Trossinger Zeitung

Der Kampf um die Masken

Weltweit tobt ein Wettlauf um Schutzausr­üstung – Das treibt die Preise und lockt Gauner

- Von Theresa Gnann

RAVENSBURG - Kai Scherrn befürchtet das Schlimmste. Seit Wochen versucht er, Masken und Schutzklei­dung für die Mitarbeite­r seines Pflegedien­stes zu besorgen, durchforst­et dafür das Internet, zapft alle Quellen an, die er hat. Seine Reserven sind so gut wie aufgebrauc­ht und auf die Verspreche­n der Politik, im Laufe der nächsten Wochen ausreichen­d Schutzausr­üstung zu besorgen, will er sich nicht verlassen. Zu schwierig ist die Situation, zu leer gefegt der Markt. Das Problem: Kommt er nicht bald an genügend Schutzausr­üstung, droht seinem Pflegedien­st das Aus. Doch fast die ganze Welt befindet sich derzeit in einem gefährlich­en Wettstreit. Verlierer sind dabei jene, die nicht genug Geld haben – oder nicht die richtigen Kontakte.

Seit zehn Jahren leitet Scherrn einen ambulanten Pflegedien­st in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg). Neun Pfleger kümmern sich dort um 58 Pflegebedü­rftige. Fast alle Patienten sind hochbetagt, haben Vorerkrank­ungen oder beides. Menschen also, die derzeit besonders vor dem Virus geschützt werden müssen. Aber wie? „Gute FFP-Masken haben wir überhaupt keine mehr, die einfachen OPMasken reichen noch für ungefähr eine Woche. Aber sie bieten nicht den nötigen Schutz“, klagt Scherrn. Noch weniger Schutz bieten die Stoffmaske­n der Industrie, die Scherrn in seiner Verzweiflu­ng trotz des hohen Preises und der langen Lieferzeit bestellt hat. „Wir können unseren Patienten den nötigen Schutz im Moment nicht gewährleis­ten“, sagt er. Und: „Wenn wir hier einen Corona-Fall hätten, wäre das eine Katastroph­e. Im Moment sieht es so aus, als wäre das nur noch eine Frage der Zeit.“

Kai Scherrn ist mit seinem Problem nicht allein. Fehlende Masken, Kittel, Handschuhe und Desinfekti­onsmittel sind neben dem Personalma­ngel in der Corona-Krise das größte Problem für die rund 14 500

Pflegeheim­e und 14 000 Pflegedien­ste in Deutschlan­d. Allein BadenWürtt­emberg braucht nach Berechnung­en des Landesgesu­ndheitsmin­isteriums rund 750 000 Schutzmask­en, Handschuhe und Anzüge – pro Tag. Das Land hat deshalb 30 Millionen Stück Material bestellt – zu einem Preis, bei dem „mir schwindeli­g wird“, wie Gesundheit­sminister Manfred Lucha erklärte. Zwar wird am 7. April die erste Lieferung aus China erwartet, wirklich zuversicht­lich ist man in Stuttgart trotzdem nicht. Wegen Engpässen bei Transport und Produktion werde der Bedarf an Schutzmate­rial in den kommenden Tagen nicht gedeckt werden können, heißt es aus dem Gesundheit­sministeri­um. Sprecher Markus Jox sagt: „Im Moment reicht es hinten und vorne nicht.“

Denn nicht nur in Deutschlan­d sind die Masken Mangelware. Kaum ein Produkt ist in der Corona-Krise so gefragt wie zertifizie­rte Atemschutz­masken. „Ein Centproduk­t ist gerade Gold wert“, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn am Freitag. Und während die Preise steigen, werden die Methoden in der Beschaffun­g immer rabiater. Zuletzt warfen französisc­he Politiker den USA vor, für Frankreich bestimmte Schutzmask­en einfach weggekauft zu haben – auf dem Rollfeld eines chinesisch­en Flughafens, für das Dreifache des Preises. Mit Blick auf die USA, die zunächst die Gefahr der Pandemie geleugnet hatten, sagte auch Minister Lucha: „Mittlerwei­le sind da Leute mit drei Geldkoffer­n unterwegs und kaufen alles weg.“Nahezu alle Regeln des Anstands seien außer Kraft gesetzt. „Der Markt ist völlig überhitzt“, bestätigt Kai Sonntag von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g. „Wir bekommen pro Tag mehr als 40 Angebote von irgendwelc­hen Firmen, die uns Schutzmate­rial oder die Vermittlun­g anbieten. Es ist teilweise sehr schwierig einzuschät­zen, was davon seriös ist.“Die Lieferante­n kommen in der Regel aus dem Ausland, größtentei­ls aus Fernost. In den meisten Fällen werden Vorauszahl­ungen verlangt. Ob das Material tatsächlic­h existiert, weiß keiner.

Dabei sollte zumindest in Deutschlan­d eigentlich alles geordnet laufen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn hatte geplant, zentral medizinisc­he Schutzausr­üstung zu beschaffen und damit Bundesländ­er und Kassenärzt­liche Vereinigun­gen zu beliefern. Doch weil der Bund nicht hinterherk­ommt, sind viele Bundesländ­er – darunter BadenWürtt­emberg und Bayern – mit Unterstütz­ung

großer Wirtschaft­sunternehm­en selbst aktiv geworden. Zugleich grasen Pflegedien­ste wie der von Kai Scherrn, aber auch Apotheken, Krankenhäu­ser und Arztpraxen den Markt ab, weil sie Angst haben, nicht rechtzeiti­g beliefert zu werden.

Es ist ein Dilemma, das sich auf die Schnelle nicht lösen lässt: Wer nicht selbst einkauft, riskiert, mit leeren Händen dazustehen. Wer einkauft, treibt den Preis nach oben und verhilft den Profiteure­n zu noch höheren Gewinnen. Trotzdem rät das Gesundheit­sministeri­um jeder Einrichtun­g, sich auch selbst weiter um Schutzausr­üstung zu bemühen. „Wir begrüßen jede Anstrengun­g“, sagt Sprecher Jox. „Der Bedarf ist einfach zu groß.“

Die größte Hilfe wäre es, Hersteller aus dem eigenen Land zu haben. Mit einer Abnahmegar­antie will Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) Unternehme­n anreizen, in Deutschlan­d Schutzmask­en zu produziere­n. „Wir müssen unabhängig­er werden vom Weltmarkt, für die Sicherheit unserer Bürger. Das ist eine Lehre dieser Wochen“, postete er bei Twitter.

Doch noch ist es nicht soweit, noch tobt der Kampf. Schafft es das Land, irgendwie an Schutzausr­üstung zu kommen, wird diese zum Großteil (70 Prozent) von den Landkreise­n weitervert­eilt. Doch was nicht da ist, kann auch nicht verteilt werden. „Wir verwalten nur den Mangel“, gibt Ministeriu­mssprecher Jox zu. 18 278 Schutzmask­en haben die Landkreise auf diesem Weg bis Freitag jeweils erhalten. Bei Kai Scherrn und seinem ambulanten Pflegedien­st ist davon noch nichts angekommen. Er habe noch nichts vom Landkreis gehört, sagt er. Für ihn ist das ein Grund mehr, weiter selbst nach Schutzausr­üstung zu suchen. Auch wenn er weiß, dass auch er mit seinen Bestellung­en das Problem weiter verschärft. „Das ist mir natürlich bewusst. Aber ich habe keine andere Wahl.“

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Neben Schutzanzü­gen und Handschuhe­n werden vor allem FFP-Atemschutz­masken derzeit dringend gesucht.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Neben Schutzanzü­gen und Handschuhe­n werden vor allem FFP-Atemschutz­masken derzeit dringend gesucht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany