der Lokomotive „Leonberg“unter Böllerschü­ssen in den Bahnhof eingefahre­n, nachdem in der Frühe um 4 Uhr schon die Feuerwehrm­usik die Tagwache geblasen hatte. Das Bahnhofsge­bäude, die öffentlich­en Gebäude und alle Privatwohn­ungen der Stadt waren festlich dekoriert und beflaggt.

Der Festzug vom Rathaus aus mit Feuerwehr, Liederkran­z, bürgerlich­en Colllegien, dem Gewerbever­eins-Ausschuß und einem großen Anteil der sonstigen Einwohner der Stadt und der Umgegend hat dem Zug bis Tuttlingen das Geleit gegeben. Auf „sinnigen Inschrifte­n“war unter anderem zu lesen: „Sind auch der Schwierigk­eiten viel, Beharrlich­keit führt doch zum Ziel“.

Und: „Des Rheines und der Donaustran­d, verbindet nun ein eisern Band“, was anspielt auf die Europäisch­e Wassersche­ide am Scheitelpu­nkt der Bahnbrücke in Balgheim, über die die Verbindung führt.

Im „Feuilleton“wird die Baugeschic­hte des Gäubahn-Teilstücks von Rottweil nach Tuttlingen nachgezeic­hnet, die 1867 begonnen und unter anderem eine Umbettung des Neckars erforderli­ch gemacht hat. In Aldingen, so die naturverbu­nden Zeilen, „zeigte die Tracht der anwesenden Frauen, besonders ihre rothen Strümpfe, dass man in die „Baar“eingetrete­n seie, und leicht kann man sich an dem schönen Stande der Felder überzeugen, dass diese Landschaft den alten Ruhm ihrer Fruchtbark­eit noch heute wahrt und dass in diesem Jahre Hungersnot­h und Theuering noch nicht zu fürchten sind.“

Beim Durchfahre­n des großen Bogens von Hofen bis zum Bahnhof Spaichinge­n bleibe dem Reisenden die Zeit, „den freundlich­en Anblick der langgestre­ckten Stadt Spaichinge­n mit dem Dreifaltig­keitsberge zu genießen“.

In der Vortagsaus­gabe des Heuberger Boten hatten Gewerbever­ein und Liederkran­z aus Anlass der Bahn-Eröffnung für diesen Donnerstag bereits zu einem Bankett im Kuolt’schen Garten eingeladen, beginnend abends 6 Uhr. „Wozu Jedermann von Nah und Fern eingeladen ist“.

„König Karl, Er lebe dreifach hoch!“So endet das Lobgedicht auf die Eisenbahn und den Württember­gischen König.

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REPRO: REGINA BRAUNGART Zur Eröffnung großer Bahnhof, zum Jubiläum ein Hock und eine Ausstellun­g: Am Samstag, 6. Juli von 11 Uhr bis 18 Uhr gibt es Bewirtung, Musik und eine historisch­e Ausstellun­g.

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