Japan denkt nach, Pound plaudert aus
Laut des IOC-Mitglieds ist es beschlossene Sache, dass Olympia nicht Ende Juli beginnt
TOKIO/BERLIN (dpa/SID) - Offiziell ist es noch nicht, aber eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio scheint unausweichlich zu sein. Nachdem sich inzwischen auch Gastgeber Japan mit dem Gedanken eines neuen Termins befasst hat, ist ein derartiges Szenario für den früheren Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Richard Pound, bereits beschlossene Sache. „Auf der Grundlage der Informationen, die das IOC hat, wurde eine Verschiebung beschlossen. Die zukünftigen Parameter wurden noch nicht festgelegt, aber die Spiele werden nicht am 24. Juli beginnen, soweit ich weiß“, sagte Pound der Zeitung „USA Today“am Montag.
Der 77-jährige Kanadier glaubt, dass das Internationale Olympische Komitee bald die nächsten Schritte bekannt geben wird. „Wir werden dies verschieben und beginnen, uns mit all den Konsequenzen zu befassen, die sich daraus ergeben, die immens sind“, ergänzte der einflussreiche ExChef der Welt-Anti-Doping-Agentur, der stets für deutliche Worte bekannt ist. IOC-Sprecher Mark Adams erklärte auf Anfrage der Zeitung, dass das IOC verschiedene Szenarien überlege und verwies auf die Mitteilung vom Sonntag, wonach sich das IOC eine Vier-Wochen-Frist über die OlympiaEntscheidung einräumte.
Dass der Termin im Sommer aufgrund der Corona-Pandemie kaum zu halten ist, wird allmählich auch den Veranstaltern klar. „Wir sind nicht so blöd, die Olympischen Spiele wie geplant auszutragen“, sagte Yoshiro Mori, der Präsident des Organisationskomitees (OK). Der Fackellauf allerdings soll am Donnerstag in Fukushima beginnen, auch wenn die Lage „schlechter und schlechter“werde, wie OKGeschäftsführer
Toshiro Muto anmerkte. Das Organisationskomitee schließt sich damit der Haltung der Regierung an. Es sei schwierig, Spiele unter diesen Umständen abzuhalten, sagte Japans Premierminister Shinzo Abe: „Wir müssen über eine Verschiebung entscheiden.“
Diese unausweichliche Entscheidung will das IOC allerdings erst in einem Monat treffen, wie den Athleten aus aller Welt mitgeteilt wurde. Daran übte am Montag auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Kritik. Die Prüfung der Verlegung sei zwar ein richtiger und in Anbetracht der aktuellen gesundheitlichen Weltlage längst fälliger Schritt, erklärte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Allerdings hätten wir uns bereits jetzt eine klare Aussage dahingehend gewünscht, dass die Spiele definitiv nicht zum geplanten Termin stattfinden können und nun über denkbare Alternativen beraten wird.“
Das IOC, bei dem der Widerstand gegen eine Verlegung in den Herbst respektive ins nächste oder übernächste Jahr offenbar bröckelt, will sich angeblich in den kommenden
Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes
Wochen überhaupt nicht mehr äußern. Dafür ergriffen andere das Wort. „Das ist alles nur noch Hinhaltetaktik“, sagte Wasserspringer Patrick Hausding. „Es werden wirtschaftliche Faktoren gegen die Gesundheit der Sportler abgewogen.“Aus Sicht des Olympiadritten müssten die Spiele „um ein Jahr“verschoben werden. Der DOSB präferiert laut Hörmann „eine Verlegung mindestens ins nächste Jahr“. Thomas Röhler wäre ebenfalls für eine Austragung 2021. „Wer weiß denn schon, was im Herbst ist?“, sagte der Speerwurf-Olympiasieger. „2021 bietet aus meiner Sicht derzeit die größte Sicherheit.“Die Vier-Wochen-Frist Thomas Bachs geht Röhler nicht weit genug. „Den Athleten muss die Unsicherheit genommen werden“, forderte der 28-Jährige und fügte an: „Viele stehen ja mit einem Bein im Gefängnis, wenn sie ihre Sportstätten nutzen würden.“
Thomas Bach hatte betont, dass das IOC Teil der Lösung sein wolle.
„Menschenleben haben Vorrang vor allem, auch vor der Austragung der Spiele“, erklärte der Fecht-Olympiasieger von 1976. Gleichzeitig drückte er seine Hoffnung aus, „dass am Ende dieses dunklen Tunnels, durch den wir alle gemeinsam gehen, ohne zu wissen, wie lange er noch dauert, die olympische Flamme ein Licht sein wird“. Dieses Licht sieht die internationale Sportwelt aber noch nicht. Kanada kündigte als erstes Land an, keine Sportler zu den Olympischen und Paralympischen Spielen (25. August bis 6. September) zu schicken. In Australien verständigte sich das Olympia-Komitee darauf, seine Athleten auf 2021 einzuschwören. Leichtathletik-Weltverbandschef Sebastian Coe schrieb an Bach, Spiele gemäß bisheriger Planung seien „weder machbar noch wünschenswert“.
Angesichts des täglich steigenden Drucks scheint es kaum denkbar, dass das IOC erst in vier Wochen eine Entscheidung treffen kann. „Diese Hinhaltetaktik des IOC produziert einen massiven Vertrauensverlust und zeigt auch ein eklatantes Führungsversagen“, sagte auch Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, bei hr-iNFO.
Da das IOC eine komplette Absage der Spiele ausschloss, muss möglichst schnell ein Ersatztermin gefunden werden. Gegen eine Verlegung in den Oktober oder November spricht die Unklarheit über die weitere Entwicklung der Pandemie. Allerdings wären Sommerspiele im Herbst aus terminlicher Sicht leichter umzusetzen als die Verschiebung in die Jahre 2021 oder 2022. Nach Ablauf der vier Wochen muss das IOC viele Fragen beantworten.
Am besten schon deutlich früher.
„Die Prüfung der Verlegung ist ein richtiger und (...) längst fälliger Schritt.“