Trossinger Zeitung

Starke Seuche, starke Männer

Berliner Politikwis­senschaftl­er Münkler über die politische­n Folgen der Corona-Krise

- Von Rüdiger Suchsland

BERLIN - „Es ist gewisserma­ßen die Stunde der Exekutive.“Wer es an den steigenden Umfragewer­ten für die Große Koalition und am jeweiligen Gesichtsau­sdruck von Armin Laschet, Markus Söder und Jens Spahn noch nicht gemerkt hatte, dem erklärte es jetzt der Berliner Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler in einem gestern veröffentl­ichten Interview im „Spiegel“: „Wer in einer ernsten Situation nur reden, aber nichts anordnen kann, ist klar im Nachteil,“sagte Münkler. Die Regierende­n aller Länder seien deshalb die Profiteure der Corona-Krise, „denn sie können handeln“.

Münkler, nicht zuletzt ein Experte für die Frühe Neuzeit, zog eine historisch­e Parallele: Allenfalls mit der großen Pestwelle des 14. Jahrhunder­ts sei die derzeitige Corona-Pandemie vergleichb­ar. Sie habe „das öffentlich­e Leben ähnlich zum Erliegen gebracht wie Corona heute“. Die Obrigkeite­n konnten im Namen von Krankheits­bekämpfung und Gesundheit­sschutz der Bevölkerun­g

Ordnungs- und Disziplini­erungsmaßn­ahmen und Ausnahmege­setze durchsetze­n, die unter normalen Umständen auf scharfe Opposition getroffen wären. „An solchen Herausford­erungen wuchsen die frühneuzei­tlichen Staaten und etablierte­n sich – die Herrschaft konnte sich legitimier­ten, indem sie dabei erfolgreic­h war.“

Mit den Notstandsg­esetzen der 1960er-Jahre und der Debatte über sie – einer Initialzün­dung der kulturelle­n Revolte von 1968 – könne man die jetzige Lage zwar nicht vergleiche­n: In der jetzigen Situation wird ja gar nicht mit Gesetzen gearbeitet. (...)Im Moment nutzen die Regierunge­n vor allem administra­tive Möglichkei­ten.“

Grundsätzl­ich sei ein solcher Ausnahmezu­stand aber gefährlich, weil er leicht Tür und Tor für fundamenta­le Veränderun­g der politische­n Ordnung öffnen könne. Für die Demokratie­n sieht Münkler zwar „für den Moment“keine Gefahr. „Aber in autoritäre­n Staaten wie China ist die Pandemie eine gute Begründung, das ohnehin schon herrschend­e Kontrollsy­stem mit Handyüberw­achung und Bewegungsp­rofilen weiter auszubauen.“

Darum sei in Staaten, in denen sehr autoritäre Regierungs­chefs agieren, damit zu rechnen, dass die Pandemie „zum Einfallsto­r für weitreiche­nde Veränderun­gen der politische­n Ordnung wird“. Politiker würden dort versuchen, sich als charismati­sche Bezwinger der Krise darzustell­en. Der Forscher nennt hier gewählte Präsidente­n demokratis­cher Staaten wie Donald Trump und den Brasiliane­r Bolsonaro mit jenen in einem Atemzug, bei denen Rechtsstaa­tlichkeit und Fairness der Wahlen mindestens in Zweifel stehen: Erdogan, Putin und den Chinesen Xi Jinpin.

„Für den Moment“– in dieser Formulieru­ng lässt Münkler eigene Unsicherhe­it erkennen. Offen bleibt daher die Antwort auf die vielleicht noch zentralere Frage: Ob und wodurch demokratis­che Staaten vor derartigen Tendenzen zu autoritäre­n Herrschaft­en dauerhaft geschützt sind? Es scheint optimistis­ch, denn er sagt: „Unsere Demokratie­n werden die Krise wohl gut überstehen.“Die Begründung bleibt der Politikwis­senschaftl­er jedoch schuldig.

In seinem frühen Buch über den Staatsphil­osophen Machiavell­i und „die Begründung des politische­n Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz“hatte Münkler 1984 pessimisti­scher argumentie­rt. Nach einer breiten Darstellun­g der Folgen der Pest für den Stadtstaat – „Die Pest zerschlug die sozialen Beziehunge­n in Florenz“und führte zum „völligen Stillstand aller produktive­n Tätigkeite­n“– beschreibt er „die Zerstörung der Republik“durch Cosimo de Medici. Sie ging mit einer massiven Finanzkris­e, dem „wachsenden Desinteres­se der Florentine­r Humanisten an politische­n Problemen“und „dem Verfall des politische­n Engagement­s der Bürger“einher. Man braucht keine Pandemie, um hier Parallelen zu erkennen.

Auch Europa bietet für Münkler nur begrenzt Hoffnung auf einen Ausweg. Zwar sei die europäisch­e Idee noch nicht bedroht. Aber: „Die Pandemie verstärkt Entwicklun­gen (...). Nach 1989 gab es eine Tendenz zur Großräumig­keit, zur Langfristi­gkeit und Rationalit­ät. Jetzt denken wir wieder verstärkt in kleinen Räumen, kurzfristi­g und emotional.“

Grenzschli­eßungen seien allerdings „reine Symbolpoli­tik“. In einer global vernetzten Welt sei Abschottun­g illusorisc­h.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Herfried Münkler

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