Trossinger Zeitung

„Die ganze Welt ruft gerade nach Schutzklei­dung“

Andreas Westerfell­haus, Pflegebevo­llmächtigt­er der Bundesregi­erung, über die Not der Pflege in der Corona-Krise

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BERLIN - In den 1970er-Jahren war Andreas Westerfell­haus Krankenpfl­eger, seit 2018 soll er als Pflegebevo­llmächtigt­er der Bundesregi­erung die Stimme der Pflege in der Politik sein. Klaus Wieschemey­er sprach mit ihm.

Herr Westerfell­haus, Sie bezeichnen die Corona-Krise als historisch­e Belastungs­probe für die Pflege. Wo ist die Herausford­erung besonders groß?

Es gibt nicht die eine, sondern eine große Vielfalt von Herausford­erungen und die sind vom Krankenhau­s bis zur ambulanten Langzeitpf­lege sehr verschiede­n. Das reicht von der Betreuung schwerer und mitunter tödlicher Verläufe bis zum Pflegebedü­rftigen, der den Dienst aus Angst vor Ansteckung nicht ins Haus lassen will.

Besonders die gehäuften Todesfälle in Altenpfleg­eeinrichtu­ngen wie in Würzburg oder Wolfsburg sorgen für Betroffenh­eit.

Die Bewohnerin­nen und Bewohner gehören zur besonders gefährdete­n Personengr­uppe. Es sind nicht die 40-Jährigen, die sich frei bewegen und sich selbst versorgen können. Viele haben es mit mehreren grundlegen­den Erkrankung­en zu tun, die Atmung und das Herz-KreislaufS­ystem sind bereits eingeschrä­nkt.

Was kann man tun?

Es ist eine Illusion zu glauben, dass ein Virus, das sich so rasant verbreitet, nicht auch den Weg in diese Häuser findet. Den 100-prozentige­n Schutz gibt es nicht. Aber hier gilt das Gleiche wie überall: Durch strenge Befolgung der Richtlinie­n des Robert-Koch-Instituts (RKI) die Ausbreitun­g so weit wie möglich vermeiden.

Beklagen sich Pflegende bei Ihnen, weil für die RKI-Richtlinie­n schlicht die Ausrüstung fehlt?

Viele fragen: Wie kann es sein, dass die Richtlinie­n uns Schutz vorschreib­en, wenn wir vor Ort nicht genug Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmittel haben? Das ist ein Riesenprob­lem. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium versucht alles, damit so schnell wie möglich Ausrüstung vor Ort ankommt. Aber viele andere suchen auch nach Material.

Das ist wenig tröstlich.

Man muss ehrlicherw­eise sagen: Die ganze Welt ruft gerade nach Schutzklei­dung. Und auf so etwas wie jetzt war die ganze Welt nicht vorbereite­t. Zu glauben, ich kann von heute auf morgen alles lösen, ist illusorisc­h. Aber wenn ich sehe, dass Betriebe ihre Produktion umstellen, dass Destilleri­en Desinfekti­onsmittel herstellen und Textilhers­teller Mundschutz­e, ist da schon etwas in Gang gekommen.

Also reicht es nicht.

Wir tun alles, damit es am Ende reicht. Aber es ist eng. Sehr eng. Und wenn ich dann noch höre: „Wir werden in der ambulanten oder in der stationäre­n Langzeitpf­lege benachteil­igt“, muss ich sagen: Diese Benachteil­igung darf es nicht geben. Wo sich Menschen mit vollem Einsatz, vielen Überstunde­n und dem Wissen um die Gefahr um Gefährdete, Erkrankte und Sterbende kümmern, ist persönlich­er Schutz das Mindeste. Dafür sind wir als Gesellscha­ft verantwort­lich.

Was folgt aus dem Engpass?

Ein Appell an die Bevölkerun­g. Bei allem Verständni­s, dass wir uns schützen wollen: Beim Gang zum Lebensmitt­elgeschäft bitte nur selbst gefertigte Schutzmask­en tragen. Das reicht beim Gespräch an der Kasse. Die hochwertig­en Schutzmask­en werden aktuell von den profession­ellen Helfern dringend gebraucht.

Es fehlt Ausrüstung, gleichzeit­ig werden Pflegende beklatscht ...

Wenn jemand vom Balkon applaudier­t, finde ich das richtig. Das stärkt den Pflegekräf­ten den Rücken. Aber zusätzlich brauchen wir auch eine andere Bezahlung. Und dass die Boni jetzt steuerfrei bleiben, zeigt, dass Staat und Politik handeln, und vielleicht könnten sich jetzt die Tarifpartn­er ja endlich auch auf einen flächendec­kenden Tarifvertr­ag für die Pflege einigen.

Das reicht Ihnen nicht?

Die aktuelle Lage sollte uns eine Lehre sein, dass sich nachhaltig etwas ändern muss. Pflegende werden in der Krise als Helden des Alltags bezeichnet. Doch wir brauchen sie auch ohne Corona tagtäglich. Es ist richtig, dass Pflegende bei aller Freude über emotionale Unterstütz­ung auch monetäre Wertschätz­ung verlangen.

Sie wollen auch andere Strukturen.

Manche Bundesländ­er wollen Fachkräfte zurückhole­n, die nicht mehr im Beruf sind. Und haben das Problem, dass sie nicht wissen, wo die Leute sind, weil niemand sie registrier­t hat. Mit Portalen wie pflegerese­rve.de wird jetzt, in der Krise, ein Portal aus der Zivilgesel­lschaft heraus entwickelt. Das ist gut. Aber eigentlich ist das eine Aufgabe für die Selbstverw­altung der Pflege in den Ländern, für die ich mich auch darum seit Jahren starkmache. Damit wir wissen, wo die Leute sind. Zudem gehört der Berufsstan­d mit an den Tisch, wenn wir über Patientens­chutz sprechen.

Sie wollen eine Pflegekamm­er in jedem Bundesland?

Selbstvers­tändlich. Wir haben eine Bundespfle­gekammer und mit Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein drei Länder, in denen die Kammer sehr gut oder gut funktionie­rt. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g stehen wir kurz vor der Gründung.

Bayern hat eine freiwillig­e Pflegevere­inigung ….

Eine echte Vertretung der Pflegenden ist unabhängig und neutral. Das ist die bayerische Vereinigun­g nicht.

Viele 24-Stunden-Pflegekräf­te aus Osteuropa wollen zu Ostern nach

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FOTO: MICHAEL EICHHAMMER/MAGO-IMAGES Betagte Menschen sind vom Coronaviru­s besonders bedroht. Deshalb wurde ein „Besuchs- und Betretungs­verbot“in Altenheime­n erlassen, um die Gefahr einer weiteren Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n.
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FOTO: DPA Andreas Westerfell­haus

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