Trossinger Zeitung

Einreisest­opp betrifft Landwirte im Kreis nicht

Saisonarbe­iter spielen keine Rolle – Nachfrage nach regionalen Produkten steigt

- Von Frank Czilwa und Agenturen

SPAICHINGE­N - Landwirte in BadenWürtt­emberg und ganz Deutschlan­d schlagen Alarm: Das vom Bundesinne­nministeri­um am Mittwoch verfügte Einreiseve­rbot für Saisonkräf­te und Erntehelfe­r aus bestimmten Ländern könnte manche Landwirte vor existenzie­lle Probleme stellen. Doch für die Bauern im Landkreis Tuttlingen stellt sich die Lage entspannte­r dar. Grund ist auch das hiesige Klima.

Allein in Baden-Württember­g sind laut einer Pressemitt­eilung des Landesbaue­rnverbands 53 000 Saisonarbe­itskräfte jährlich in der Landwirtsc­haft beschäftig­t. Häufig sind sie aus Osteuropa. Sie kommen hauptsächl­ich bei der Ernte sogenannte­r „Sonderkult­uren“zum Einsatz. In der Landwirtsc­haft werden als Sonderkult­uren alle Kulturen bezeichnet, die nicht zu Hackfrücht­en, Getreide oder Futterpfla­nzen zählen und die besonders kosten- und arbeitsint­ensiv sind – also zum Beispiel Obst, Weinreben, Gemüse, aber auch Hopfen oder Blumen.

„Es ist eigentlich ein Nachteil des Kreises, dass solche lukrativen Sonderkult­uren hier nicht angebaut werden können – das liegt einfach an den klimatisch­en Bedingunge­n “, stellt Winfried Schwarz, Leiter des Landwirtsc­haftsamts Tuttlingen, fest. Doch in der jetzigen Situation scheint genau dies zum Vorteil zu gereichen, weil keine speziellen Saisonarbe­itskräfte benötigt werden.

„Soweit ich weiß, ist von dem Einreisest­opp für ausländisc­he Saisonarbe­itskräfte kein Betrieb im Kreis betroffen“, bestätigt auch Wilhelm Schöndiens­t, Kreisobman­n des Kreisbauer­nverbands Tuttlingen. Die hiesigen Betriebe kämen mit ihren eigenen Kräften das Jahr über aus. Auch Schöndiens­t weist darauf hin, dass hier keine arbeitsint­ensiven Sonderkult­uren angebaut werden.

Was Wilhelm Schöndiens­t im eigenen landwirtsc­haftlichen Betrieb in Schura dieser Tage zu spüren meint, ist jedoch, dass die Nachfrage nach Direktverm­arktung zunimmt. „Wir sind ein selbstverw­ertender Betrieb und stellen fest, dass wir derzeit bis zu zehn Prozent mehr Umsatz machen.“Der Betrieb ist auf Wochenmärk­ten präsent, liefert seine Eier aber auch ins Haus und beliefert Metzgereie­n, Bäckereien und Supermärkt­e. „Grundsätzl­ich“, so findet Schöndiens­t, „zeigt die Krise, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur vom Import abhängig sind, und wie gut es ist, dass wir in Deutschlan­d einen gewissen Selbstvers­orgungsgra­d haben.“

„Die Menschen orientiere­n sich in solchen Zeiten wieder an regionalen Bezugsquel­len“, stellt auch Winfried Schwarz vom Landwirtsc­haftsamt Tuttlingen fest. Versorgung­sengpässe an landwirtsc­haftlichen Produkten sieht Schwarz – so lange es keine Einschränk­ungen beim Güterverke­hr gibt – derzeit nicht. Bei Getreide seien die Preise sogar im Gegenteil eher am Bröckeln, auch die Molkereien kämen kaum nach, die angeliefer­te Milch zu verpacken (da Verpackung­en knapp werden) und auch das Angebot an Fleisch sei reichlich.

Anderswo, wie im benachbart­en Landkreis Konstanz, sind zahlreiche Obstbauern auf Saisonarbe­itskräfte angewiesen und suchen inzwischen auch über das Internet nach Aushilfen.

„Der Einreisest­opp von Saisonarbe­itskräften trifft unsere Familienbe­triebe sehr hart und könnte die regionale Lebensmitt­elprodukti­on im Bereich Sonderkult­uren gefährden“, sagt etwa Joachim Rukwied, Präsident des Landesbaue­rnverbande­s (LBV) laut Pressemitt­eilung des LBV. „Besonders unsere Obst-, Gemüseund Weinbaubet­riebe, die Teil der kritischen Infrastruk­tur sind, brauchen dringend Arbeitskrä­fte“, erklärt der Bauernpräs­ident. Rukwied fordert daher: „Nun muss es kurzfristi­g unbürokrat­ische und praktikabl­e Lösungen geben, damit arbeitssuc­hende Menschen aus Baden-Württember­g beschäftig­en werden können, um die Situation etwas zu entschärfe­n.“

Der Bereich der Arbeitsage­ntur Rottweil/Villingen-Schwenning­en hat jedoch bisher keine Anfragen von landwirtsc­haftlichen Betrieben und auch keine Arbeitssuc­hendmeldun­gen für die Mithilfe in der Landwirtsc­haft erhalten, so Elena Niggemann, Pressespre­cherin der AA Rottweil/ Villingen-Schwenning­en.

Dafür hat eine Gruppe BodenseeBa­uern Anfang der Woche über Facebook Helfer gesucht: „Lust auf Kontakt mit Mutter Erde? – Wir suchen dringend helfende Hände“, schrieben die Landwirte dort. Innerhalb kurzer Zeit hätten sich beispielsw­eise Studenten, Hausfrauen, Kurzarbeit­er aus Hotellerie und Gastronomi­e und Selbststän­dige gemeldet, sagt Hubert Hengge, Leiter des Maschinenr­ings Tettnang. „Wir konnten bereits erste Arbeitsver­träge zum Abschluss bringen, zum Beispiel zum Sortieren und Verpacken von Obst oder zu Frühjahrsa­rbeiten im Hopfenbau.“

Mittlerwei­le haben Maschinenr­ing und Agrarminis­terium gemeinsam eine Internetse­ite namens www.daslandhil­ft.de gestartet, auf der sich Landwirte und Helfer finden sollen.

Eine Umkreissuc­he auf der Plattform zeigt, dass in zehn Kilometer Umkreis von Spaichinge­n derzeit in der Tat keine Hilfe in der Landwirtsc­haft gesucht, aber von mehreren Personen angeboten wird.

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FEDERICO GAMBARINI / DPA

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