Corona: Frauenhaus rechnet verstärkt mit Anfragen
Die Krise könnte zu mehr häuslicher Gewalt führen – Möglichkeiten für Neuaufnahmen beschränkt
TUTTLINGEN - Häufen sich die Fälle häuslicher Gewalt, wenn Familien in diesen Tagen verstärkt zu Hause aufeinander hocken? Ja, befürchten Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Juliane Schmieder, die Leiterin des Frauenhauses Tuttlingen. Dabei sind die Kapazitäten der Einrichtung eh schon zu knapp. Die Coronakrise erschwert die Lage.
Aktuell sind zehn Frauen in fünf Zimmern untergebracht, eines ist noch leer, sagt Schmieder. Frage sich nur, wie lange. Dabei gebe es eine Ansage: „Unsere Verbände raten uns, darauf zu achten, dass die Häuser im Moment nicht zu voll sind.“Normalerweise könne sie Frauen bei Überfüllung auch an umliegende Frauenhäuser vermitteln. Aber auch davon werde jetzt abgeraten.
„Wir haben die Polizei gebeten, mehr Platzverweise zu erteilen und die Gewalttäter so aus der Wohnung zu schicken", wobei das das Opfer nicht vollständig schütze, gesteht Schmieder ein. Die Adresse des Frauenhauses ist anonym, ein Täter kann die Frau also nicht ausfindig machen. Wie genau die Polizei vorgeht, möchte sie auf Anfrage nicht näher beantworten. Beim Thema Frauenhaus halte man sich grundsätzlich zurück.
Um extern zusätzliche Notunterkünfte zu organisieren, hat Schmieder außerdem die Stadtverwaltung eingeschaltet. „Wir sind in Gesprächen mit der Wohnbau", bestätigt Stadtsprecher Arno Specht.
Aktuell verliefen diese aber wenig aussichtsreich, erklärt Wohnbau-Geschäftsführer Horst Riess. „Wir sind mit Feuereifer dabei und fühlen uns ausgesprochen in der Pflicht dazu. Frauenhäuser haben bei uns Priorität. Aber aktuell ist nichts frei." Er könne nicht einfach jemanden aus der Wohnung schmeißen. Die Zahl der Wohnungskündigungen sei in den vergangenen Jahren um knapp zwei Drittel geschrumpft, erst recht in der Krise. „Aktuell ist die Lust, zu kündigen, unterentwickelt.“Hinzu komme, dass nicht jede Wohnung als Notunterkunft in Frage komme, so zum Beispiel Neubauten.
Der Wohnungsmarkt ist angespannt, ebenso wie die Stimmung in so manch einer Familie, vermutet Schmieder. „Es merkt ja auch jeder an sich selbst, dass solch eine Extremsituation wie jetzt einen schneller hochkochen lässt. Das Nervenkostüm wird dünner, da kommt es sicher zu mehr Spannungen."
An dem Miteinander im Frauenhaus habe sich durch die Ausbreitung des Coronavirus bisher aber kaum etwas geändert.
„Wir leben wie in einer großen WG, teilen alles. Da können Sie gar keine Abstandsregeln durchsetzen", sagt Schmieder. An Ausgangsbeschränkungen und strengere Hygiene halte man sich natürlich. „Bisher sind wir im Haus coronafrei. Aber ich weiß ja nie, welche Bewohnerin als Nächstes kommt."
Personenkontakt, der sich vermeiden lässt, gehe man daher aus dem Weg, sagt Schmieder. So führe man Erst- oder Beratungsgespräche aktuell bevorzugt über das Telefon oder online per Skype. „Das betrifft aber eher Dinge, die nicht akut sind im Sinne von: Ich erfahre Gewalt und brauche Schutz.“Ein persönliches Gespräch sei eigentlich immer noch die beste Wahl, sagt Schmieder.
Für den Fall, dass das komplette Frauenhaus, Bewohnerinnen und Mitarbeiter, unter Quarantäne gestellt wird, müsse man unbedingt die Versorgung sicherstellen. Allerdings nur über Vertrauenspersonen, da die Adresse des Frauenhauses geheim bleiben müsse, sagt Schmieder. In Frage kämen Feuerwehr, Polizei oder Vorstandsmitglieder, die sonst nicht im Haus sind. Auch Helferinnen aus dem Bereitschaftsdienst könne man rekrutieren. Sie sind die einzigen, die angesichts der Krise aktuell nicht im Einsatz sind.
Soweit denkt Schmieder aber nicht. „Panik haben wir so schon genug, davon können wir nicht mehr gebrauchen.“Trotzdem wäre es eine Herausforderung, sollte das Virus auch in das Frauenhaus einziehen.