Trossinger Zeitung

„Ohne besonderen Schutz könnte es mehr Todesfälle geben“

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Hause, noch ist offen, ob sie wiederkomm­en. Laufen wir in eine Pflegekata­strophe?

Offiziell haben wir ja kein Problem: Eine legal beschäftig­te sogenannte 24-Stunden-Kraft kann ungehinder­t wieder nach Deutschlan­d einreisen. Die Frage ist, was mit den vielen passiert, die nicht legal arbeiten und die vielleicht aus Angst zu Hause bleiben. Wir ahnen, dass ihr Anteil beträchtli­ch ist, aber wir wissen es nicht.

Was folgern Sie daraus?

Diese Frage zeigt doch das ganze Dilemma in der Pflege. Warum gibt es diese 24-Stunden-Kräfte? Weil wir in vielen Bereichen nicht genug eigenes Personal haben und uns in anderen Ländern bedienen. Und weil die Pflegevers­icherung nicht immer die Bedarfe der Pflegebedü­rftigen abdeckt. Nach der Krise müssen wir das ganze Thema Pflege auf Dauer auf eine ganz andere Bühne heben.

Und das geht wie?

Wir müssen den Beruf attraktive­r machen, mehr ausbilden, Karrierech­ancen eröffnen. Und wir müssen besser bezahlen. Das hat viele Nichtbetro­ffene lange nicht beschäftig­t. Durch Corona kann sich die Bevölkerun­g nicht mehr wegducken. Sie nimmt wahr, was Pflege alles beinhaltet. Das kann eine Chance sein.

Muss der Bund Kompetenze­n von den Ländern an sich ziehen?

Föderalism­us ist in vielen Dingen gut. Aber in der Pflege wünsche ich mir schon mehr einheitlic­he Standards. Man kann mir nicht erklären, warum in Baden-Württember­g andere Personalsc­hlüssel gelten als in Brandenbur­g. Die Menschen haben die gleichen Bedürfniss­e, da darf Versorgung nicht von Ländergren­zen abhängig sein.

Wie wird die Pflege in Zukunft diese Zeit im Rückblick bilanziere­n?

Ich hoffe, dass man sagen wird: Es war eine harte Zeit, aber wir haben gut zusammenge­arbeitet und es bis zum Schluss geschafft, die Menschen auf einem guten Niveau zu versorgen. Und mit noch mehr Abstand auch: Wir haben viel daraus gelernt: Endlich sind die Verbesseru­ngen in der Pflege, für die wir so viele Jahre gekämpft haben, umgesetzt worden. Jetzt sind wir gewappnet, mit kommenden Herausford­erungen umzugehen. Und vielleicht wird man dazusetzen: Schade, dass es dafür erst eine solche Krise brauchte.

RAVENSBURG - Die Zahl derer, die in Deutschlan­d an den Folgen einer Infektion mit dem Coronaviru­s sterben, ist im Vergleich zu anderen Ländern gering. Das Robert Koch-Institut befürchtet, dass die Sterberate jedoch auch hierzuland­e steigen könnte. Darüber spricht der Virologe Professor Thomas Mertens mit Daniel Hadrys.

Das Coronaviru­s breitet sich hierzuland­e auch weiter in Pflegeund Altenheime­n aus. Müssen wir uns auf eine höhere Sterberate gefasst machen?

Wenn es nicht gelingt, die durch Alter und/oder bestehende Vorerkrank­ungen besonders gefährdete­n Personen (zum Beispiel in Pflege- und Altenheime­n) vor Sars-CoV-2-Infektion zu schützen, wird es natürlich mehr Todesfälle geben, die sich aber aufgrund der hoffentlic­h geringen absoluten Zahlen nicht gleich dramatisch auf die Sterberate auswirken müssen.

Halten Sie die derzeitige Sterberate von etwa 0,8 Prozent in Deutschlan­d für realistisc­h?

Das hängt zunächst von der Art der Berechnung ab. Unabhängig davon, ob man die Zahlen von Harvard oder dem RKI von heute zugrunde legt, kommt man aktuell auf eine Sterberate von 0,94 bis 1,0 Prozent. Diese Rate ist aber bezogen auf die Gesamtzahl der Menschen, bei denen der Virusnachw­eis positiv war. Diese Bezugszahl enthält Erkrankte und nicht- oder nur sehr leicht Erkrankte, die ihre Erkrankung zu Hause durchgemac­ht haben und nicht erfasst werden. Zählt man nur die Verstorben­en unter allen Erkrankten, die im Krankenhau­s behandelt werden müssen, ist der Prozentsat­z natürlich höher. Leider sind diese Zahlen, die natürlich gesammelt werden, derzeit nicht allgemein verfügbar, und daher kann ich für die zweite Berechnung keine Angaben machen, zumal sich ja viele der stationäre­n Patienten noch in Behandlung befinden und nicht klar ist, ob sie wieder gesund werden.

Wann lassen sich verlässlic­he Zahlen zur Letalität im Vergleich zu anderen Viruserkra­nkungen nennen?

Wenn wir die Zahlen der Erkrankten (über die Mitteilung­en der Hausärzte), der stationär Behandelte­n, der danach Genesenen und der Verstorben­en nach der Infektions­welle kennen werden. Als genesen gilt ein Covid-19 Patient, der nach medizinisc­hen Kriterien keine Krankheits­zeichen der durchgemac­hten Erkrankung mehr aufweist. Wir sollten auch die Gesamtzahl der Infizierte­n (wie früher bereits gesagt durch Untersuchu­ngen mit Antikörper­bestimmung­en) sicher abschätzen können, um den Anteil der Erkrankten und Verstorben­en unter allen Infizierte­n berechnen zu können (s. o.).

Was wissen wir mittlerwei­le über die demografis­che Struktur der Menschen, die an den Folgen des Coronaviru­s verstorben sind?

Es sind weltweit meist ältere Menschen (beginnend und zunehmend ab 50 bis 60 Jahren) und es sind mehr Männer, meist mit Vorerkrank­ungen, aber auch jüngere Menschen können daran sterben. Warum der Anteil der erkrankten Männer in verschiede­nen Ländern deutlich unterschie­dlich ist, wissen wir nicht, aber eine entspreche­nde Tendenz scheint es weltweit zu geben.

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