Tiefer Fall einer Partyhochburg
Wie sich eine Isnyerin in Ischgl mit dem Coronavirus infizierte – und wie die Verantwortlichen in Österreich versuchen, die Schuld von sich zu weisen
öffentliche Kritik wurde dadurch aber keinesfalls leiser. Vielmehr gerieten alle Verantwortlichen immer weiter in die Defensive, je mehr Details bekannt wurden.
„Die wussten das. Und sie haben nichts gesagt“, klagt Skifahrerin Stefanie Böck aus Isny mit dem Abstand von ein paar Wochen. Die – das sind die Hotel- und Barbetreiber, die Behörden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alle schon vor jenem 7. März erfahren hatten, dass das Coronavirus in Ischgl angekommen war. Klar ist heute, dass es weit vor jenem Samstag, an dem Böck und Tausende weitere Skifahrer noch ahnungslos ins Paznauntal strömten, den ersten Corona-Fall in Ischgl gab. Bereits im Februar litten Touristen – unter anderem aus Irland, Island und Dänemark – nach der Rückkehr in ihr Heimatland an den typischen Symptomen und wurden positiv auf das Virus getestet. Doch in Ischgl lief die Show weiter. Bis Mitte März. Etliche Warnungen aus betroffenen Ländern blieben ungehört. Noch am 5. März sagte Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber, dass es „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich“sei, „dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“– obwohl Island die Partyhochburg Ischgl fast zeitgleich zum Krisengebiet erklärte.
Zwei Tage später stieg Stefanie Böck in den Bus nach Ischgl. „Ich hätte mich diesem Risiko in 100 Jahren nicht ausgesetzt, wenn ich auch nur von einem Corona-Fall in Ischgl gewusst hätte“, sagt Böck. Für ihre klare Haltung gibt es einen konkreten Grund: Ihr Vater ist ein sogenannter Hochrisikopatient, für den eine Infizierung lebensbedrohlich sein könnte. Da es aber keinerlei Reisewarnungen gab, freute sich Böck mit ihren Freundinnen uneingeschränkt auf den Skitag, der in der Disco „Kuhstall“endete. „Wenn da einer vor dir anfängt zu tanzen, musst du mittanzen, so eng ist es da“, beschreibt Böck. Ohne Körperkontakt geht es an diesen Orten nicht. Auch nicht im „Kitzloch“, einer beliebten AprèsSki-Bar in Ischgl, von der sich just an diesem 7. März einer der Barkeeper beim Arzt mit Grippesymptomen meldet und ein Test bestätigt, dass er sich infiziert hat – und durch ihn mindestens 15 Skitouristen. Es ist der erste bestätigte Fall in Ischgl. Für Böck, die wie viele andere das Coronavirus noch ein Tal weiter in Südtirol wähnt, kommt die Veröffentlichung zu spät.
Zwei Tage nach ihrer Rückkehr aus Ischgl, an einem Montag, erreicht Stefanie Böck in Isny die Nachricht über den infizierten „Kitzloch“-Barkeeper. Sofort überkommt sie ein ungutes Gefühl, auch wenn sie nicht in dieser Bar gewesen ist. Sie lässt sich testen, nicht zuletzt wegen ihres Vaters. Bange Tage vergehen. „Es war eine unfassbare Belastung“, sagt sie über die Zeit bis zum folgenden Samstag. Da endlich bekommt sie Gewissheit: positiv, als Einzige unter den Freundinnen, die gemeinsam den Tag in Ischgl verbracht hatten. Unmittelbar danach lassen sich Böcks Mann, ihre drei Kinder und ihr Vater testen. Wieder vergehen bange Tage, bis feststeht: Immerhin der Vater hat sich nicht angesteckt. Dafür ihr Mann und eines der Kinder. „Drei Wochen eingesperrt“habe sich die Familie, sagt Böck im Rückblick. Sie bekam „Lungenschmerzen“, fühlte sich abgeschlagen,