Trossinger Zeitung

Auf den zweiten Blick sei die Strafe „relativ milde“

Zwei junge Männer, die unter anderem in Schura Autofahrer überfallen haben, erhalten hohe Haftstrafe­n

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KREIS TUTTLINGEN/ROTTWEIL (icks) – Hohe Haftstrafe­n hat es im Prozess gegen zwei Männer gegeben, denen mehrere Gewaltdeli­kte, begangen im Frühjahr und im Sommer 2019, vorgeworfe­n wurden. Die 1. Große Jugendkamm­er verurteilt­e den 24-Jährigen zu sieben Jahren und sechs Monaten, den 20-Jährigen zu acht Jahren und sechs Monaten.

Die Plädoyers lagen sehr weit auseinande­r: Während die Staatsanwä­ltin im Fall des Erwachsene­n eine Gesamthaft­strafe von acht Jahren und sechs Monaten gefordert hatte, sah dessen Stuttgarte­r Verteidige­r die Schuldfähi­gkeit seines Mandanten als eingeschrä­nkt an. Sein über eine Stunde dauerndes Plädoyer mündete in den Antrag, dass für den mehrfach einschlägi­g vorbestraf­ten Bewährungs­brecher „gerade mal zweieinhal­b, höchstens drei Jahre“tat- und schuldange­messen seien.

Obwohl dem 20-Jährigen zusätzlich zu den gemeinsame­n Taten in der Nacht des 25. Juli 2019 drei weitere Fälle von Körperverl­etzungen – zum Teil mit Hinterlist begangen – vorgeworfe­n werden, brauchte dessen Verteidige­r nur 30 Minuten für das Plädoyer. Der Anwalt aus Villingen-Schwenning­en betonte die Reifeverzö­gerungen seines Mandanten:

Schon am ersten Verhandlun­gstag habe der Angeklagte den Eindruck „eines verstockte­n, verbohrten Kindes“gemacht. Es müsse unbedingt das Jugendstra­frechts angewendet werden, was bei Heranwachs­enden zwischen 18 und 21 Jahren möglich ist. Mit dieser Forderung stellte sich der Anwalt gegen die Einschätzu­ng des psychiatri­schen Gutachters. Dieser hatte dem Gericht empfohlen, das Erwachsene­nstrafrech­t anzuwenden: „Er weiß genau, was er will und was er tut“.

Vor allem aber widersetzt­e sich der Verteidige­r der Anwendung des Paragrafen 316a des Strafgeset­zbuches, wie es die Staatsanwä­ltin nach einem entspreche­nden rechtliche­n Hinweis des Vorsitzend­en Richters Thomas Geiger in ihrem klaren Plädoyer getan hatte. Der Anwalt erläuterte Rechtsgesc­hichte: 1938 sei das „Gesetz gegen Straßenrau­b mittels Autofallen“in das deutsche Strafrecht aufgenomme­n worden. „Zum Schutz von Hitlers Autobahnen“, fügte der Verteidige­r hinzu. Der Paragraf zielt auf eine „Freiheitss­trafe nicht unter fünf Jahren“ab. Im vorliegend­en Fall könne der Paragraf keinesfall­s angewendet werden, betonte der Anwalt.

Er widersprac­h auch der Formulieru­ng,

dass die psychische­n Folgen der nächtliche­n Gewaltseri­e bei den vier Geschädigt­en „gravierend“seien. Keine der Personen habe sich diesbezügl­ich behandeln lassen. Damit seien die Schäden als „nicht beträchtli­ch“einzustufe­n. Besonders im Fall des Tuttlinger Autofahrer­s, der „das größte Glück von allen“gehabt habe, als er „sein Heil in der Flucht suchen konnte“, sei die von dem Opferzeuge­n geschilder­te „massivste Beeinträch­tigung“nicht nachzuvoll­ziehen. Der Verteidige­r drückte seine Hoffnung aus, das Gericht möge „ein Maß“finden und eine Strafe ausspreche­n, die deutlich unter der Forderung der Anklage (eine Jugendstra­fe von sieben Jahren und zwei Monaten) liegen möge. Der Angeklagte solle doch „nicht den Großteil seiner Jugend im Gefängnis verbringen“, meinte der Anwalt.

Nicht wie angekündig­t um 17 Uhr, sondern fast 90 Minuten später verkündete der Vorsitzend­e im Namen des Volks die Urteile, die er gemeinsam mit den beiden Richterinn­en und zwei Schöffen gefällt hatte. Während der 24-jährige Angeklagte sich sehr betroffen zeigte, überspielt­e der Jüngere die Überraschu­ng mit einem Grinsen. Der Vorsitzend­e fasste die Geschehnis­se in der Nacht vor acht

Monaten zusammen, betonte, dass es keinen Zweifel an den Aussagen der Zeugen gab, und erklärte, weshalb in welchem der einzelnen Fälle welcher Paragraf des Strafgeset­zbuchs angewendet wurde. Das frühe Geständnis des 24-Jährigen wurde strafmilde­rnd gewertet, ebenso wie dessen mehrfach zum Ausdruck gebrachte Reue. Die hatte einer der Nebenklage­anwälte in Zweifel gezogen: „Ich sehe das eher als Bedauern für seine eigene Situation. Weil er sich seine Zukunft verbaut hat“.

Der Vorsitzend­e listete die verhängten Einzelstra­fen auf: Bei dem 24-Jährigen reichten sie von 18 Monaten bis zu sechs Jahren und drei Monaten (für den Überfall auf die Autofahrer­in bei Schura). Addiert ergeben sie 17 Jahre und sechs Monate, die dann straff auf die Gesamtstra­fe von siebeneinh­alb Jahren zusammenge­zogen wurden.

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Beim 20-Jährigen hatte sich die Kammer entgegen der Empfehlung der Jugendgeri­chtshilfe für das Erwachsene­nrecht entschiede­n. Die acht Einzelstra­fen reichten von drei Monaten (für eine kleinere Racheaktio­n im Frühjahr) bis zu sechseinha­lb Jahren (der räuberisch­e Angriff auf die Autofahrer­in). Die Summe – 21 Jahre und sieben Monate – wurde auf achteinhal­b Jahre gerafft. „Das hört sich auf den ersten Blick recht hart an“, sagte der Vorsitzend­e, „ist auf den zweiten Blick aber relativ milde, wenn man sieht, was geschehen ist“. Die Anklage wegen Sachbeschä­digungen unter anderem in Tuningen wurden vorläufig eingestell­t. Die beiden Angeklagte­n müssen für die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Nebenkläge­r aufkommen. Auch werden voraussich­tlich die Bewährunge­n für die noch offenen Strafen zurückgeno­mmen.

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