Durchhalteparolen aus Schloss Windsor
Premier Johnson zunächst in Selbstisolation, dann im Krankenhaus – Massive Kritik an fehlenden Corona-Tests
LONDON - Mit einem Appell an Selbstdisziplin und Entschlossenheit hat Königin Elizabeth II die Briten auf den Kampf gegen das Coronavirus eingeschworen. Die Insel erwartet in der Karwoche weitere Tausende von Toten, der Höhepunkt der Pandemie dürfte dem bisherigen Verlauf zufolge Mitte April eintreten.
Die Monarchin wendet sich jenseits der alljährlichen Weihnachtsansprache höchst selten an ihre Untertanen. In ihren mittlerweile mehr als 68 Thronjahren war die am Sonntagabend ausgestrahlte Ansprache erst die fünfte Gelegenheit. „Hoffentlich werden jene, die nach uns kommen, den Briten dieser Generation bescheinigen, sie seien ebenso stark gewesen wie ihre Vorfahren“, sagte die 93-Jährige, die im Zweiten Weltkrieg als Automechanikerin Kriegsdienst geleistet hatte. Den Anweisungen der Regierung entsprechend haben sich die Queen und Prinz Philip, 98, auf Schloss Windsor isoliert.
In Selbstisolation verharrte auch Premier Boris Johnson zunächst noch am Sonntag an seinem Amtssitz in der Downing Street. Der mit
Sars-CoV-2 infizierte 55-Jährige leide wie schon seit mehr als einer Woche weiterhin an erhöhter Temperatur, teilte Gesundheitsminister Matthew Hancock in Interviews mit. Am Samstag hatte sich Johnsons schwangere Verlobte Carrie Symonds per Twitter an die Öffentlichkeit gewandt: Sie müsse seit einer Woche mit Corona-ähnlichen Symptomen das Bett hüten. Am späten Abend dann musste Johnson noch zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden, wie die DPA mitteilte. Sein genauer Gesundheitszustand war bei Redaktionsschluss unklar.
Der neue Labour-Chef Keir Starmer (weiterer Text rechts) hatte nach seiner klaren Wahl noch am Samstag mit dem Premier telefoniert. Dabei nahm er Johnsons Einladung an, an Fachgesprächen mit den Wissenschaftsexperten der Regierung teilzunehmen. Die in London ebenfalls diskutierte Möglichkeit einer nationalen Koalition beantwortete Starmer in der BBC ausweichend. Die erst im Dezember klar im Amt bestätigte Regierung habe in der Corona-Krise zu langsam agiert und Fehler begangen. Er werde mit konstruktiver Kritik zur Lösung der anstehenden Probleme beitragen.
Im Mittelpunkt der britischen Debatte steht die vergleichsweise niedrige Zahl an Tests auf Covid-19. Der Premier hatte bereits im März eine massive Erhöhung angekündigt: „Auf diese Weise können wir das Virus besiegen.“Bis Monatsende, bekräftigte Gesundheitsminister Hancock am Sonntag, würden täglich 100 000 Tests durchgeführt werden. Am Samstag lag der Wert bei 11 000. Angaben des Nationalen Gesundheitssystems NHS zufolge stehen landesweit rund eine halbe Million Ärzte und Pflegepersonal im direkten Kontakt mit Covid-19-Patienten. Bisher wurden etwa 10 000 Krankenpfleger und Ärztinnen getestet.
Angaben vom Wochenende zufolge verschieben sich zunehmend die regionalen Schwerpunkte der Pandemie. Am Samstag meldete die Region um die Millionenstadt Birmingham erstmals mehr Verstorbene (212) als die Hauptstadt London (127). Am Samstag erlagen insgesamt 708 Briten ihrer Covid-19-Erkrankung, am Sonntag kamen weitere 621 hinzu, wodurch die Gesamtzahl auf 4934 Tote stieg. Immerhin stellte die erstmalige Verringerung der Verstorbenen einen Lichtblick dar.
Weitere Krisenzonen befinden sich in Südwales sowie im englischen Nordosten um die Industriestädte Newcastle und Sunderland. In beiden Regionen wütete Ende des vergangenen Jahrhunderts die Deindustrialisierung, die dort lebenden Menschen sind durchschnittlich ärmer, älter und übergewichtiger als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Zu den Verstorbenen gehören mindestens acht NHS-Bedienstete, darunter vier Ärzte sowie zwei Krankenschwestern, beide im Alter von Mitte 30 und Mütter von drei kleinen Kindern. Berufsverbände erneuerten ihre Kritik an dem herrschenden Mangel von angemessener Schutzkleidung und Gesichtsmasken für das Personal im direkten Patientenkontakt. Einer Befragung von mehr als 2500 Ärzten zufolge verfügt beinahe ein Viertel (22,3 Prozent) nicht über ausreichend Schutzmasken. 18 Prozent hatten sich krankgemeldet.