Einreisestopp betrifft Landwirte im Kreis nicht
Saisonarbeiter spielen keine Rolle – Nachfrage nach regionalen Produkten steigt
SPAICHINGEN - Landwirte in BadenWürttemberg und ganz Deutschland schlagen Alarm: Das vom Bundesinnenministerium am Mittwoch verfügte Einreiseverbot für Saisonkräfte und Erntehelfer aus bestimmten Ländern könnte manche Landwirte vor existenzielle Probleme stellen. Doch für die Bauern im Landkreis Tuttlingen stellt sich die Lage entspannter dar. Grund ist auch das hiesige Klima.
Allein in Baden-Württemberg sind laut einer Pressemitteilung des Landesbauernverbands 53 000 Saisonarbeitskräfte jährlich in der Landwirtschaft beschäftigt. Häufig sind sie aus Osteuropa. Sie kommen hauptsächlich bei der Ernte sogenannter „Sonderkulturen“zum Einsatz. In der Landwirtschaft werden als Sonderkulturen alle Kulturen bezeichnet, die nicht zu Hackfrüchten, Getreide oder Futterpflanzen zählen und die besonders kosten- und arbeitsintensiv sind – also zum Beispiel Obst, Weinreben, Gemüse, aber auch Hopfen oder Blumen.
„Es ist eigentlich ein Nachteil des Kreises, dass solche lukrativen Sonderkulturen hier nicht angebaut werden können – das liegt einfach an den klimatischen Bedingungen “, stellt Winfried Schwarz, Leiter des Landwirtschaftsamts Tuttlingen, fest. Doch in der jetzigen Situation scheint genau dies zum Vorteil zu gereichen, weil keine speziellen Saisonarbeitskräfte benötigt werden.
„Soweit ich weiß, ist von dem Einreisestopp für ausländische Saisonarbeitskräfte kein Betrieb im Kreis betroffen“, bestätigt auch Wilhelm Schöndienst, Kreisobmann des Kreisbauernverbands Tuttlingen. Die hiesigen Betriebe kämen mit ihren eigenen Kräften das Jahr über aus. Auch Schöndienst weist darauf hin, dass hier keine arbeitsintensiven Sonderkulturen angebaut werden.
Was Wilhelm Schöndienst im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb in Schura dieser Tage zu spüren meint, ist jedoch, dass die Nachfrage nach Direktvermarktung zunimmt. „Wir sind ein selbstverwertender Betrieb und stellen fest, dass wir derzeit bis zu zehn Prozent mehr Umsatz machen.“Der Betrieb ist auf Wochenmärkten präsent, liefert seine Eier aber auch ins Haus und beliefert Metzgereien, Bäckereien und Supermärkte. „Grundsätzlich“, so findet Schöndienst, „zeigt die Krise, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur vom Import abhängig sind, und wie gut es ist, dass wir in Deutschland einen gewissen Selbstversorgungsgrad haben.“
„Die Menschen orientieren sich in solchen Zeiten wieder an regionalen Bezugsquellen“, stellt auch Winfried Schwarz vom Landwirtschaftsamt Tuttlingen fest. Versorgungsengpässe an landwirtschaftlichen Produkten sieht Schwarz – so lange es keine Einschränkungen beim Güterverkehr gibt – derzeit nicht. Bei Getreide seien die Preise sogar im Gegenteil eher am Bröckeln, auch die Molkereien kämen kaum nach, die angelieferte Milch zu verpacken (da Verpackungen knapp werden) und auch das Angebot an Fleisch sei reichlich.
Anderswo, wie im benachbarten Landkreis Konstanz, sind zahlreiche Obstbauern auf Saisonarbeitskräfte angewiesen und suchen inzwischen auch über das Internet nach Aushilfen.
„Der Einreisestopp von Saisonarbeitskräften trifft unsere Familienbetriebe sehr hart und könnte die regionale Lebensmittelproduktion im Bereich Sonderkulturen gefährden“, sagt etwa Joachim Rukwied, Präsident des Landesbauernverbandes (LBV) laut Pressemitteilung des LBV. „Besonders unsere Obst-, Gemüseund Weinbaubetriebe, die Teil der kritischen Infrastruktur sind, brauchen dringend Arbeitskräfte“, erklärt der Bauernpräsident. Rukwied fordert daher: „Nun muss es kurzfristig unbürokratische und praktikable Lösungen geben, damit arbeitssuchende Menschen aus Baden-Württemberg beschäftigen werden können, um die Situation etwas zu entschärfen.“
Der Bereich der Arbeitsagentur Rottweil/Villingen-Schwenningen hat jedoch bisher keine Anfragen von landwirtschaftlichen Betrieben und auch keine Arbeitssuchendmeldungen für die Mithilfe in der Landwirtschaft erhalten, so Elena Niggemann, Pressesprecherin der AA Rottweil/ Villingen-Schwenningen.
Dafür hat eine Gruppe BodenseeBauern Anfang der Woche über Facebook Helfer gesucht: „Lust auf Kontakt mit Mutter Erde? – Wir suchen dringend helfende Hände“, schrieben die Landwirte dort. Innerhalb kurzer Zeit hätten sich beispielsweise Studenten, Hausfrauen, Kurzarbeiter aus Hotellerie und Gastronomie und Selbstständige gemeldet, sagt Hubert Hengge, Leiter des Maschinenrings Tettnang. „Wir konnten bereits erste Arbeitsverträge zum Abschluss bringen, zum Beispiel zum Sortieren und Verpacken von Obst oder zu Frühjahrsarbeiten im Hopfenbau.“
Mittlerweile haben Maschinenring und Agrarministerium gemeinsam eine Internetseite namens www.daslandhilft.de gestartet, auf der sich Landwirte und Helfer finden sollen.
Eine Umkreissuche auf der Plattform zeigt, dass in zehn Kilometer Umkreis von Spaichingen derzeit in der Tat keine Hilfe in der Landwirtschaft gesucht, aber von mehreren Personen angeboten wird.